RICHARD BOORBERG VERLAG

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14.06.2022

        

Was die Ampel-Koalition für die Arbeitswelt plant (Teil 6)

   

Unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ hat die rot-grün-gelbe Ampelkoalition einen 177 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag vorgelegt. Wir haben die wesentlichen Absichtserklärungen von SPD, Grünen und FDP, die sich auf den Alltag von kleinen und mittleren Unternehmen auswirken können, für Sie zusammengeführt. Der folgende Beitrag ist eine Zusammenstellung von Original-Textauszügen (Teil 6: Seite 62 – 71). Fortsetzung des Beitrags aus RdW Kurzreport, Heft 10, S. 459, Nr. 159.

Arbeitswelt

Respekt, Chancen und soziale Sicherheit in der modernen Arbeitswelt

Ein hohes Beschäftigungsniveau und gerechte Entlohnung sind Grundlage für unseren Wohlstand und die Finanzierung unserer sozialen Sicherung. Wir wollen jeder und jedem eine möglichst sichere Beschäftigungsbiografie ermöglichen und die Beschäftigungsfähigkeit durch Qualifizierung und gesunde Arbeit erhalten. Jede Arbeit verdient Respekt und Anerkennung. Wir erhöhen den Mindestlohn und schaffen ein modernes Arbeitsrecht, das Sicherheit und fair ausgehandelte Flexibilität ermöglicht.

Wir setzen uns für einen Sozialstaat ein, der die Bürgerinnen und Bürger absichert, aber auch dabei unterstützt, neue Chancen im Leben zu ergreifen. Die Rente muss verlässlich und auskömmlich sein, darum sichern wir das Rentenniveau und ergänzen sie um kapitalgedeckte Elemente. Wir erneuern mit dem Bürgergeld das System der Grundsicherung.

Alle Menschen in Deutschland sollen gut versorgt und gepflegt werden – in der Stadt und auf dem Land. Unser Ziel ist eine moderne sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegepolitik. Die Pandemie hat uns die Verletzlichkeit unseres Gesundheitswesens vor Augen geführt. Wir ziehen Lehren und sorgen für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung sowie eine menschliche und qualitativ hochwertige Medizin und Pflege. (...) Wir wollen die moderne Arbeitswelt gestalten, dabei berufliche Chancen ermöglichen sowie Sicherheit und Flexibilität in Einklang bringen.

Ausbildung

Zur Stärkung und Modernisierung berufsbildender Schulen legen wir mit Ländern, Kommunen und relevanten Akteuren einen Pakt auf. Mit den Ländern bauen wir die Berufsorientierung und Jugendberufsagenturen flächendeckend aus. Wir wollen eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, stets vorrangig im Betrieb. Wir führen die Allianz für Ausbildung fort. Die Einstiegsqualifizierung, die assistierte Ausbildung, ausbildungsbegleitende Hilfen und Verbundausbildungen bauen wir aus. Wir öffnen die Hilfen für Geflüchtete. Wir begrüßen tariflich vereinbarte Ausgleichsfonds. In Regionen mit erheblicher Unterversorgung an Ausbildungsplätzen initiieren wir bedarfsgerecht außerbetriebliche Ausbildungsangebote in enger Absprache mit den Sozialpartnern. Wir erhöhen die Ausbildungsmobilität. Für Menschen in Arbeitslosigkeit und Grundsicherung fördern wir vollqualifizierende Ausbildungen bei der beruflichen Weiterbildung unabhängig von ihrer Dauer. Vollzeitschulische Ausbildung muss vergütet und frei von Schulgeld sein. (...)

Weiterbildung

In Zeiten des digitalen und demografischen Wandels ist eine gezielte Nationale Weiterbildungsstrategie wesentliche Voraussetzung, um unsere wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele zu erreichen. Wir verbessern Möglichkeiten für berufliche Neuorientierung, Aus- und Weiterbildung – auch in Teilzeit. Die Instrumente der Bildungspolitik und der aktiven Arbeitsmarktpolitik stimmen wir aufeinander ab.

Zur Unterstützung des persönlich motivierten lebensbegleitenden Lernens bauen wir das Aufstiegs-BAföG aus, öffnen den Unterhaltsbeitrag für Teilzeitfortbildungen, fördern Weiterbildungen auch auf der gleichen Stufe des Deutschen Qualifikationsrahmens und auch für eine zweite vollqualifizierte Ausbildung, erhöhen die Fördersätze und Freibeträge deutlich und schließen Förderlücken zum BAföG. Ziel ist, dass Aufstiegslehrgänge und Prüfungen mit angemessenen Preisen kostenfrei sind.

Mit dem Lebenschancen-BAföG schaffen wir ein neues Instrument für die selbstbestimmte Weiterbildung auch jenseits berufs- und abschlussbezogener Qualifikation für alle. Dazu schaffen wir eine einfache Möglichkeit zum Bildungssparen in einem Freiraumkonto. Menschen mit geringem Einkommen erhalten hierfür jährliche Zuschüsse. Mit einer Bildungs(teil)zeit nach österreichischem Vorbild bieten wir Beschäftigten finanzielle Unterstützung für arbeitsmarktbezogene Weiterbildung. Dies ermöglicht z.B. das Nachholen eines Berufsabschlusses oder eine berufliche Neuorientierung. Voraussetzung ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten. Die BA prüft die Fördervoraussetzungen.

Der Bundesagentur für Arbeit (BA) kommt eine stärkere Rolle bei der Qualifizierung und dazugehöriger Beratung zu. Um alle an Weiterbildung Interessierten und Betriebe zu unterstützen, schaffen wir eine Vernetzung der BA mit den regionalen Akteuren und einheitliche Anlaufstellen. Dafür bauen wir die Weiterbildungsverbünde aus und unterstützen den Aufbau von Weiterbildungsagenturen. (...)

Mit einem ans Kurzarbeitergeld angelehnten Qualifizierungsgeld kann die BA Unternehmen im Strukturwandel ermöglichen, ihre Beschäftigten durch Qualifizierung im Betrieb zu halten und Fachkräfte zu sichern. Voraussetzung dafür sind Betriebsvereinbarungen. Gleichzeitig setzen wir Anreize für Transformationstarifverträge. Auch das Transfer-Kurzarbeitergeld weiten wir aus und entwickeln die Instrumente des SGB III in Transfergesellschaften weiter.

Für Menschen in Arbeitslosigkeit und in der Grundsicherung weiten wir die eigenständige Förderung von Grundkompetenzen aus und stellen klar, dass die Vermittlung in Arbeit keinen Vorrang vor einer beruflichen Aus- und Weiterbildung hat, die die Beschäftigungschancen stärkt. Bei beruflicher Qualifizierung erhalten SGB II- und III-Leistungsberechtigte ein zusätzliches, monatliches Weiterbildungsgeld von 150 Euro, sodass ein wirksamer Anreiz zur Weiterbildung entsteht. Nach einer Weiterbildung soll mindestens ein Anspruch auf drei Monate Arbeitslosengeld bestehen.

Arbeitszeit und Arbeitsort

Um auf die Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren und die Wünsche von Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Unternehmen nach einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung aufzugreifen, wollen wir Gewerkschaften und Arbeitgeber dabei unterstützen, flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. Wir halten am Grundsatz des 8-Stunden-Tages im Arbeitszeitgesetz fest. Im Rahmen einer im Jahre 2022 zu treffenden, befristeten Regelung mit Evaluationsklausel werden wir es ermöglichen, dass im Rahmen von Tarifverträgen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können. Außerdem wollen wir eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit schaffen, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, auf Grund von Tarifverträgen, dies vorsehen (Experimentierräume). Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z.B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.

Homeoffice grenzen wir als eine Möglichkeit der Mobilen Arbeit rechtlich von der Telearbeit und dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung ab. Arbeitsschutz, gute Arbeitsbedingungen und das Vorhandensein eines betrieblichen Arbeitsplatzes sind bei mobiler Arbeit wichtige Voraussetzungen. Dies erfordert Information und Beratung der Beschäftigten sowie deren angemessene Unterstützung durch ihre Arbeitgeber. Zur gesunden Gestaltung des Homeoffice erarbeiten wir im Dialog mit allen Beteiligten sachgerechte und flexible Lösungen. Coworking- Spaces sind eine gute Möglichkeit für mobile Arbeit und die Stärkung ländlicher Regionen. Beschäftigte in geeigneten Tätigkeiten erhalten einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice. Arbeitgeber können dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Das heißt, dass eine Ablehnung nicht sachfremd oder willkürlich sein darf. Für abweichende tarifvertragliche und betriebliche Regelungen muss Raum bleiben. Mobile Arbeit soll EU-weit unproblematisch möglich sein.

(Wird fortgesetzt.)

RdW-Redaktion