RICHARD BOORBERG VERLAG

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20.12.2019

    

Schutzpflichten des Heimbetreibers im Sanitärbereich eines Behindertenheims

    

Der Betreiber eines Wohnheims für Menschen mit geistiger Behinderung hat im Rahmen des ihm Möglichen DIN-Normen, die die Sicherheit der Heiminsassen erhöhen sollen, zu beachten. Dies gilt auch, wenn entsprechende DIN-Vorschriften erst längere Zeit nach Bau des Wohnheims geschaffen werden (BGH).

Eine 1969 geborene Frau lebte in einem Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung seit 2012. Sie war geistig behindert und hatte eine deutliche Intelligenzminderung.
Im April 2013 wollte die Frau baden und bat eine Betreuerin des Heims um eine entsprechende Erlaubnis. Diese wurde ihr – wie auch schon in der Vergangenheit – erteilt. Die Frau ließ daraufhin heißes Wasser in eine mobile, in der Dusche bereitgestellte Sitzbadewanne ein, wobei die Temperaturregelung über einen Einhebelmischer ohne Begrenzung der Heißwassertemperatur erfolgte.
Anders als in früheren – problemlos verlaufenden – Fällen war das ausströmende Wasser so heiß, dass die Heiminsassin schwerste Verbrennungen an beiden Füßen und Unterschenkeln erlitt. Sie schrie lautstark, konnte sich aber nicht selbst aus der Situation befreien; dies gelang erst, als ein Heimbewohner zu Hilfe kam.
Bei der anschließenden Heilbehandlung im Krankenhaus wurden mehrere Hauttransplantationen durchgeführt. Zudem kam es zu Komplikationen wegen eines Krankenhauskeims, was insgesamt eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Frau zur Folge hatte. Sie machte Schadenersatzansprüche und Schmerzensgeld vom Heimbetreiber geltend. Die Heißwassereinstellung sei viel zu hoch gewesen. Zur Abtötung etwaiger Keime genüge es, das Wasser einmal am Tag auf 60°C aufzuheizen. In entsprechenden DIN-Vorschriften für die Planung von Trinkwasserinstallationen werde für bestimmte Einrichtungen, auch für Seniorenheime, eine Höchsttemperatur von 43°C empfohlen.
Im Übrigen hätte das Wannenbad nicht ohne Aufsichtspersonal erfolgen dürfen. Im Gegensatz zur Vorinstanz war der Bundesgerichtshof grundsätzlich der Auffassung, dass der Heimbetreiber seine Sorgfaltspflicht gegenüber der Heiminsassin verletzt hatte.

DIN-Normen als Maßstab

Der Heimbetreiber hat die Verpflichtung, unter Wahrung der Selbstbestimmungsrechte der ihm anvertrauten Bewohner, diese vor Gefahren zu schützen, die sie nicht beherrschen (können). Welchen Inhalt die Sorgfaltspflicht des Heimbetreibers hat, ist nur aufgrund einer Abwägung im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.
In diese Einzelfallabwägung können auch technische Regelungen, wie etwa DIN-Vorschriften, einzubeziehen sein, sofern solche für eine bestimmte Gefahrenlage bestehen. Zwar haben DIN-Normen als technische Regeln keine gesetzliche Wirkung, da sie jedoch die Vermutung in sich tragen, den Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik wiederzugeben, sind sie zur Bestimmung der gebotenen Sorgfalt geeignet und können regelmäßig Inhalt und Umfang bestehender Verkehrssicherungspflichten konkretisieren.
Ein Heimbewohner, der dem Heimträger anvertraut ist, kann erwarten, dass dieser ihn jedenfalls vor einer in einer DIN-Norm beschriebenen Gefahrenlage schützt, wenn er selbst körperlich oder geistig hierzu nicht in der Lage ist. Um seine Obhutspflicht zu erfüllen, muss daher der Heimträger, soweit dies mit vernünftigem finanziellen und personellen Aufwand möglich und zumutbar ist, entweder die Empfehlungen der DIN-Norm umsetzen oder aber die erforderliche Sicherheit gegenüber der zugrundeliegenden Gefahr auf andere Weise gewährleisten, etwa durch die ständige Anwesenheit eines Heimmitarbeiters während des Badens.
Nach der einschlägigen, seit Juni 2005 geltenden DIN EN 806-2 (Technische Regeln für Trinkwasserinstallationen) sind Anlagen für erwärmtes Trinkwasser so zu gestalten, dass das Risiko von Verbrühungen gering ist. Entsprechend ist vorgesehen, dass bei »Entnahmestellen mit besonderer Beachtung der Auslauftemperatur « (etwa Krankenhäuser, Schulen, Seniorenheime – die Aufzählung ist nicht abschließend) thermostatische Mischventile oder Mischbatterien mit Begrenzung der oberen Temperatur eingesetzt werden sollten; hierbei wird eine Temperatur von höchstens 43°C empfohlen.

Neue DIN-Vorschrift ist auch in älteren Heimen zu beachten

Für das Gericht war es unerheblich, dass die einschlägige DIN EN 806-2 erst im Juni 2005 eingeführt worden war und primär die Planung von Trinkwasserinstallationen regelte, ohne die Nachrüstung älterer technischer Anlagen explizit vorzusehen. Denn der DIN ist über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus allgemeingültig zu entnehmen, dass bei Warmwasseranlagen das Risiko von Verbrühungen besteht, wenn die Auslauftemperatur mehr als 43°C beträgt und deshalb in Einrichtungen mit einem besonders schutzwürdigen Benutzerkreis (Krankenhäuser, Schulen, Seniorenheime usw.) spezielle Sicherheitsvorkehrungen zur Verminderung des Risikos von Verbrühungen erforderlich sind. Nach dem sicherheitstechnischen Zweck der DIN-Empfehlung sollen die geschilderten apparativen Temperaturbegrenzungen oder andere geeignete Sicherheitsvorkehrungen überall dort zum Einsatz kommen, wo Personen aufgrund ihrer körperlichen oder geistigen Verfassung nicht in der Lage sind, die mit heißem Wasser verbundenen Gefahren zu beherrschen, und deshalb ein besonderer Schutz vor Verbrühungen erforderlich ist.
Da im vorliegenden Fall eine Nachrüstung problemlos ohne einen Umbau oder die Erneuerung der gesamten Heizanlage möglich gewesen wäre (Austausch der Mischarmaturen), hätte alternativ die Temperatur des Badewassers durch eine Betreuungsperson der Einrichtung überprüft werden müssen.
Da beide Möglichkeiten der Kontrolle unterlassen worden waren, haftete der Heimbetreiber auf Schmerzensgeld und Schadenersatz.

Anmerkung:

Zur weiteren Tatsachenfeststellung hat der Bundesgerichtshof das Verfahren an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Klaus Krohn
Quelle:
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. 08. 2019 – III ZR 113/18