Ein Ehepaar buchte einen Direktflug von Helsinki nach Singapur. Dieser Flug wurde jedoch aufgrund eines in der Maschine aufgetretenen technischen Problems annulliert. Nach Annahme eines entsprechenden Angebots der Fluggesellschaft wurde das Ehepaar auf einen Ersatzflug, Abflug am darauffolgenden Tag, umgebucht, den die dieselbe Fluggesellschaft ausführen sollte. Wegen einer ausgefallenen Servolenkung an dem Steuerruder der betreffenden Maschine verzögerte sich jedoch der Abflug; das Ehepaar kam erst ca. sechs Stunden später als vorgesehen in Singapur an.
Die Fluggastgesellschaft zahlte eine Ausgleichsleistung von 600 € pro Person wegen der Annullierung des ursprünglichen Flugs. Sie weigerte sich jedoch, die zweite von dem Ehepaar verlangte Ausgleichszahlung von jeweils 600 € zu leisten. Denn zum einen bestehe nach der entsprechenden EU-Vorschrift kein Anspruch auf eine zweite Ausgleichszahlung; zum anderen sei der Alternativflug wegen außergewöhnlicher Umstände, die die Airline nicht zu vertreten habe, verzögert gewesen. Eine der drei Servolenkungen des Steuerruders des Flugzeugs sei ausgefallen; hierbei handele es sich nach Angaben des Herstellers des Flugzeugs um versteckte Fabrikationsfehler. Zudem handele es sich bei der Servolenkung des Steuerruders um ein sogenanntes On-condition-Teil, das nur bei Defekt des früheren Teils durch ein neues Teil ersetzt werde.
Das mit dem Rechtsstreit befasste Gericht war der Auffassung, dass EU-Recht für die Entscheidung des Falls einschlägig sei. Es legte daher dem Gerichtshof der Europäischen Union den Rechtsstreit zur Vorabentscheidung vor.
EU-Fluggastrechteverordnung
Nach der EU-Fluggastrechteverordnung hat der Reisende bei Verspätungen von mehr als drei Stunden, bei kurzfristig gestrichenen oder überbuchten Flügen Anspruch auf eine Entschädigung, den sog. Ausgleichsanspruch. Dessen Höhe bemisst sich nach Entfernungskilometern und beträgt entweder 250 €, 400 € oder 600 € bei Langstreckenflügen.
Doppelte Ausgleichszahlung für dieselbe Reisestrecke
Der Gerichtshof stellte klar, dass die EU-Verordnung keine Regelung enthalte, mit der die Rechte der Fluggäste beschränkt werden sollen; dies gelte auch für ihren etwaigen Ausgleichsanspruch. Fluggäste, die Annullierung oder Verspätungen hinnehmen müssten, hätten nämlich diese Unannehmlichkeiten sowohl bei Annullierung ihres ursprünglich gebuchten Flugs als auch später wegen der großen Verspätung ihres Alternativflugs. Daher stehe es im Einklang mit dem Ziel der EU-Verordnung, Fluggästen einen Ausgleichsanspruch für jede dieser aufeinanderfolgenden Unannehmlichkeiten einzuräumen.
Keine außergewöhnlichen Umstände zugunsten der Fluggesellschaft
Ausnahmsweise ist die Fluggesellschaft von der Zahlung der Ausgleichsansprüche befreit, wenn »außergewöhnliche Umstände « vorliegen. Hierbei handelt es sich um Vorkommnisse, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Luftfahrtgesellschaft sind und von ihr tatsächlich nicht beherrscht werden können. Technische Mängel, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen, können als solche grundsätzlich keine außergewöhnlichen Umstände darstellen.
Der hier vorliegende Defekt eines sogenannten »On-condition-Teils«, auf dessen Austausch sich das Luftfahrtunternehmen durch ständiges Vorrätighalten eines Ersatzteils vorbereiten könne, sei aber ein Vorkommnis, das seiner Natur nach Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit einer Airline sei und von ihr tatsächlich zu beherrschen sei.
Das Luftfahrtunternehmen könne sich also nicht auf außergewöhnliche Umstände berufen, die mit dem Defekt eines solchen technischen Teils zusammenhängen.
Demnach war die Airline insgesamt verpflichtet, sowohl für den ursprünglichen (annullierten) Flug als auch den (mehr als drei Stunden verspäteten) Alternativflug jeweils eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600 € an beide Eheleute, insgesamt also 2 400 €, zu bezahlen.