RICHARD BOORBERG VERLAG

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25.05.2020

Verbot des Mitführens eines Blindenhundes ist verfassungswidrig

   

Das scheinbar neutral formulierte Verbot, Hunde in eine Arztpraxis mitzuführen, benachteiligt eine sehbehinderte Frau, die das Wartezimmer der Arztpraxis mit ihrem Blindenführhund durchqueren muss, um in eine Physiotherapiepraxis zu gelangen (BVerfG).

Eine blinde Frau war in Behandlung in einer Physiotherapiepraxis. Diese befand sich im selben Gebäude wie die orthopädische Gemeinschaftspraxis zweier Ärzte. Die Physiotherapiepraxis war ebenerdig durch die Räumlichkeiten der Gemeinschaftspraxis zu erreichen. In der Arztpraxis führte ein Weg durch das Wartezimmer zu einer Notausgangstüre, auf der ein Schild mit der Beschriftung »Physiotherapie « angebracht war.

Die Frau hatte diesen Durchgang mehrfach mit ihrem Blindenführhund genutzt. Eines Tages untersagten ihr die Ärzte der orthopädischen Gemeinschaftspraxis, die Praxisräume mit ihrem Hund zu betreten und forderten sie auf, einen anderen Weg über den Hof und eine dortige offene Stahlgittertreppe zu nehmen.

Die Frau zog vor Gericht, um die Ärzte zu verpflichten, den Durchgang durch die Praxis zusammen mit dem Hund zu gestatten.

Das Kammergericht Berlin wies die Klage der Frau zurück, woraufhin sie Verfassungsbeschwerde erhob.

Das Bundesverfassungsgericht gab ihr Recht und erklärte das Verbot des Mitführens eines Blindenhundes durch die Arztpraxis für verfassungswidrig.

Ungleichbehandlung

Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden, außer wenn hierfür zwingende Gründe vorliegen.

Hier war nach Auffassung der Verfassungsrichter eine mittelbare Benachteiligung der Frau gegeben. Denn das allgemeine Verbot in der Praxis, Hunde mitzuführen, benachteiligte die Frau wegen ihrer Sehbehinderung in besonderem Maße. Das Verbot verwehre ihr, die Praxisräume selbstständig zu durchqueren, was sehenden Personen ohne Weiteres möglich und gestattet sei. Durch das Verbot sei sie gezwungen, ihren Blindenhund vor dem Haus anzuketten. Dann sei es ihr jedoch nicht mehr möglich, wie nicht behinderte Personen selbstständig und ohne fremde Hilfe in die Physiotherapiepraxis zu gelangen.

Interesse der Arztpraxis an Hundeverbot ist nachrangig

Die Ärzte hatten im Verfahren vorgebracht, dass aus hygienischen Gründen in der Praxis ein generelles Hundeverbot gelte.

Dieses Argument lehnten die Richter letztlich als zu vernachlässigend ab. Eine Infektionsgefahr durch den Hund der behinderten Frau sei ausgeschlossen. Sowohl das Robert-Koch-Institut als auch die deutsche Krankenhausgesellschaft gehen davon aus, dass aus hygienischer Sicht im Allgemeinen keine Einwände gegen die Mitnahme von Blindenführhunden in Arztpraxen und Krankenhausräumen bestehen.

Zudem sei zu beachten, dass es sich vorliegend nicht um einen Aufenthalt des Hundes in der Arztpraxis handle, also wegen der dortigen medizinischen Behandlung der Frau, sondern lediglich um ein Durchqueren des Warteraums. Es handelte sich damit bei dem Raum, den die Frau mit ihrem Hund zu durchqueren hatte, lediglich um einen Wartebereich, den Patienten der Arztpraxis mit Straßenschuhen und Straßenbekleidung betraten. Dass die hygienischen Umstände sich dort aufgrund des Durchschreitens des Raumes mit dem Hund verschlechterten, sei nicht vorstellbar.

Somit müssten die Interessen der Ärzte hinter dem Recht der Frau, durch die Arztpraxis zur Physiotherapiepraxis zu gelangen, zurückstehen. Das Durchgangsverbot war daher unverhältnismäßig und benachteiligte die Frau in verfassungswidriger Weise.

Autoren:
Klaus Krohn
Quelle:
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. 01. 2020 – 2 BvR 1005/18