RICHARD BOORBERG VERLAG

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06.06.2022

Dieselskandal: Keine Verjährung bei Neuwagen

   

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem viel beachteten Urteil entschieden, dass Käufern von Neuwagen ein Recht auf Entschädigung zusteht, selbst wenn dieser Anspruch bereits verjährt ist. Und zwar unabhängig davon, ob der Wagen direkt oder über einen Zwischenhändler erworben wurde. Dahingegen gehen Käufer von Gebrauchtwagen nach Eintritt der Verjährung grundsätzlich leer aus, wie ein weiterer Senat des BGH noch kurz zuvor urteilte.

Zwei gleich gelagerte Fälle vor dem BGH

In diesem Urteil handelte der Hilfssenat des BGH, der für die hohe Anzahl an Klagen aus dem Dieselskandal vorübergehend eingerichtet wurde, zwei gleich gelagerte Fälle ab. In beiden Verfahren wurden Neuwagen von Volkswagen gekauft, die mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 (EU 5) ausgestattet waren. Dieser verfügte über eine Software, die erkannte, dass sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befand und leitete in diesem Zyklus einen höhere Abgasrückführungsrate und einen geringeren Stickoxidausstoß ein. Im Herbst 2015 wurde diese fragwürdige Praxis öffentlich bekannt.

In dem ersten Verfahren legte sich eine Käuferin im April 2013 einen Neuwagen VW Golf Cabrio „Life“ TDI zum Preis von 30.213,79 € direkt von der Volkswagen AG zu. In dem anderen Verfahren erwarb im Juli 2012 ein Käufer einen Neuwagen VW EOS 2.0 I TDI von einem Zwischenhändler.

Vorinstanzen: Ansprüche verjährt

Im Jahr 2020 erhoben die Käufer Klage wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung gegen die Volkswagen AG. Während in erster Instanz die Landgerichte noch zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen waren, befanden die Oberlandesgerichte, dass in beiden Fällen dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gegen die Volkswagen AG entstanden sei. Allerdings stünden diesen Ansprüchen die Einrede der Verjährung mit Ablauf des Jahres 2019 entgegen. Auch sei ein Restschadensersatz nach § 852 S. 1 BGB nicht gegeben. So sei der Schutzzweck der Norm nicht eröffnet, weil die Geltendmachung des Anspruchs nach § 826 BGB nicht erschwert oder unmöglich gewesen sei.

BGH entscheidet zugunsten der Käufer

Der BGH hob in beiden Verfahren die Urteile auf und verwies sie an die jeweiligen Oberlandesgerichte zur erneuten Entscheidung zurück. Zu Recht hätten beide Berufungsgerichte erkannt, dass die Schadensersatzansprüche verjährt gewesen seien. Allerdings stehe beiden Käufern ein Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 S. 1 BGB zu.

„Etwas erlangt“ nach § 852 S. 1 BGB

Hat nach § 852 S. 1 BGB der Ersatzpflichtige etwas durch eine unerlaubte Handlung erlangt, ist er zur Herausgabe nach den Vor schriften der ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Im Falle des direkten Erwerbs bei der Volkswagen AG durch die Käuferin im ersten Verfahren habe die Volkswagen AG den Kaufpreis für den Neuwagen erlangt. Dahingegen habe im zweiten Verfahren die Volkswagen AG die Forderung gegen den Zwischenhändler erlangt, die sich nach Erfüllung am Händlereinkaufspreis fortgesetzt habe. Nicht erfasst seien die vorgerichtlich mandatierten Anwaltskosten sowie verauslagte Finanzierungskosten, da der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB sich nicht auf solche Schäden erstrecke.

Nutzungsvorteile sind zu berücksichtigen

Dieser Vermögensvorteil müsse – unter Abzug der bereits gezogenen Nutzungen der Fahrzeuge – den Käufern ersetzt werden. Allerdings könne die Volkswagen AG nicht die Herstellungs- und Bereitstellungskosten des Neuwagens entgegenhalten. Nach §§ 818 Abs. 4, 819 BGB habe die Volkswagen AG von der unzulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis gehabt und damit gewusst, dass die Bereicherung ungerechtfertigt gewesen sei.

Autoren:
Anna Kristina Bückmann
Quelle:
BGH, Urteil vom 21.02.2022 – VIa ZR 8/21; BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 365/21.