RICHARD BOORBERG VERLAG

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30.04.2019

  

Verspätung des Flugzeugs wegen Reifenschadens durch Fremdkörper auf Startbahn

  

Aus der EU-Fluggastrechteverordnung ergibt sich, dass im Fall einer großen Verspätung eines Flugs wegen Beschädigung eines Flugzeugreifens durch eine auf der Start- oder Landebahn liegende Schraube als „außergewöhnlicher Umstand“ zu bewerten ist mit der Konsequenz, dass die Fluggesellschaft nicht zur Zahlung einer Entschädigung an betroffene Fluggäste verpflichtet ist (Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH).

Fluggastrechteverordnung

Seit 2005 existiert die EU-Fluggastrechteverordnung. Nach dieser hat der Reisende bei Verspätungen von mehr als drei Stunden, bei kurzfristig gestrichenen oder überbuchten Flügen Anspruch auf eine Entschädigung, den sog. Ausgleichsanspruch. Dessen Höhe bemisst sich nach Entfernungskilometern und beträgt entweder 250 €, 400 € oder bei Langstreckenflügen 600 €.

Das Luftfahrtunternehmen ist jedoch dann von dieser Ausgleichspflicht befreit, wenn es nachweisen kann, dass die Verspätung des Flugs auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen war, die sich selbst bei Ergreifen aller Vorsichtsmaßnahmen nicht hätten vermeiden lassen. Das Landgericht Köln hatte einen Fall in diesem Zusammenhang zu entscheiden. Hierbei war ein Flugzeugreifen durch einen Fremdkörper (Schraube) auf der Start- und Landebahn beschädigt worden. Dies erforderte einen Austausch des Reifens und umfangreiche Sicherungskontrollen, was zu einer Flugverspätung von mehr als drei Stunden führte.

Da das Landgericht zu der Auffassung gelangte, dass die Entscheidung von Europäischem Recht abhängt, wollte es vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wissen, ob die Beschädigung eines Flugzeugreifens durch eine auf der Start- und Landebahn liegende Schraube ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung ist. Dem Verfahren bei dem EuGH entsprechend hatte sich mit dieser Frage zunächst einer der Generalanwälte eingehend zu befassen.

Der Fall

Ein Mann buchte einen Flug bei einer deutschen Fluggesellschaft von Dublin nach Düsseldorf. Dieser Flug erreichte Düsseldorf erst mit mehr als dreistündiger Ankunftsverspätung. Grund: Eine auf dem Rollfeld liegende große Schraube, die sich in einen Reifen des Flugzeugs gebohrt hatte. Daraufhin verlangte der Passagier Ausgleichszahlungen von der Fluggesellschaft i. H. v. 250 €. Dem hielt die Airline entgegen, dass es sich bei dem Schadensereignis um einen außergewöhnlichen Um stand handle, weshalb sie von einer Haftung befreit sei. Auf Vorlage des Landgerichts Köln teilte auch der Generalanwalt beim EuGH diese Auffassung und sprach die Fluggesellschaft von jeglicher Haftung frei.

Fremdkörper war kein Teil des Alltags eines Luftfahrtunternehmens

Außergewöhnliche Umstände, die einen Ausgleichsanspruch des Passagiers wegen erheblicher Verspätung entfallen lassen können, sind nach Auffassung des Generalanwalts solche Umstände, die außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist. Es handelt sich also um ein Ereignis, das nicht zum eigentlichen Flugverkehr gehört, sondern von außen kommende besondere Umstände, die die planmäßige Durchführung des Flugverkehrs beeinträchtigen oder unmöglich machen. Auf den Rollbahnen liegende Schrauben seien daher nicht untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden. Vielmehr seien Schrauben oder andere Fremdkörper auf dem Rollfeld unbedingt zu vermeiden, da sie ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellten, wenn ein Flugzeug mit ihnen in Berührung komme. Ein solches Vorkommnis sei daher nicht Teil des normalen Flugbetriebs der Airline. Dass Schrauben oder andere Fremdkörper auf die Rollbahnen geraten, sei ein beliebig auftretendes Ereignis, das für die Fluglinie schlicht nicht mehr vorhersehbar und innerhalb der betrieblichen Sphäre der Fluglinie auch nicht beherrschbar sei.

Vielmehr sei es Angelegenheit des Flughafenbetreibers, für eine Start- und Landebahn ohne Fremdkörper zu sorgen. Somit lag nach Auffassung des Generalanwalts ein außergewöhnlicher Umstand vor, der die Zahlungspflicht der Fluggesellschaft entfallen ließ.

Anmerkung:

Bei dem Schlussantrag des Generalanwalts handelt es sich noch nicht um das endgültige Urteil des EuGH. Gleichwohl zeigt die Praxis, dass sich der EuGH ganz überwiegend mit seiner Schlussentscheidung dem Schlussantrag des Generalanwalts anschließt. Das Landgericht Stuttgart hat in einem vergleichbaren Fall keine Vorabanfrage an den EuGH gestellt und war zu der gegenteiligen Auffassung gekommen, also dass ein Reifenschaden am Flugzeug durch einen Fremdkörper auf der Startbahn kein außergewöhnlicher Umstand sei; es hat dem betreffenden Passagier folglich eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung zugesprochen (vgl. RdWKurzbericht 285/2018).

Klaus Krohn
Quelle:
Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH vom 22. 11. 2018 – C-501/17