RICHARD BOORBERG VERLAG

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24.12.2021

Abgasskandal: Sog. „Thermofenster“ keine unzulässige Abschalteinrichtung

     

Zum wiederholten Male urteilte der Bundesgerichtshof, dass der Einsatz der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (sog. Thermofenster) keine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt.

In diesem Urteil zum Einsatz der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (»Thermofenster«) wurden vom Bundesgerichtshof (BGH) gleich vier Klagen gegen die Daimler AG abgehandelt.

Vier Käufer kauften Mercedes-Modelle mit Dieselmotor

Dabei richteten sich vier Käufer von Fahrzeugen der Marke Mercedes-Benz gegen den Daimler Konzern. Ein Käufer erwarb im Januar 2016 einen gebrauchten Mercedes- Benz C 250 CDI zum Preis von 16.900 €. Ein weiterer Käufer kaufte im Juli 2012 einen gebrauchten Mercedes- Benz GLK 250 CDI 4M BE zum Preis von 43.950 €. Der dritte Käufer kaufte im November 2016 ebenfalls einen gebrauchten Mercedes-Benz GLK CDI 4M BE zum Preis von 23.760 € und im August 2016 ein weiterer Käufer einen gebrauchten Mercedes-Benz B 180 für 20.900 €. Alle Fahrzeuge sind mit dem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet. Das Kraftfahrbundesamt hatte für die Fahrzeuge keinen Rückruf angeordnet. In diesen Motoren ist eine vielgenutzte Technik verbaut, die eine Abgasreinigung durch Rückführung der Abgase in den Motor ermöglicht. Die Abgase werden bei dieser Technik ein weiteres Mal in den Verbrennungsprozess zurückgeführt und erneut verbrannt. Dieses Verfahren greift allerdings nur bei bestimmten Temperaturen ein. Bei kälteren Temperaturen wird dieser Mechanismus erst gedrosselt und schließlich ganz abgeschaltet, um – laut der Daimler AG – den Motor zu schützen. Die Käufer sind der Ansicht, dass es sich bei diesem Verfahren um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.

Motor-Einbau objektiv und subjektiv sittenwidrig?

Der BGH hat die Klagen der Käufer zurückgewiesen.1 Für eine sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB – wie im Falle der rechtswidrigen Abschalteinrichtungen im »Abgasskandal« – benötigt es den objektiven und subjektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit. Insoweit könne es dahinstehen, ob objektiv eine derartige Technik eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. v. Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstelle. Allein der Verstoß gegen diese Norm genüge gerade nicht, um eine sittenwidrige Schädigung anzunehmen. Vielmehr erfordere es ein Bewusstsein darüber, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den zugrundeliegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf zu nehmen.

Darüber hinaus fehle es jedenfalls an einem Schädigungsvorsatz der Verantwortlichen des Daimler Konzerns. Aus der objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung folge nicht der Vorsatz der Verantwortlichen, eine Schädigung der Käufer zumindest billigend in Kauf genommen zu haben.

BGH: Auch kein Schadensersatz wegen Thermofenster für VW-Kunden

Diese Entscheidung stimmt mit früheren Entscheidungen des BGH überein. Im März 20212 und im Juli 20213 entschieden die Richter in Karlsruhe, dass VW-Kunden aufgrund des Einsatzes eines Thermofensters kein Schadensersatz zusteht.

Vor dem EuGH »Thermofenster« womöglich unvereinbar mit Unionsrecht

Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) droht der Autoindustrie derweil eine Schlappe. In einem Gutachten stellt der Generalanwalt Athanasios Rantos fest, dass ein »Thermofenster« eine Abschalteinrichtung ist und dieses auch nicht – wie von VW vorgetragen – zum Schutz des Motors zulässig ist.4 Diese Abschalteinrichtung diene vornehmlich der Schonung von Anbauteilen wie AGR-Ventil, AGR Kühler und Dieselpartikelfilter und nicht dem Motor selbst. Der EuGH schließt sich häufig den Empfehlungen des Generalanwalts an, ist aber nicht an sie gebunden. Ein Urteil zu dieser Sache ist in den kommenden Monaten zu erwarten.

Autoren:
Anna Kristina BückmaNN
Quelle:
1) VII ZR 190/20, VII ZR 286/20, VII ZR 321/20 und VII ZR 322/20; 2) VI ZR 889/20; 3) VI ZR 128/20; 4)= Schlussanträge des Generalanwalts vom 23.09.2021 – C-128/20