RICHARD BOORBERG VERLAG

×

30.06.2022

BVerfG: Teile des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes verfassungswidrig

           

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat das Bayerische Verfassungsschutzgesetz  (BayVSG) für teilweise verfassungswidrig erklärt.Einige der darin enthaltenen  Vorschriften verletzten die Grundrechte, unter anderem das Recht der informationellen  Selbstbestimmung, das Fernmeldegeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung.

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Drei Einzelpersonen, die Mitglieder und zum  Teil aktive Funktionsträger von Organisationen  sind, haben Verfassungsbeschwerde gegen  einige Vorschriften des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes  (BayVSG) erhoben.  Im Wesentlichen richtete sich ihre Verfassungsbeschwerde  gegen verschiedene Datenerhebungs-  und Ermittlungsbefugnisse aus  dem BayVSG, die dem Landesamt für Verfassungsschutz  eingeräumt wurden. Die Beschwerdeführer  standen vom Bayerischen  Landesamt für Verfassungsschutz unter Beobachtung  und wurden auch in dessen Verfassungsschutzberichten  erwähnt. Bei der Erhebung  der Verfassungsbeschwerde wurden sie  von der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ unterstützt.

Das streitgegenständliche bayerische Verfassungsschutzgesetz  wurde 2016 neugefasst  und dabei grundlegend strukturiert. Die Neufassung  erfolgte aufgrund einer Gesetzesnovelle  vom Landtag Bayern im Jahr 2016.  Grund für die Novelle war laut Angabe des  bayerischen Innenministers Joachim Herrmann  (CSU) die Notwendigkeit eines besseren  Datenaustauschs zwischen den Sicherheitsbehörden.

Das neu geregelte Verfassungsschutzgesetz  gab dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz weitreichende Befugnisse, wie  etwa die verdeckte Online-Durchsuchung von  Computern mit sogenannten Staatstrojanern,  den Einsatz von V-Leuten zur Beobachtung,  die Übermittlung und Verarbeitung von Informationen  und viele mehr. Gegen diese Vorschriften  wandten sich die Beschwerdeführer  mit ihrer Klage.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht gab den Beschwerdeführern  Recht. Es erklärte die  Vorschriften des BayVSG für teilweise verfassungswidrig  und führte in seinen Entscheidungsgründen  umfangreich aus, welche Hürden  der Gesetzgeber beachten müsse, unter  welchen Voraussetzungen besonders grundrechtsintensive  Maßnahmen zulässig seien.

Nach Ansicht der Verfassungsrichter seien  unter anderem folgende Vorschriften des Verfassungsschutzgesetzes  teilweise verfassungswidrig:  Zum einen verstoße der Art. 9  des BayVSG, der die Wohnraumüberwachung  regelt, gegen Art. 13 GG, das Grundrecht der  Unverletzlichkeit der Wohnung. Danach sind  Wohnraumüberwachungen nur zur Abwehr  dringender Gefahren erlaubt. Diesen Anforderungen  werde Art. 9 BayVSG nicht gerecht, da  die Maßnahme nicht final auf die Abwehr  einer Gefahr ausgerichtet sei.

Zudem sei Art. 12 Abs.1 des BayVSG verfassungswidrig,  die Ortung von Mobilfunkendgeräten.  Die Befugnisse der Mobilfunkortung  seien hier zu weit gefasst, sodass sie auch  eine langdauernde Überwachung der Bewegungen  der Betroffenen erfasse, also ein sogenanntes  Bewegungsprofil erstellen würden.  An der Erstellung eines Bewegungsprofils  fehle es jedoch im Gesetz an den verfassungsrechtlichen  Anforderungen. Es wäre eine gesteigerte  Beobachtungsbedürftigkeit vorauszusetzen,  und der Behörde müssten dafür  Anhaltspunkte gegeben werden.

Zudem sei der Art. 10 Abs.1 BayVSG verfassungswidrig,  in dem die Online-Durchsuchung  geregelt ist. Danach ist das Landesamt  ermächtigt, mit technischen Mitteln  Daten auf den von den Betroffenen genutzten  Computern zu erheben. Dies verstoße gegen  das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.  Eine Online-Durchsuchung  dürfe nach Ansicht der Verfassungsrichter  nur zur Abwehr einer mindestens konkretisierten  Gefahr zugelassen werden.

Art. 18 und Art. 19 des BayVSG, die Regelungen  zum Einsatz von Verdeckten Ermittlern  und Vertrauensleuten enthalten, seien ebenfalls  verfassungswidrig, weil auch sie gegen  das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung  verstießen. Es seien hierfür keine  hinreichenden Eingriffsschwellen vorhanden.

Anmerkung

Der bayerische Gesetzgeber hat nun die Möglichkeit,  das BayVSG verfassungskonform  auszugestalten. Es gehe um das Spannungsverhältnis  zweier Herzensanliegen unserer  Verfassung, der wehrhaften Demokratie einerseits  und des Schutzes persönlicher Freiheit  andererseits, so der Präsident des Bundesverfassungsgerichts  Stephan Haberts. Der  bayerische Innenminister Joachim Herrmann  kündigte an, die Vorgaben möglichst schnell  umzusetzen. Das Gericht hat hierfür eine Frist  bis Juli 2023 gesetzt.

Autoren:
Tatjana Wellenreuther
Quelle:
BVerfG, Urteil vom 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17