RICHARD BOORBERG VERLAG

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25.09.2020

Ausgleichszahlung der Airline bei Verspätung wegen renitenten Passagiers?

Das störende Verhalten eines Fluggasts kann einen »außergewöhnlichen Umstand « darstellen, der das Luftfahrtunternehmen von seiner Verpflichtung befreit, wegen großer Verspätung an die Fluggäste Ausgleichszahlungen zu leisten (EuGH).

Das störende Verhalten eines Fluggasts kann einen »außergewöhnlichen Umstand « darstellen, der das Luftfahrtunternehmen von seiner Verpflichtung befreit, wegen großer Verspätung an die Fluggäste Ausgleichszahlungen zu leisten (EuGH).

Herr H reservierte bei einer Fluggesellschaft einen Flug von Fortaleza (Brasilien) nach Oslo mit Zwischenstopp in Lissabon. Allerdings konnte er seinen Anschlussflug von Lissabon nach Oslo nicht erreichen, da sich die Ankunft des Flugzeugs für den Abflug von Fortaleza verzögerte. Diese Verspätung hatte ihren Grund darin, dass das Flugzeug, das von Lissabon nach Fortaleza fliegen sollte, wegen eines randalierenden Passagiers nach Gran Canaria umgeleitet werden musste. Dadurch war der Abflug in Brasilien ganz erheblich verspätet, sodass Herr H erst fast 24 Stunden später als geplant in Oslo eintraf.

Er verlangte daraufhin von der Fluggesellschaft eine Entschädigung in Höhe von 600 € nach der EU-Fluggastrechteverordnung.

Hierüber kam es zum Streit mit der Airline; diese war der Auffassung, dass sie für die Verspätung nicht verantwortlich sei. Bei dem renitenten Fluggast handle es sich um einen »außergewöhnlichen Umstand«, den die Fluggesellschaft nicht beherrschen könne und daher nicht hafte.

Das daraufhin mit der Streitigkeit befasste Gericht war der Ansicht, dass EU-Recht betroffen sei. Es legte daher dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Handelt es sich bei einem Fluggast, der während des Flugs randaliert und von Bord gebracht werden muss, was einen Zwischenstopp erfordert, um einen außergewöhnlichen Umstand, für den die Fluggesellschaft nicht einzustehen braucht?

Nach Auffassung des EuGH ist dies unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

EU-Fluggastrechteverordnung

Nach der EU-Fluggastrechteverordnung hat der Reisende bei Verspätungen von mehr als drei Stunden, bei kurzfristig gestrichenen oder überbuchten Flügen Anspruch auf eine Entschädigung, den sog. Ausgleichsanspruch. Dessen Höhe bemisst sich nach Entfernungskilometern und beträgt entweder 250 €, 400 € oder 600 € bei Langstreckenflügen.

Ausnahmsweise ist die Fluggesellschaft von der Zahlung der Ausgleichsansprüche befreit, wenn »außergewöhnliche Umstände « vorliegen. Hierbei handelt es sich um Vorkommnisse, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Luftfahrtgesellschaft sind und von ihr tatsächlich nicht beherrscht werden können.

Nach Einschätzung des Gerichts war das störende Verhalten des Fluggasts, das zu einer Umleitung des Flugzeugs geführt hatte, nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit einer Airline. Ein solches Fehlverhalten eines Passagiers sei von dem Luftfahrtunternehmen grundsätzlich nicht zu beherrschen, da das Verhalten eines Fluggastes und seine Reaktionen auf Anweisungen der Besatzung nicht vorhersehbar seien; an Bord eines Luftfahrzeugs haben der Kommandant und die Besatzung ohnehin nur begrenzte Mittel, ein solches Verhalten zu beherrschen.

Allerdings – so das Gericht weiter – sei ein solcher Vorfall nicht stets und generell, sozusagen automatisch ein außergewöhnlicher Umstand. Denn stelle sich heraus, dass das Luftfahrtunternehmen zum Verhalten des Passagiers beigetragen habe oder es aufgrund von Anzeichen auf ein solches Verhalten in der Lage gewesen sei, angemessene Maßnahmen vor dem Abflug zu treffen, sei ein außergewöhnlicher Umstand zugunsten der Fluggesellschaft zu verneinen. Etwa dann, wenn das Luftfahrtunternehmen einen Fluggast an Bord gehen lasse, der vor oder beim Anbordgehen bereits Verhaltensstörungen (z. B. stark alkoholisiert) gezeigt habe.

Ob im vorliegenden Fall ein solcher Umstand gegeben war, muss nunmehr das vorlegende Gericht prüfen.

Anmerkung:

Die Richter entschieden zusätzlich, dass sich ein Luftfahrtunternehmen nicht auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen könne, wenn es nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zum schnellstmöglichen Weitertransport des Passagiers getroffen habe. Es reiche nicht, dem betroffenen Fluggast eine anderweitige Beförderung zu seinem Ziel durch den nächsten Flug anzubieten, den die betreffende Airline selbst durchführt. Vielmehr muss sie im Rahmen des Zumutbaren versuchen, ggf. bei einem anderen Luftfahrtunternehmen einen Weiterflug für den Fluggast zu arrangieren.

Autoren:
Klaus Krohn
Quelle:
Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. 06. 2020 – C-74/19