RICHARD BOORBERG VERLAG

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11.04.2023

      

Wirecard-Aktionäre keine Gläubiger?

            

Die 29. Zivilkammer des Landgerichts München I hat die unter anderem gegen den Insolvenzverwalter der Wirecard AG gerichtete Klage einer Kapitalverwaltungsgesellschaft auf Feststellung von Schadenersatzforderungen zur Insolvenztabelle abgewiesen.

Die Parteien streiten über das Bestehen und die insolvenzrechtliche Einordnung kapitalmarktrechtlicher Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Insolvenz.

Die Klägerin erwarb als Kapitalverwaltungsgesellschaft für institutionelle Anleger im Zeitraum 01.01.2015 bis 12.06.2020 Aktien der x (nachfolgend Schuldnerin) für Fonds. Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter der Schuldnerin. Die Beklagte ist die gemeinsame Vertreterin der Gläubiger einer von der Schuldnerin ausgegebenen Schuldverschreibung.

Die Schuldnerin war eine im DAX gelistete Aktiengesellschaft, deren Geschäftsgegenstand Dienstleistungen im Zahlungsverkehr waren. Am 18.06.2020 informierte die Abschlussprüferin der Schuldnerin diese darüber, dass über die Existenz von Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden € keine ausreichenden Prüfungsnachweise zu erlangen gewesen wären. In der Folge verweigerte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Erteilung eines positiven Testates für den Jahresabschluss 2019. Im Juni 2020 teilte die Schuldnerin mit, dass Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden € mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht existierten. Dieser Betrag stellte ca. ¼ des Gesellschaftsvermögens dar. Am 25.06.2020 stellte die Schuldnerin Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Amtsgericht München hat das Insolvenzverfahren am 25.08.2020 eröffnet.

Seit dem Jahr 2005 hatte die Schuldnerin wiederholt in Pressemitteilungen, Interviews, Adhoc-Mitteilungen und anderen Veröffentlichungen positiv über ihren Geschäftsverlauf berichtet. Bei der Staatsanwaltschaft wird gegen den Streithelfer und das vormalige Vorstandsmitglied ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, Untreue, unrichtiger Darstellung und Marktmanipulation in mehreren Fällen geführt. Der Streithelfer war Vorstandsvorsitzender der Schuldnerin und befindet sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts München in Untersuchungshaft. Das ehemalige Vorstandsmitglied ist seit Juni 2020flüchtig und wird seit dem 05.08.2020 mit öffentlicher Fahndung gesucht. Trotz Hinweisen, dass er sich in Russland aufhalte, ist ein tatsächlicher Aufenthaltsort bislang nicht bekannt geworden.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin meldete die Klägerin am 26.10.2020 schriftlich beim Beklagten ihre Ansprüche als Hauptforderungen zur Insolvenztabelle mit dem Rang gemäß § 38 InsO an. Im Prüfungstermin vom 15.04.2021 widersprachen die Beklagten den angemeldeten Forderungen.

Die Klägerin begehrt die Feststellung kapitalmarktrechtlicher Schadensersatzansprüche aus §§ 826, 31 BGB, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit verschiedenen Schutzgesetzen und darüber hinaus aus §§ 97, 98 WpHG (§§ 37b, 37c WpHG a.F.) zur Insolvenztabelle. Die Ansprüche würden sich dem Grunde nach aus §§ 826, 31 BGB wegen der Täuschung der Klägerin über ein tatsächlich nicht existierendes Geschäftsmodell, ihre Vermögens- und Ertragslage und aufgrund vorsätzlicher Insolvenzverschleppung ergeben; zudem stützt die Klägerin ihre Ansprüche auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit verschiedenen Schutzgesetzen und darüber hinaus teilweise auf §§ 97, 98 WpHG (§§ 37b, 37c WpHG a.F.), weil die Schuldnerin unwahre Insiderinformationen veröffentlicht habe.

Die Klagepartei meint, dass ihre kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüche als Insolvenzforderungen im Rang des § 38 InsO zur Insolvenztabelle festzustellen seien, da es sich um persönliche Vermögensansprüche handle, die nicht erst im Rahmen einer Überschussverteilung nach § 199 S. 2 InsO zu berücksichtigen seien. Die nur wegen der Schädigungshandlung erworbene Aktionärsstellung müsse wegen des Grundsatzes der Totalreparation im Verhältnis zur Emittentin außer Betracht bleiben. Vielmehr seien die getäuschten Anleger auch im Insolvenzverfahren wie jeder andere Gläubiger zu behandeln. Denn die Kapitalmarkthaftung sichere nicht die Entwertung des Anteils ab, mithin ein Kursverlustrisiko, sondern die Verkürzung des Anlegervermögens durch die irrtumsbehaftete Investitionsentscheidung. Darüber hinaus werde die Einordnung im Rang des § 38 InsO von der Marktmissbrauchsverordnung in Verbindung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz vorausgesetzt. Nach Ansicht der Klagepartei werde dieses Ergebnis wertungsmäßig durch den Schutzzweck der Kapitalmarkthaftung abgesichert, während eine Einordung unter § 199 InsO zu erheblichen Wertungswidersprüchen führen würde. Dies entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers, wie die Kapitalmarktreformen zeigten. Indem der Gesetzgeber die kapitalmarktrechtlichen Haftungsgrundlagen geschaffen habe, ohne zugleich einen insolvenzrechtlichen Nachrang anzuordnen, habe er zu erkennen gegeben, dass die vollumfängliche, nichtnachrangige Berücksichtigung dieser Forderungen im Insolvenzverfahren seinem gesetzgeberischen Konzept entspreche. Darüber hinaus bestätige auch die bisher ergangene Rechtsprechung den Vorrang der Kapitalmarkthaftung. Dies müsse auch in der Insolvenz gelten. Schließlich seien kapitalmarktrechtliche Schadensersatzansprüche auch nicht als nachrangig im Sinne von § 39 InsO zu behandeln.

Die Klagepartei beantragt zuletzt Forderungen in Höhe von insgesamt 9.836.098,79 € im Insolvenzverfahren.

Die Beklagten sowie die Streithelfer beantragen Klageabweisung.

Darüber hinaus beantragt der Beklagte im Wege der Widerklage:

Im Wege der Zwischenfeststellungswiderklage (§ 256 Abs. 2 ZPO) wird festgestellt, dass die von der Klägerin unter der lfd. Nr. 05.04.2001 zur Insolvenztabelle angemeldeten angeblichen Schadensersatzansprüche keine Insolvenzforderungen i.S.d. §§ 38, 39 InsO, sondern aus der Mitgliedschaft der Klägerin, die allein im Rahmen der Überschussverteilung (§ 199 S. 2 InsO) berücksichtigt werden können, darstellen.

Die Klägerin beantragt Abweisung der Widerklage.

Der Beklagte hält die streitgegenständlichen  (vermeintlichen) Schadensersatzansprüche nicht für eine Insolvenzforderung, die im Rang des § 38 zur Tabelle angemeldet werden könne. Die Vermögenseinbußen würden unmittelbar mit der jeweiligen Aktionärsstellung zusammenhängen. Nach ihrer Ansicht gingen die Regelungen des Insolvenzrechts zum Verteilungskonflikt zwischen Fremd- und Eigenkapitalgeber vor. Aktionäre wären weniger schutzbedürftig als sonstige Gläubiger. Jedenfalls aber müsse man die geltend gemachten Forderungen als nachrangig im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (analog) einstufen. Dem Aktienerwerb auf dem Sekundärmarkt käme zumindest eine mittelbare Finanzierungsfunktion zu. Zudem stünden der Klägerin die behaupteten Schadensersatzansprüche weder dem Grunde, noch der Höhe nach zu.

Darüber hinaus ist der Beklagte der Ansicht, dass die Zwischenfeststellungswiderklage zulässig sei. Die insolvenzrechtliche Qualifikation einer bestimmten (angeblichen) Forderung als Insolvenzforderung i.S.d. §§ 38, 39 InsO sei ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Die Rechtsfrage sei auch vorgreiflich, da über den Rechtsstreit nicht entschieden werden könne, ohne dass die insolvenzrechtliche Qualifikation der geltend gemachten Schadensersatzansprüche geklärt werde. Dieser Streitgegenstand sei auch nicht vom Streitgegenstand der Tabellenfeststellungsklage umfasst.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass es für den vorliegenden Rechtsstreit maßgeblich auf die Rangfrage ankäme. Kapitalmarktrechtliche Schadensersatzansprüche von Aktionären seien keine Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO. Denn der insolvenzrechtliche Rang von Forderungen richte sich allein nach insolvenzrechtlichen Vorgaben. Das Insolvenzrecht ordne an, dass mitgliedschaftliche Ansprüche ebenso wie solche, die zumindest mitgliedschaftlichen Bindungen unterliegen, allein bei der Verteilung eines eventuellen Überschusses im Nachgang zur Schlussverteilung gemäß § 199 S. 2 InsO befriedigt werden können. Die behaupteten Täuschungshandlungen änderten nichts an der bewussten Entscheidung der Klägerin zur Investition in das Eigenkapital der Schuldnerin. Die behaupteten Schadensersatzansprüche würden sich unmittelbar zulasten anderer Gläubiger auswirken, was nicht sachgerecht sei.

Die Klägerin hält die Zwischenfeststellungswiderklage aufgrund entgegenstehender Rechtshängigkeit für unzulässig. Streitgegenstand der Tabellenfeststellungsklage sei das Bestehen einer Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO gegen die Schuldnerin aufgrund deren deliktischen und kapitalmarktrechtlichen Fehlverhaltens. Mit der erhobenen Zwischenfeststellungswiderklage begehre der Beklagte nicht die zulässige Feststellung eines vorgreiflichen Rechtsverhältnisses, sondern mache (lediglich) das „kontradiktorische Gegenteil“ des Gegenstandes der Klage geltend. Wenn das Gericht auf die Klage hin feststelle, dass es sich um Insolvenzforderungen handle, stünde damit zugleich das Gegenteil fest, nämlich, dass es sich nicht um Forderungen außerhalb des Anwendungsbereiches des § 38 InsO handle.

Der Beklagte hat den ehemaligen Vorständen der Schuldnerin den Streit verkündet. Mit Schreiben vom 14.03.2022 ist der Streitverkündete auf Seiten des Beklagten dem Rechtsstreit beigetreten. Mit Schriftsatz vom 13.05.2022 ist die Streitverkündete auf Seiten der beiden Beklagten dem Rechtsstreit beigetreten.

Die Beklagte ist der Zwischenfeststellungswiderklage mit Schriftsatz vom 27.07.2022 auf Seiten des Beklagten als Nebenintervenientin beigetreten.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2022 verwiesen.

RDW-Redaktion
Quelle:
LG München I, Urteil vom 23.11.2022 – 29 O 7754/21.