Was geschah mit „Tarquinius und Lucretia“?
Das Rubens-Werk „Tarquinius und Lucretia“, das eine Vergewaltigungs-Szene zeigt, wird auf rund 72 Millionen Euro geschätzt. Das Gemälde hing 1930 bis Mitte des Zweiten Weltkriegs in der Bildergalerie des Schlosses Sanssouci in Potsdam. Was aber geschah danach mit dem Werk? Diese Frage beschäftigt das LG in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Ein russischer Mäzen hat Klage gegen die Schlösserstiftung erhoben. Er möchte, dass das Gericht feststellt, dass er Eigentümer des Werkes ist.
Zwei Versionen der Geschichte
Nach Angaben des russischen Mannes hing das Bild um 1945 im Schlafzimmer eines Hauses in Neuruppin in Brandenburg. Dort soll ein Offizier aus der Sowjetunion einquartiert worden sein. Als der Major um das Jahr 1950 zurück in die Sowjetunion versetzt worden sei, habe er den gesamten Hausrat, inklusive des Gemäldes, mitgenommen. Zunächst habe er es im Haus seiner Eltern untergebracht. Anschließend soll er das 1,90 mal 2,10 große Bild mit der verstörenden Szene in seine Wohnung gebracht haben. Irgendwann soll der Major dann verstorben sein. Seine Erben sollen, nach Angaben des Russen, der sich vor dem LG gerade mit der Stiftung streitet, das Werk für 800 US-Dollar einem Antiquitätenhändler verkauft haben. Das soll irgendwann kurz vor der Jahrtausendwende geschehen sein. Noch im selben Jahr will es dann der Mäzen von dem Händler erworben haben. Die Schlösserstiftung hat dagegen eine andere Version – aber dafür aus Sicht des LG keine Beweise. So soll das Werk zum Schutz vor Bombenangriffen Ende des Zweiten Weltkriegs in das Schloss Rheinsberg in Brandenburg gebracht worden sein. Von dort sei es dann geplündert worden; ein Soldat habe es in die Sowjetunion gebracht. Es sei offen, was danach mit dem Bild geschah.
Stiftung: Mäzen hätte nicht Eigentümer des Werks werden können
Die Frage, die sich die Landesrichter nun stellen müssen: Konnte der russische Mäzen das Werk beim Kauf von dem Antiquitätenhändler gutgläubig erwerben? Aus Sicht der Schlösserstiftung war das durch die Plünderung ausgeschlossen. Nach Worten des Anwalts der Stiftung seien Plünderungen von Kunst in der End- bzw. Nachkriegszeit „durchaus normal“ gewesen. Der Kunsthändler hätte Anlass zum Zweifel haben müssen, wenn er ein Werk für rund drei Millionen Dollar in Russland kaufe. „Der Vortrag des Klägers ist voller Widersprüche“, so der Anwalt der Stiftung. Damit sei er nicht redlich – und ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen.
Das Gericht prüfte am ersten Verhandlungstag am 26.10.2021 auch, ob es der Mäzen habe besitzen können. Nach russischem Recht, das hier Anwendung finde, setze dies einen gutgläubigen Besitz voraus (also, der Käufer darf nicht gewusst oder ganz naheliegende Überlegungen nicht dazu angestellt haben, dass der Verkäufer nicht Eigentümer des Werkes ist). Daneben muss der Erwerber die betreffende Sache fünf Jahre durchgängig als eigene besessen haben. Es sei unerheblich, dass der Kunsthändler das Gemälde zwischenzeitlich an Museen verlieh, so der Vorsitzende Richter der Zivilkammer. Es schade zumindest nicht seiner Position als Besitzer. Nach dem Russischen Kulturgüterschutzgesetz sei der Erwerb durch guten Glauben allerdings ausgeschlossen, wenn das Gemälde abhandengekommen sei.
Und an dieser Stelle schloss sich wieder der Kreis des zumindest bislang Nicht-Beweisbaren. Die Schlösserstiftung jedenfalls hat keine Belege über die Plünderung. Dass andere Werke zum und nach Ende des Zweiten Weltkriegs Preußen abhandengekommen seien, beweise noch nicht, dass dies auch mit dem Rubens-Werk geschah, so das Gericht.
Gericht: Einigt euch
„Der Sachverhalt umfasst rund 70 Jahre“, sagte der Vorsitzende Richter am ersten Verhandlungstag. Es sei höchst streitig, was nach 1945 mit dem Gemälde geschah. Das Gericht versuchte Stiftung und Mäzen zu überzeugen, sich zu einigen. Nach Angaben des Kunsthändler- Anwalts sei man immer zu Gesprächen bereit gewesen. Für die Stiftung, die nach Gerichtsangaben zunächst selbst Eigentümerin des Bildes gewesen sein will und dann doch nicht mehr, hätten die Größenvorstellungen zum Kaufpreis zu weit auseinander gelegen. Der Kunsthändler will das Werk für rund drei Millionen Euro erworben und zusätzliche Kosten in die Restaurierung gesteckt haben. Dafür möchte er entschädigt werden, forderte sein Anwalt im Gericht.
Das Gericht wies mehrmals deutlich darauf hin, dass die Stiftung nachweisen müsse, dass das Werk damals gestohlen worden sei. Daneben wirke ein Urteil nur „inter partes“, das bedeutet zwischen den Parteien. Theoretisch kann, auch mit einem Urteil, das die Eigentümerstellung des Kunsthändlers besiegle, noch jemand anderes daherkommen und Eigentum an dem Werk behaupten. Ein Verkündungstermin für ein Urteil legte das Gericht auf den 7.12.2021.