RICHARD BOORBERG VERLAG

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30.05.2023

Prozess um Betriebsrätevergütung bei Volkswagen AG

   

Der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB kann erfüllt sein, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot (§ 78 Satz 2 BetrVG) einem Mitglied des Betriebsrats ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt.

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wurde das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 28.09.2021 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wurde zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Das Landgericht hatte die Angeklagten vom Vorwurf der Untreue freigesprochen. Hiergegen wendete sich die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel hatten bereits mit der Sachrüge Erfolg.

Die Staatsanwaltschaft legte den Angeklagten zur Last, als Vorstand beziehungsweise als Personalleiter der V. AG den Betriebsratsmitgliedern O., Fr., Wo. und Ble. unzulässig hohe Arbeitsentgelte gewährt zu haben. Der Angeklagte N. war seit 2005 Vorstand der  V. AG für den Bereich Personal. In dieser Funktion wurde er mit Beginn des Jahres 2016 vom Angeklagten Bl. abgelöst. Der Angeklagte S., dem 1997 Prokura erteilt worden war, wurde 2008 Leiter P. Deutschland. Im Juli 2011 übernahm der Angeklagte R. diese Position von S.; er war ebenfalls Prokurist. Die Angeklagten waren für die Bemessung der Betriebsratsvergütungen zuständig. Bei der V. AG bestand seit 1991 eine „Kommission Betriebsratsvergütung“. Sie befasste sich mit der Vergütung von für die Tätigkeit als Betriebsrat freigestellten Arbeitnehmern. Ihr gehörten die Angeklagten als Vertreter der Unternehmensseite an. Die Entscheidungen der Kommission setzten die Angeklagten mit Schreiben an die Betriebsräte um, mit denen sie höhere Monatsentgelte oder „freiwillige Bonuszahlungen“ bewilligten. Von 2011 bis 2016 wurden in dieser Weise Zahlungen an die freigestellten Betriebsräte O., Fr., Wo. Und Ble. veranlasst, die die Zahlungen an die betriebsverfassungsrechtlich zutreffenden Vergleichsgruppen erheblich überstiegen. Hierdurch entstand der V. AG ein Schaden von mehr als 4,5 Mio. €.

Die Angeklagten hielten ihr Handeln für pflichtgemäß. Der Angeklagte N. verließ sich auf die Einschätzung interner und externer Berater, derzufolge das angewandte System rechtmäßig sei. Der Angeklagte S. wurde von seinem Vorgänger als Leiter Personal Deutschland über den Inhalt der rechtlichen Beratung informiert und fand ein bestehendes Vergütungssystem vor. Der Angeklagte R. hatte den gleichen Wissenstand wie S. und kannte die Auffassungen der internen und externen Berater. Dem Angeklagten Bl. wurde „von allen Seiten erklärt und versichert“, alles sei rechtlich in Ordnung.

Das Landgericht nahm an, die Angeklagten hätten den objektiven Tatbestand der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) erfüllt, jedoch ohne Vorsatz gehandelt. Ihre irrige Überzeugung, pflichtgemäß und gesetzeskonform zu handeln, stelle einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum im Sinne von § 16 Abs. 1 StGB dar.

Das Urteil hat keinen Bestand. Es begegnet durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken. Das Landgericht ging allerdings zutreffend davon aus, dass der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllt sein kann, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot einem Mitglied des Betriebsrats ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt.

Das Urteil hält gleichwohl sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zu den objektiven Voraussetzungen des Untreuetatbestandes genügen nicht den Anforderungen (vgl. § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO).

Darüber hinaus begegnet die Beweiswürdigung zum Vorsatz der Angeklagten N., S. und R. durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Freisprüche der Angeklagten haben daher keinen Bestand. Eine Aufrechterhaltung von Feststellungen kommt nicht in Betracht, weil die Angeklagten deren rechtsfehlerfreies Zustandekommen nicht überprüfen lassen konnten.

Autoren:
RdW-Redaktion
Quelle:
BGH, Urteil vom 10.01.2023 – 6 StR 133/22.