RICHARD BOORBERG VERLAG

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02.04.2021

    

Rechtsmissbrauch bei über 240 Abmahnungen im Jahr

  

Der Ausspruch von mehr als 240 Abmahnungen binnen eines Jahres, die sich auf Verstöße ohne unmittelbaren wirtschaftlichen Bezug zum Abmahnenden beziehen, spricht für ein missbräuchliches Vorgehen. Dem Abmahnenden stehen daher keine Ansprüche auf Erstattung der für die Abmahnungen entstandenen Rechtsanwaltskosten zu (OLG Frankfurt am Main).

Ein Reisebüro bot seine Dienstleistungen auch über eine Webseite an. Diese Webseite enthielt keinen Hinweis auf und keinen klickbaren Link zur sog. OS-Plattform. Bei der OS-Plattform handelt es sich um eine europäische Plattform für Streitschlichtung im Online-Handel. Eine Verlinkung zu dieser Plattform ist für alle Online-Händler Pflicht.

Eine GmbH mahnte den Inhaber des Reisebüros außergerichtlich erfolglos ab. Daraufhin klagte sie auf Unterlassen des gerügten wettbewerbswidrigen Verhaltens sowie auf Ersatz entstandener Rechtsanwaltskosten. Ähnliche Abmahnungen hatte die GmbH in etwa 240 vergleichbaren Fällen vorgenommen. Die Klage hatte sowohl vor dem Landgericht als auch dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main keinen Erfolg.

Kein wirtschaftlicher Bezug der Verstöße zum Abmahnenden

Nach Einschätzung des Gerichts war die Klage bereits unzulässig. Denn die Rechtsverfolgung sei rechtsmissbräuchlich. Es sei unzulässig, Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassen wegen einer unzulässigen geschäftlichen Handlung geltend zu machen, wenn dies vorwiegend dazu diene, gegen den Zuwiderhandelnden (hier: Betreiber des Reisebüros) einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.

Von einem Missbrauch sei dann auszugehen, wenn das beherrschende Motiv für die Abmahnungen sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele seien. Anhaltspunkte hierfür könnten etwa sein, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden stehe. Ein weiteres Indiz liege vor, wenn der Abmahnende an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse habe. Im vorliegenden Fall spreche bereits die hohe Zahl von über 240 Abmahnungen innerhalb eines Jahres, die sich in fast allen Fällen auf die fehlende Verlinkung zur OS-Plattform bezogen, für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten. Die GmbH werde durch diese Verstöße in ihrer eigenen wirtschaftlichen Betätigung nicht unmittelbar betroffen. Die Verstöße beträfen vielmehr vorrangig die Rechtsbeziehungen der Reiseunternehmen zu ihren Kunden, ohne dass der Marktzugang für die GmbH dadurch erschwert würde. Hinzu komme schließlich, dass die GmbH – sogar nach eigener Einlassung im Prozess – allenfalls vorübergehend in speziellen Segmenten des Reisevermittlungsmarktes tätig war.

Das Verhalten der abmahnenden GmbH lasse daher nur den Schluss zu, dass es ihr in erster Linie darum ging, sich im Zusammenwirken mit ihrem Prozessbevollmächtigten durch die Abmahntätigkeit eine Einnahmequelle zu erschließen.

Klaus Krohn
Quelle:
Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. 11. 2020 – 6 U 210/19