RICHARD BOORBERG VERLAG

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08.11.2022

  

Was die Ampel-Koalition für die Sicherung guter Lebensverhältnisse plant (Teil 9)

  

Unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ hat die rot-grün-gelbe Ampelkoalition einen 177 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag vorgelegt. Wir haben die wesentlichen Absichtserklärungen von SPD, Grünen und FDP, die sich auf den Alltag von kleinen und mittleren Unternehmen auswirken können, für Sie zusammengeführt. Der folgende Beitrag ist eine Zusammenstellung von Original-Textauszügen (Teil 9: Seite 121–133). Fortsetzung des Beitrags aus RdW Kurzreport Heft 18, S. 849, Rn. 296.

Gute Lebensverhältnisse in Stadt und Land

Wir wollen für gute Lebensbedingungen in Stadt und Land sorgen. Wir werden intensiv daran arbeiten, die innere Einheit sozial und wirtschaftlich zu vollenden. Insbesondere die Erfahrungen der Ostdeutschen wollen wir für die anstehenden Transformationsprozesse in ganz Deutschland nutzen. Digitalisierung, Energiewende und neue Formen der Mobilität eröffnen die Chance auf noch mehr regionale Wertschöpfung und eine neue Dynamik.

Wir wollen ein neues kooperatives Miteinander mit den Kommunen. Unser Ziel sind leistungsfähige Kommunen mit einem hohen Maß an Entscheidungsfreiheit vor Ort, eine verlässliche öffentliche Daseinsvorsorge, eine starke Wirtschaft und eine engagierte Zivilgesellschaft. Gleichwertige Lebensverhältnisse sind die Basis für Vertrauen in unsere Demokratie und halten unser Land zusammen.

Wir werden das gesamtdeutsche Fördersystem und die unter diesem Dach gebündelten Förderprogramme – orientiert an der Stärkung der strukturschwachen Regionen – weiterentwickeln. Wir werden Förderprogramme zusammenfassen, vereinfachen, flexibilisieren, harmonisieren und die Mittel prioritär dorthin fließen lassen, wo der Nachholbedarf am größten ist. Mit Bundesförderung leisten wir einen möglichst großen Beitrag zu Klimaschutz, Ertüchtigung der Infrastruktur sowie Barrierefreiheit vor Ort. Kommunen sollen zur Inanspruchnahme von Förderprogrammen besser beraten werden. Hürden beim Mittelabruf werden wir abbauen, für finanzschwache Kommunen z.B. durch die Reduzierung oder den Ersatz von Eigenanteilen. Nicht abgerufene Fördermittel stellen wir zweckgebunden weiterhin (überjährig) für Förderungen der Kommunen zur Verfügung.

Bund und Länder sind gleichermaßen in der Verantwortung für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen. Gezielt zu diesem Zweck werden wir die Mittel von GRW und GAK jährlich dynamisch erhöhen. Wir wollen die Möglichkeiten der Infrastrukturförderung in der GRW und GAK erweitern, deren Anwendbarkeit flexibilisieren und die mehrjährige Übertragbarkeit der Mittel sicherstellen. Der Sonderrahmenplan „Ländliche Entwicklung“ wird aufgestockt und ausgebaut. Wir prüfen einen neuen Fördertatbestand „Regionale Daseinsvorsorge“ innerhalb der GRW.

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Wir werden Bürgerbeteiligung in Verantwortung der kommunalen Selbstverwaltung unterstützen, z.B. bei regionalen Entwicklungskonzepten, Regionalmanagements und Regionalbudgets.

Alle Bundesförderprogramme werden regelmäßig evaluiert und auf ihre räumliche Wirkung mit einheitlichen Datenstandards überprüft. Die Ergebnisse werden in einem periodischen Gleichwertigkeitsbericht veröffentlicht und die Fortschritte bezüglich gleichwertiger Lebensverhältnisse transparent gemacht. Das Monitoring ist verbindliche Grundlage für die Weiterentwicklung aller Förderprogramme.

Die Beteiligung von Standort- und Nachbarkommunen an der Wertschöpfung für Freiflächen- Photovoltaik- und Onshore-Windkraft- Anlagen wollen wir auf Bestandsanlagen ausdehnen und werden wir für Neuanlagen verpflichtend machen. Wir prüfen finanzielle Instrumente, um die Akzeptanz in vom Übertragungsnetzausbau betroffenen Kommunen zu erhöhen.

Bei neuen Aufgaben, die der Bund auf die anderen Ebenen übertragen will, wird auf die Ausgewogenheit der Finanzierung stärker geachtet. Dazu gehört auch weiterhin eine Beteiligung des Bundes an den Kosten der Flüchtlingsunterbringung, -versorgung und -integration sowie die dauerhafte Beteiligung des Bundes an den Kosten der Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern.

Den direkten Dialog mit den Kommunalpolitikerinnen und -politikern und ihren Vereinigungen bauen wir aus.

Im Rahmen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen wollen wir den Kommunen bei der Lösung der Altschuldenproblematik helfen.

Alle Menschen in Deutschland müssen sich auf moderne Standards verlassen können. Dazu gehören vernetzte, alltagstaugliche, bezahlbare und klimafreundliche Mobilität, schnelle Mobilfunk- und Breitbandverbindungen, Gesundheitsversorgung, Bildungs-, Kultur- und Sportangebote.

Die Erschließungs- und Qualitätsstandards für ein alltagstaugliches Mobilitätsangebot als möglichst vollwertige Alternative zum motorisierten Individualverkehr wollen wir im Jahr 2022 zwischen Bund, Ländern und Kommunen definieren. Die Bahn muss in ganz Deutschland zum Rückgrat der Mobilität werden – auch im ländlichen Raum. Einen Schwerpunkt setzen wir dabei auf den Ausbau der Schieneninfrastruktur und des Bahnbetriebes. Wir wollen individuelle und öffentliche Mobilität verknüpfen und durch neue flexible Angebote auch privater Anbieter ergänzen. Dazu nutzen wir das Potenzial der Digitalisierung und unterstützen die Kommunen bei diesen neuen Herausforderungen.

Wir wollen die Chancen der Digitalisierung für Stadt und Land besser erschließen. Der Bund schafft die Voraussetzungen, dass das OZG in den Kommunen erfolgreich und praktikabel umgesetzt werden kann. Das Bundesprogramm Smart Cities wird fortgeschrieben und erweitert auf Smart Regions, dabei soll es agiler gestaltet und mit städtebaulichen Fragen verknüpft werden.

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Die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen werden wir weiterhin solidarisch unterstützen. Wir werden Maßnahmen ergreifen, um insbesondere eine industrielle Wertschöpfung vor Ort zu erhalten und Innovation zu ermöglichen. Dafür wollen wir auch das Konzept von Reallaboren nutzen.

Das Strukturstärkungsgesetz und das Bundesprogramm STARK passen wir an den beschleunigten Kohleausstieg an. Wir werden die im Strukturstärkungsgesetz vereinbarten Verkehrsinfrastrukturprojekte, insbesondere im Bereich Schieneninfrastruktur, wie geplant umsetzen. Für die Förderung von Neuansiedlungen von Unternehmen und das Wachstum von Bestandsunternehmen wollen wir alle Möglichkeiten des Strukturstärkungsgesetzes nutzen.

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Wir verbessern die Repräsentation Ostdeutscher in Führungspositionen und Entscheidungsgremien in allen Bereichen. Für die Ebene des Bundes legen wir bis Ende 2022 ein Konzept zur Umsetzung vor. Die Erfahrungen der Ostdeutschen im Wandel und die Bedingungen für gelingende Transformation sollen im neuen „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ für zukünftige Herausforderungen erforscht und besser vermittelt werden. Die Standortausschreibung soll Anfang 2022 zügig auf den Weg gebracht werden.

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Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt

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Europa

Eine demokratisch gefestigtere, handlungsfähigere und strategisch souveränere Europäische Union ist die Grundlage für unseren Frieden, Wohlstand und Freiheit. In diesem Rahmen bewältigen wir die großen Herausforderungen unserer Zeit wie Klimawandel, Digitalisierung und Bewahrung der Demokratie. Eine solche EU bleibt einer multilateralen und regelbasierten Weltordnung verpflichtet und orientiert sich an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDG).

Wir setzen uns ein für eine EU, die ihre Werte und ihre Rechtsstaatlichkeit nach innen wie außen schützt und entschlossen für sie eintritt. Als größter Mitgliedstaat werden wir unsere besondere Verantwortung in einem dienenden Verständnis für die EU als Ganzes wahrnehmen.

Zukunft der Europäischen Union

Die Konferenz zur Zukunft Europas nutzen wir für Reformen. Erforderliche Vertragsänderungen unterstützen wir. Die Konferenz sollte in einen verfassungsgebenden Konvent münden und zur Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen, der dezentral auch nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit organisiert ist und die Grundrechtecharta zur Grundlage hat. Wir wollen das Europäische Parlament (EP) stärken, z.B. beim Initiativrecht; vorzugsweise in den Verträgen, andernfalls interinstitutionell. Wir werden der Gemeinschaftsmethode wieder Vorrang geben, aber wo nötig mit einzelnen Mitgliedstaaten vorangehen.

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Wirtschafts- und Währungsunion, Fiskalpolitik

Wir wollen die Wirtschafts- und Währungsunion stärken und vertiefen. Der Stabilitätsund Wachstumspakt (SWP) hat seine Flexibilität bewiesen. Auf seiner Grundlage wollen wir Wachstum sicherstellen, die Schuldentragfähigkeit erhalten und für nachhaltige und klimafreundliche Investitionen sorgen. Die Weiterentwicklung der fiskalpolitischen Regeln sollte sich an diesen Zielen orientieren, um ihre Effektivität angesichts der Herausforderungen der Zeit zu stärken. Der SWP sollte einfacher und transparenter werden, auch um seine Durchsetzung zu stärken.

Next Generation EU (NGEU) ist ein zeitlich und in der Höhe begrenztes Instrument und wir wollen, dass mit dem Wiederaufbauprogramm ein schneller und zukunftsgerichteter Aufschwung nach der Krise in ganz Europa gelingt. Das liegt auch im elementaren deutschen Interesse. Die im Rahmen NGEU verabredeten qualitativen Vorgaben und Reformmaßnahmen müssen eingehalten werden. Wir werden sicherstellen, dass die Rückzahlungen von NGEU nicht zu Kürzungen bei EU-Programmen und -Mitteln führen. Wir stehen zu den Erklärungen der EU-Institutionen vom 11.11.2020 und den Erklärungen und der Verordnung des Rats vom 14.12.2020 und zu den Prinzipien und Vereinbarungen der Roadmap der Interinstitutionellen Vereinbarung vom 22.12.2020 und werden entsprechend die Vorschläge prüfen. Mittel für Zahlungen aus dem Jahreshaushalt wollen wir im Rahmen des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) flexibler gestalten und damit vor allem Programme für transnationale Infrastruktur, Forschung und Erasmus stärken. Die etablierten Instrumente der Haushaltssicherung werden wir stärken (OLAF, EPPO, Europäischer Rechnungshof).

(Wird fortgesetzt.)

RdW-Redaktion