RICHARD BOORBERG VERLAG

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08.07.2021

     

Unklarer Antrag auf private Krankheitskostenversicherung

      

Die Frage des Krankenversicherers bei Vertragsabschluss nach bestehenden »Anomalien« in Bezug auf Zahnfehlstellungen ist unklar und berechtigt nicht zum nachträglichen Ausschluss der Kostenübernahme für kieferorthopädische Behandlungen (OLG Frankfurt am Main).

Ein Vater beantragte im März 2017 bei einer Versicherungsgesellschaft den Abschluss einer privaten Krankheitskosten- und Pflegeversicherung. Hinsichtlich seiner mitzuversichernden, neun Jahre alten Tochter beantwortete er folgende Frage mit »Nein«: »Bestehen/bestanden in den letzten drei Jahren Beschwerden, Krankheiten, Anomalien (auch Implantate) oder Unfallfolgen, die nicht ärztlich behandelt wurden?«

Die Tochter befand sich seit 2011 in regelmäßiger zahnärztlicher Kontrolle. Unstreitig lag bei ihr ein Engstand der Backenzähne vor. Im Sommer 2017 erlitt sie einen Unfall, bei dem sie sich einen Zahn abbrach. Im Zusammenhang mit dieser Behandlung wurde die Indikation für eine kieferorthopädische Behandlung gestellt. Im Heilbehandlungs- und Kostenplan des Kieferorthopäden hieß es »Platzmangel im Unterkiefer, Scherenbiss Zahn 24, diverse Rotationen und Kippungen.«

Die Versicherungsgesellschaft war der Ansicht, der dem Vater bekannte Engstand der Backenzähne seiner Tochter habe eine anzeigepflichtige »Anomalie« im Sinne des Antragsformulars dargestellt. Bei Kenntnis dieser Anomalie hätte die Versicherungsgesellschaft nicht einschränkungslos den Vertrag angenommen, sondern einen Leistungsausschluss für kieferorthopädische Behandlungen vereinbart. Dementsprechend sei der Vertrag wegen Anzeigepflichtverletzung nachträglich anzupassen, eine Zahlungspflicht scheide aus.

Der Vater wies darauf hin, dass er erstmals im Sommer 2017 von der Notwendigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung Kenntnis erlangt habe. Auf eine solche habe zuvor nichts hingedeutet; insbesondere auch nicht der Engstand der Backenzähne. Die Klage des Vaters auf Erstattung der Aufwendungen für die kieferorthopädische Behandlung hatte beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main Erfolg.

Kein Risikoausschluss für Zahnfehlstellung

Die Versicherungsgesellschaft sei nicht zur Vertragsanpassung durch Aufnahme eines Risikoausschlusses für die Behandlung von Zahnfehlstellungen/Anomalien berechtigt gewesen. Der Vater habe keine Anzeigepflichten bei Ausfüllen des Antragsformulars verletzt. Selbst wenn ihm der Engstand der Backenzähne seiner Tochter bekannt gewesen sei, sei dies nicht anzeigepflichtig gewesen. Denn es handele sich nicht um eine »Krankheit«. Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne sei ein »anormaler Körper- oder Geisteszustand, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher und geistiger Funktionen mit sich bringe«. Dass der Engstand hier zu solcher Störung körperlicher Funktionen geführt habe, war nicht ersichtlich.

Unklare Frage im Antragsformular

Soweit die Versicherung meine, es liege eine »Anomalie« vor, sei die Antragsfrage unklar. Für einen durchschnittlichen Versicherten sei nicht erkennbar, was unter einer »Anomalie im Zahnbereich« zu verstehen sei. Hierunter dürfte der durchschnittliche Versicherte eher eine Missbildung oder eine Behinderung verstehen als eine Zahn- und Kieferfehlstellung. Dafür spreche auch der Klammerzusatz im Antragsformular, der auf Implantate verweise. Hinzu komme, dass dem Begriff »Anomalie« eine gewisse Dauerhaftigkeit immanent sei, der Zahnstatus der neunjährigen Tochter aufgrund fortschreitenden Wachstums und Zahnwechsels aber demgegenüber naturgemäß Änderungen unterworfen sei. Die im Antragsformular gestellte Frage verlange jedenfalls dem Versicherungskunden in unzulässiger Weise eine Wertung ab. Fragen, die eine Wertung des Versicherungsnehmers voraussetzten, seien grundsätzlich unwirksam. Daher war die Versicherungsgesellschaft verpflichtet, die Kosten der Behandlung zu übernehmen.

Klaus Krohn
Quelle:
Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. 03. 2021 – 7 U 44/20