RICHARD BOORBERG VERLAG

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02.05.2019
Oberlandesgericht Nürnberg , Urteil vom 02.05.2019 , 13 U 1296/17

Mietwagen: Verlust der Haftungsfreistellung bei Tempo 200

  

Wer ein Kraftfahrzeug mit einem weit über der Richtgeschwindigkeit liegen den Tempo fährt (200 km/h), muss in besonderem Maß seine volle Konzentration auf das Verkehrsgeschehen richten. Schon eine kurzzeitige Ablenkung zur Bedienung des Navigationssystems kann bei derartigen Geschwindigkeiten den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründen (OLG Nürnberg).

Ein Mann hatte von einem Autovermieter einen Mercedes Benz CLS 63 AMG gemietet. Während er sich auf der linken Fahrbahnspur einer Autobahn befand, bediente er das Infotainmentsystem des Fahrzeugs, um dort Informationen abzurufen. Hierbei geriet das Fahrzeug nach links von der Fahrbahn ab und stieß gegen die Mittelleitplanke. Zu diesem Zeitpunkt fuhr der Mann mit einer Geschwindigkeit von knapp 200 km/h.

Im Mietvertrag für das Fahrzeug war eine Haftungsbeschränkung ohne Selbstbeteiligung vereinbart. Hiernach war der Autovermieter berechtigt, die Haftungsfreistellung in einem der Schwere des Verschuldens des Autofahrers entsprechenden Verhältnis zu kürzen, sofern der Schaden am Mietfahrzeug »grob fahrlässig« herbeigeführt wurde.

Der Autovermieter berief sich auf diese Klausel und machte 50 % des durch den Unfall entstandenen Schadens gegenüber dem Fahrzeugmieter geltend.

Beim Oberlandesgericht Nürnberg mit Erfolg.

Kein Haftungsausschluss zugunsten des Fahrzeugmieters

Autovermieter und Fahrzeugmieter hatten in zulässiger Weise eine Haftungsbeschränkung ohne Selbstbeteiligung vereinbart. Nach Auffassung des Gerichts hatte der Fahrer den Schaden am Mietfahrzeug jedoch »grob fahrlässig« herbeigeführt und damit die ihn an sich begünstigende Haftungsbeschränkung in Höhe von 50 % eingebüßt.

Nach eingehender Beweisaufnahme durch Sachverständige und Zeugen war das Gericht fest davon überzeugt, dass der Autofahrer den Versicherungsfall dadurch herbeigeführt hatte, dass er bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h auf der linken Fahrspur der Autobahn die Infotainmentanlage des Fahrzeugs bediente; wegen der darauf zurückzuführenden Ablenkung sei er nach links von der Fahrbahn abgekommen und dort mit der linken Fahrzeugseite gegen die Mittelleitplanke gestoßen.

Der Fahrer hatte angegeben, dass er versucht habe, Informationen im Navigationssystem abzurufen, etwa restliche Fahrstrecke und prognostizierte Fahrtzeit. Er musste hierzu mit einem an der Mittelkonsole angebrachten Drehregler auf dem Bildschirm eine Leiste ansteuern, bei der sich dann auf diesem Bildschirm verschiedene Register öffneten, über die wiederum weitere Unterpunkte angewählt werden konnten.

Allein aus dieser Beschreibung der konkreten Bedienung war dem Gericht klar, dass es sich hierbei um eine komplexe und vergleichsweise zeitaufwendige Tätigkeit gehandelt habe, die zwar nur wenige Sekunden andauerte, aber hierbei die volle Aufmerksamkeit des Fahrers beanspruchte. Diese Aufmerksamkeit konnte er nicht zugleich der Kontrolle des fahrenden Fahrzeugs widmen.

Dieses Verhalten wertete das Oberlandesgericht als »grob fahrlässig«.

Schwere Pflichtverletzung des Fahrzeuglenkers

Der Autofahrer war mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h gefahren. Der deutsche Gesetzgeber hat aber in der Richtgeschwindigkeit-Verordnung für Autobahnen zumindest die Empfehlung ausgesprochen, mit Pkws und anderen Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis zu 3,5 t auch bei günstigen Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen nicht schneller als 130 km/h zu fahren. Grund hierfür ist, dass ein Fahren mit höherer Geschwindigkeit als 130 km/h erwiesenermaßen in besonderer Weise die volle Konzentration auf das Führen des Fahrzeugs erfordert. Bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h legt ein Fahrzeug mehr als 55 m pro Sekunde zurück. Der Anhalteweg beträgt selbst bei optimaler Reaktion des Fahrers und günstigen Bedingungen rund 275 m (gegenüber 125 m bei 130 km/h). Die kinetische Energie bei einer Kollision potenziert sich durch die Geschwindigkeitserhöhung; sie beträgt bei 200 km/h mehr als das 2,3-fache gegenüber einer Kollision mit Richtgeschwindigkeit.

Im vorliegenden Fall hatte der Fahrer trotz seiner hohen Geschwindigkeit die erforderliche maximale Konzentration nicht auf das Fahrgeschehen, sondern auf das Abrufen von Informationen aus dem Navigationssystem des Pkw gerichtet. Selbst bei einer Ablenkung von nur 3 Sekunden bedeutet dies, dass das Fahrzeug bereits über eine Strecke von etwa 167 m gefahren wurde, ohne dass der Fahrer dabei die Fahrbahn im Blick hatte.

Nach alledem stellte dieses Verhalten eine objektiv schwere und unentschuldbare Pflichtverletzung des Autofahrers dar und war daher grob fahrlässig.

Somit konnte sich der Autovermieter auf die entsprechende Klausel im Kleingedruckten berufen, wonach bei grober Fahrlässigkeit des Autofahrers dieser verpflichtet ist, 50 % des entstandenen Schadens zu übernehmen.

Autoren:
Klaus Krohn