Ein sechsjähriges Mädchen flog mit seinem Vater von Spanien nach Österreich. Das Kind saß neben dem Vater. Eine Flugbegleiterin servierte diesem einen Becher ohne Abdeckung mit frisch gebrühtem heißem Kaffee. Der Vater nahm den Becher entgegen und stellte ihn auf dem vor ihm befindlichen ausklappbaren Abstellbrett ab.
Ohne dass der Vater oder die Tochter den Becher berührten, geriet er aus ungeklärter Ursache ins Rutschen und stürzte um. Der heiße Kaffee ergoss sich über das Kind; es erlitt hierdurch Verbrühungen zweiten Grades an Teilen des Oberkörpers.
Das Kind, vertreten durch den Vater, verlangte von der Fluglinie Schadenersatz und Schmerzensgeld. Die Airline wies eine Haftung zurück, weil es sich um keinen Unfall im Sinne des Haftungsrechts für Fluglinien gehandelt habe. Der Begriff des Unfalls erfordere hier nämlich, dass sich ein flugspezifisches Risiko realisiere, woran es hier fehle. Tatsächlich könne nicht festgestellt werden, ob der Kaffeebecher etwa wegen eines Defekts des Ausklappbretts oder durch das Vibrieren des Flugzeugs gekippt sei. Jedenfalls habe sich kein für die Luftfahrt typisches Risiko verwirklicht.
Das mit dem sich anschließenden Rechtstreit befasste österreichische Gericht war der Auffassung, dass EU-Recht, nämlich das Übereinkommen von Montreal, betroffen sei; es legte daher dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) den Rechtsstreit zur Vorabentscheidung dieser EU-rechtlicher Fragen vor. Insbesondere wollte das österreichische Gericht wissen, ob die einschlägige Bestimmung des Übereinkommens von Montreal dahin zu verstehen sei, dass der Begriff »Unfall« schon allein durch eine Verletzung eines Fluggastes erfüllt sei, ohne dass es darauf ankomme, ob dieser Unfall auf ein luftfahrtspezifisches Risiko zurückgehe.
Gesetzliche Regelung
Zentrale rechtliche Vorschrift, die Personenschäden im Rahmen von Flugreisen regelt, ist § 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal. Hiernach haftet die Fluggesellschaft für Personenschäden eines Reisenden, »wenn sich der Unfall an Bord oder während des Ein- und Aussteigens ereignet«. Strittig und Grund für die Vorlage an den EuGH war hier nun, ob diese Vorschrift erfordere, dass das schädigende Ereignis (hier: Umkippen des Kaffeebechers) auf ein typisches Risiko im Zusammenhang mit der Luftfahrt zurückzuführen sei.
Kein zusätzliches luftfahrtspezifisches Risiko erforderlich
Nach Auffassung des Gerichts war der Einwand der Gesellschaft unerheblich, wonach ein Umstürzen eines Kaffeebechers sich überall ereignen könne, sodass hier keine luftfahrtspezifische Gefahr vorliege und eine Haftung ausscheide. Denn nach Ansicht des EuGH ist ein solches besonderes Luftfahrt-Risiko für eine Haftung nach den gesetzlichen Vorschriften nicht erforderlich.
Dies beruhe schon darauf, dass es dem Geschädigten nahezu unmöglich sei, das Vorliegen eines für die Luftfahrt typischen Risikos oder eines Zusammenhangs mit der Luftfahrt im Schadensfall nachzuweisen. Vielmehr sei Unfall ein unvorhergesehenes, unbeabsichtigtes und schädigendes Ereignis. Ziel des Übereinkommens von Montreal sei es gerade, eine Regelung zur verschuldensunabhängigen Haftung von Fluglinien einzuführen und gleichzeitig für einen gerechten Interessenausgleich im Verhältnis zum Passagier zu sorgen. Dies schließe es aus, dass der Begriff des »Unfalls« die Haftung der Fluggesellschaft davon abhängig mache, dass der Schaden auf das Eintreten eines speziellen Luftfahrt-Risikos zurückgehe.
Somit haftete die Fluggesellschaft für die Verletzungen des Mädchens.