RICHARD BOORBERG VERLAG

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26.11.2021

Musterfeststellungsklage: Verjährung im Diesel-Skandal gehemmt

   

Wann liegt im Fall des Käufers eines VW Tiguan Diesel mit manipulierter Software, der seine Ansprüche zum Klageregister der Musterfeststellungsklage an und wieder abgemeldet und das Fahrzeug bereits weiterverkauft hat, die Verjährung seiner Ansprüche gegen den Automobilhersteller vor?

Der Kläger hatte im Jahr 2013 einen gebrauchten VW Tiguan von der Beklagten erworben, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schafstoffnorm 5 ausgestattet ist. Volkswagen hatte im Jahr 2015 in einer ad-hoc-Mitteilung bekannt gegeben, dass bei weltweit rund elf Mio. Fahrzeugen dieses Motortyps eine manipulierte Software aufgespielt wurde. Sie erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet und in diesem Fall in einen stickstoff-optimierten Modus startet. Dadurch ergaben sich auf dem Prüfstand geringere Stickstoff- Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb; die Stickoxidgrenzwerte wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten. Die Medien berichteten umfassend über diesen Skandal.

Der Käufer hatte das Fahrzeug zwischenzeitlich an einen Dritten weiterveräußert. Im Jahr 2019 erhob der Käufer gegen den beklagten Autohersteller Klage und verlangte von diesem, nachdem er zuvor seine Ansprüche zum Klageregister der Musterfeststellungsklage an- und wieder abgemeldet hatte, Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Zahlung von Wertersatz in Höhe des erzielten Erlöses aus dem Weiterverkauf. Der Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.

Das erstinstanzliche Landgericht sowie das OLG haben die Klage abgewiesen. Das OLG war der Ansicht, dass der Anspruch des Käufers verjährt sei. Dem ist der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe nicht gefolgt und hat das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen. Nach Ansicht des BGH ist keine Verjährung eingetreten.

Die regelmäßige Verjährungsfrist für den Anspruch beträgt drei Jahre (§ 195 BGB). Nach der Vorschrift des § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Käufer von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

Kenntnis oder jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis des Käufers von dem Dieselskandal sei durch das OLG nicht festgestellt worden. Eine umfangreiche Berichterstattung in den Medien ändere daran nichts. Es würde zwar den Schluss nahelegen, doch müsse dies vom OLG ausdrücklich festgestellt werden, um eine Verjährung zu begründen, so der BGH.

Außerdem läge eine Hemmung der Verjährung vor. Nach § 204 Abs. 1 a) BGB wird die Verjährung durch die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch gehemmt. Diese Voraussetzung lag vor: Der Käufer hatte, bevor er im Jahr 2019 Klage erhoben hat, seine Ansprüche zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet. Dies ist gemäß § 608 ZPO auch zulässig: Danach können bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins Verbraucher Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung in das Klageregister anmelden. Hierbei liege auch kein Verstoß gegen Treu und Glauben vor, weil der Käufer seine Ansprüche zum Klageregister für die Musterfeststellungsklage wieder zurückgenommen und sie nur deshalb erhoben hatte, um die Verjährungshemmung zu erreichen. Gemäß § 608 Abs. 3 ZPO kann die Anmeldung bis zum Ablauf des Tages vor Beginn der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz wieder zurückgenommen werden.

Autoren:
Tatjana Wellenreuther
Quelle:
BGH, Urteil vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20