RICHARD BOORBERG VERLAG

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149.02.2020
Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 149.02.2020, 14 O 69/19

Kind haftet für Schaden im Straßenverkehr

  

Ein achtjähriger Junge, der durch nachlässiges Radfahren eine Fußgängerin verletzt, kann hierfür haftungsrechtlich verantwortlich sein (OLG Celle).

Während des Sommerurlaubs mit den Eltern fuhr ein achtjähriger Junge auf einer Uferpromenade mit dem Fahrrad. Das Kind nahm bereits seit seinem fünften Lebensjahr mit dem Kinderfahrrad am Straßenverkehr teil. Die Eltern gingen in Ruf- und Sichtweite einige Meter zu Fuß hinter dem Kind. Während das Kind vorwärts fuhr, sah es über einen längeren Zeitraum nach hinten zu den Eltern und steuerte hierbei auf eine Fußgängerin zu. Bei dem Versuch, einen Zusammenstoß mit dem sich nähernden Jungen zu verhindern, stürzte die Fußgängerin und verletzte sich erheblich. Die Eltern hatten ihrerseits versucht, das Kind – das noch eine Vollbremsung einleitete – durch Zurufe zu warnen.
Die Fußgängerin nahm das Kind (vertreten durch die Eltern) auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.
Das erstinstanzliche Landgericht hatte die Klage der Fußgängerin abgewiesen, demgegenüber hatte deren Berufung beim Oberlandesgericht Celle Erfolg.

Gestufte Haftung von Minderjährigen

Das Gericht nahm die Entscheidung zum Anlass, noch einmal die Voraussetzungen darzulegen, unter denen Kinder für von ihnen verursachte Schäden haften.
Minderjährige unter sieben Jahren sind grundsätzlich für anderen Personen zugefügte Schäden nicht verantwortlich (§ 828 BGB). Wer das siebte, aber noch nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug oder einer Schienenbahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.
Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen Unfall mit einem Fußgänger, sodass auch das achtjährige Kind als Haftender in Betracht kam. Ein Minderjähriger haftet aber nur für einen Schaden, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung die erforderliche Einsicht an die Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens besitzt. Es genügt daher die Fähigkeit des Kindes zu erkennen, dass es in irgendeiner Weise für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann.

Bewusstes Zurückschauen während des Radfahrens

Im vorliegenden Fall kam es somit darauf an, ob einem altersgerecht entwickelten achtjährigen Jungen, der bereits seit seinem fünften Lebensjahr regelmäßig im Straßenverkehr Fahrrad fährt, bewusst sei, dass er während der Fahrt nach vorne schauen und nicht über einen längeren Zeitraum nach hinten blicken dürfe.
Das Gericht war auch aufgrund der persönlichen Anhörung des Kindes im Prozess davon überzeugt, dass dem Jungen zum Unfallzeitpunkt bewusst gewesen war, dass es ein Fehler ist, während des Fahrradfahrens längere Zeit die Blickrichtung vom Fahrweg nach hinten abzuwenden. Der Junge war bereits so weit entwickelt, dass er als »geübter« Fahrradfahrer voraussehen konnte, dass seine Fahrweise auf der Uferpromenade für Fußgänger gefährlich werden könnte.
Im Übrigen sei das vorliegende Fehlverhalten des Kindes auch nicht aufgrund einer plötzlich auftretenden Situation, sozusagen reflexhaft, ausgelöst gewesen (etwa das Nachlaufen hinter einem Ball auf die Fahrbahn).
Somit war das Kind für die Verletzungen der Fußgängerin verantwortlich.

Anmerkung:

Grundsätzlich kommt in Fällen wie dem vorliegenden auch eine Haftung der Eltern des Kindes gegenüber dem Verletzten in Betracht, sofern die Eltern ihre gesetzliche Aufsichtspflicht (§ 832 BGB) verletzt haben. Eine solche Aufsichtspflichtverletzung vermochte das Oberlandesgericht Celle in der vorliegenden Entscheidung jedoch nicht festzustellen.

Autoren:
Klaus Krohn