Der Betreiber eines sozialen Netzwerks, der verurteilt worden ist, dem Erben einer Netzwerk-Teilnehmerin Zugang zu deren vollständigem Benutzerkonto zu gewähren, muss dem Erben die Möglichkeit einräumen, vom Konto und dessen Inhalt auf dieselbe Weise Kenntnis zu nehmen und sich – mit Ausnahme einer aktiven Nutzung – darin so zu bewegen, wie zuvor die ursprüngliche Kontoberechtigte.
Vorgeschichte
Ein 14-jähriges Mädchen registrierte sich im Jahr 2011 mit Einverständnis der Mutter beim sozialen Netzwerk Facebook und unterhielt dort ein Benutzerkonto. 2012 verstarb das Mädchen unter bisher ungeklärten Umständen; es wurde von einer U-Bahn erfasst und tödlich verletzt. Die Mutter versuchte anschließend, sich in das Benutzerkonto ihrer Tochter einzuloggen. Obwohl sie die notwendigen Benutzerdaten und Passworte kannte, konnte sie sich zu dem Konto keinen Zugang verschaffen. Grund hierfür war, dass Facebook das Benutzerkonto auf Hinweis eines anderen Nutzers inzwischen in den sog. Gedenkzustand versetzt hatte, wodurch ein Zugang auch mit den regulären Nutzerdaten nicht mehr möglich ist. Die Inhalte des Kontos blieben jedoch weiterhin bestehen. Daraufhin verlangte die Mutter als Erbin ihrer Tochter von Facebook, ihr Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto zu gewähren, insbesondere zu den darin befindlichen Kommunikationsinhalten. Sie machte geltend, sie benötige den Zugang, um Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidabsichten gehegt habe oder ob es sich um einen Unfall gehandelt habe. Facebook verweigerte der Mutter jedoch die Einsicht in das Benutzerkonto; das Versetzen des Kontos in den „Gedenkzustand“ schütze das Persönlichkeitsrecht der verstorbenen Tochter. Die Mutter klagte und bekam schließlich beim Bundesgerichtshof Recht (vgl. RdW-Kurzbericht 342/2018). Die Richter verurteilten Facebook, der Mutter der verstorbenen Tochter als Erbin Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten ihrer Tochter zu gewähren. Facebook hat daraufhin der Mutter der Verstorbenen einen USB-Stick überlassen, der eine PDF Datei mit mehr als 14 000 Seiten enthielt, nämlich eine Kopie der ausgelesenen Daten aus dem von der verstorbenen Tochter geführten Facebook-Konto. Daraufhin wurde zwischen den Beteiligten streitig, ob hierdurch die Verpflichtung von Facebook aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs erfüllt worden sei. Es kam deshalb zu einem neuerlichen Rechtsstreit; der Bundesgerichtshof stellte fest, dass Facebook wegen Nichterfüllung seiner Verpflichtungen aus dem oben genannten Urteil ein Zwangsgeld in Höhe von 10 000 j zu zahlen habe.
Nutzung des Kontos im selben Umfang wie die verstorbene Tochter
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs muss Facebook der Mutter nicht nur den Zugang zu den im Benutzerkonto vorgehaltenen Kommunikationsinhalten gewähren, sondern außerdem die Möglichkeit, vom Benutzerkonto selbst und von dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können wie die ursprüngliche Kontoberechtigte. Der Nutzungsvertrag zwischen der Tochter und Facebook war mit allen Rechten und Pflichten im Wege der Erbfolge auf die Mutter übergegangen. Die Mutter sei hierdurch in das Vertragsverhältnis eingetreten und hätte deshalb als Vertragspartnerin und neue Kontoberechtigte einen Leistungsanspruch auf Zugang zu den Benutzerkonto ihrer Tochter sowie den darin enthaltenen digitalen Inhalten. Aus dieser Stellung der Erbin und dem auf sie übergegangenen Hauptleistungsanspruch der Tochter aus dem Vertrag mit Facebook folge ohne Weiteres, dass der Mutter auf dieselbe Art und Weise Zugang zu dem Benutzerkonto zu gewähren sei wie zuvor ihrer Tochter. Facebook habe somit seine Verpflichtungen aus diesem früheren Urteil nicht erfüllt. Durch die Überlassung des USB-Sticks mit einer umfangreichen PDF-Datei wurde kein vollständiger Zugang zum Benutzerkonto gewährt. Die PDF-Datei bilde das Benutzerkonto nicht komplett ab. Hierfür sei nicht nur die Darstellung der Inhalte des Kontos erforderlich, sondern auch die Eröffnung seiner Funktionalitäten. Diese Voraussetzung erfülle die von Facebook übermittelte Datei nicht. Daher sei das gegen Facebook festgesetzte Zwangsgeld wegen Nichterfüllung der Verpflichtungen aus dem früheren Urteil rechtmäßig.