RICHARD BOORBERG VERLAG

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06.05.2021

Geschädigter Autofahrer muss eigene Kaskoversicherung nicht in Anspruch nehmen

  

Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den eigenen Kaskoversicherer auf Behebung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen, um die Zeit des Nutzungsausfalls und damit die Höhe der Schadenersatzzahlung des Unfallverursachers und dessen Haftpflichtversicherung möglichst gering zu halten (BGH).

Eine vollkaskoversicherte Autofahrerin geriet am 16. 02. 2017 unverschuldet in einen Verkehrsunfall. Hierbei wurde ihr Fahrzeug erheblich beschädigt. Die Autofahrerin erteilte noch am Unfalltag den Auftrag zur Erstellung eines Schadensgutachtens; dieses lag bereits am Folgetag vor. Am 20. 02. 2017 meldete sie ihre Ansprüche bei der gegnerischen Haftpflichtversicherung an; am 06. 03. 2017 wies sie schriftlich darauf hin, aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage zu sein, die Kosten für die notwendige Reparatur ihres Fahrzeugs vorzufinanzieren.

Am 20. 03. 2017 erteilte sie den Reparaturauftrag. Das Fahrzeug wurde sogleich bis zum 29. 03. 2017 repariert.

Die gegnerische Haftpflichtversicherung erstattete der Frau einen Nutzungsausfallschaden für 15 Tage (zehn Tage Reparaturdauer zuzüglich 2 Tage für die Beauftragung und Erstellung des Gutachtens zuzüglich 3 Tage Überlegungsfrist). Die Autofahrerin verlangte demgegenüber Ersatz von Nutzungsausfallschaden für weitere 27 Tage (Gesamtzeitraum 16. 02. bis 29. 03. 2017 = 42 Tage abzüglich regulierter 15 Tage zu jeweils 43 j. Die gegnerische Haftpflichtversicherung lehnte dies ab. Sie war der Auffassung, dass die Autofahrerin nach Erstellung des Schadensgutachtens ihre eigene Kaskoversicherung zur Regulierung hätte auffordern müssen. Sie sei verpflichtet gewesen, die Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen, um den Schaden der gegnerischen Seite möglichst gering zu halten. Beim Bundesgerichtshof hatte die Klage der Autofahrerin jedoch Erfolg. 

Schadensminderungspflicht

Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht grundsätzlich gehalten, den zu ersetzenden Schaden möglichst gering zu halten. Eine Verpflichtung des Geschädigten – so der Bundesgerichtshof – im Interesse des Schädigers die Kosten quasi vorzufinanzieren, lasse sich daraus aber nicht herleiten. Denn es sei grundsätzlich Sache des Schädigers, die Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte habe Anspruch auf sofortigen Ersatz und sei nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar einen Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen.  Zweck einer Vollkaskoversicherung Nach diesen Maßstäben war die Autofahrerin im vorliegenden Fall grundsätzlich nicht verpflichtet, den eigenen Kaskoversicherer auf Behebung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen, um die Zeit des Nutzungsausfalls und damit die Höhe der diesbezüglichen Ersatzverpflichtung des Unfallverursachers möglichst gering zu halten.

Denn Sinn und Zweck der Kaskoversicherung sei nicht die Entlastung des Unfallverursachers. Der Versicherungsnehmer einer Kaskoversicherung erkaufe sich vielmehr den Versicherungsschutz für diejenigen Fälle, in denen ihm ein nicht durch Andere zu ersetzender Schaden verbleibe. Diese Versicherungsleistungen seien durch Prämien erkauft und dienten nicht dazu, einen Schädiger zu entlasten.

Hinzu komme, dass eine Inanspruchnahme des eigenen Kaskoversicherers dem Geschädigten wegen der damit verbundenen Rückstufung und den höheren Versicherungsprämien nicht zuzumuten sei. Zwar sei auch der Schaden wegen einer Rückstufung in der Kfz-Kaskoversicherung ersatzfähig. Allerdings sei die Umsetzung einer solchen Inanspruchnahme in der Praxis überaus schwierig. Der Geschädigte sei gezwungen, in den Folgejahren nach vorheriger Korrespondenz mit dem Kaskoversicherer jeweils gegenüber der Haftpflichtversicherung des Schädigers weiteren Schaden der Höherstufung zu beziffern und geltend zu machen.

Somit war die Autofahrerin im vorliegenden Fall nicht gehalten, ihren Kaskoversicherer zur zeitnahen Behebung des Unfallschadens einzuschalten; ihr stand somit der geltend gemachte Nutzungsausfallschaden komplett zu.

Autoren:
Klaus Krohn
Quelle:
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. 11. 2020 – VI ZR 569/19