RICHARD BOORBERG VERLAG

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09.11.2020

Wirtschaftsrecht

Nochmals: Bundesgerichtshof zu Grundsatzfragen beim Dieselskandal

  

Erwirbt ein Käufer einen vom Dieselskandal betroffenen Gebrauchtwagen zu einem Zeitpunkt, zu dem der Dieselskandal allgemein bekannt ist, so ist der Käufer nicht mehr redlich und kann sich daher nicht auf eine Täuschung durch den Autohersteller berufen; ein Schadenersatzanspruch scheidet aus. – Nutzt der Erwerber eines vom Dieselskandal betroffenen Pkw das Fahrzeug jahrelang mit großer Laufleistung, so kann ein möglicher Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises durch die zwischenzeitlichen Vorteile der Nutzung vollständig aufgezehrt sein.

Erwirbt ein Käufer einen vom Dieselskandal betroffenen Gebrauchtwagen zu einem Zeitpunkt, zu dem der Dieselskandal allgemein bekannt ist, so ist der Käufer nicht mehr redlich und kann sich daher nicht auf eine Täuschung durch den Autohersteller berufen; ein Schadenersatzanspruch scheidet aus. – Nutzt der Erwerber eines vom Dieselskandal betroffenen Pkw das Fahrzeug jahrelang mit großer Laufleistung, so kann ein möglicher Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises durch die zwischenzeitlichen Vorteile der Nutzung vollständig aufgezehrt sein. Der Bundesgerichtshof hatte mit Urteil vom 25. 05. 2020 grundsätzlich festgestellt, dass Käufern eines Autos mit Abschaltsoftware Schadenersatzansprüche zustehen. Grund hierfür sei eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Käufers durch den Fahrzeughersteller; die Manipulationen seien dem Vorstand des Autoherstellers zuzurechnen (vgl. RdW-Kurzbericht 242/2020). Durch diese Grundsatzentscheidung sind jedoch nicht alle Einzelfragen im Zusammenhang mit der Rückabgabe von betroffenen Fahrzeugen bzw. der Frage von Schadenersatzansprüchen geklärt. In zwei neuen Urteilen hat sich der Bundesgerichtshof  nunmehr mit weiteren Fragen in diesem Zusammenhang befasst.

Kein Schadenersatz nach Aufdeckung des Dieselskandals

Hier hatte der Bundesgerichtshof darüber zu befinden, ob dem Käufer eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung auch dann Schadenersatz zusteht, wenn er den Pkw erst nach allgemeinem Bekanntwerden des Dieselskandals gekauft hat.

Der Fall

Ein Mann kaufte im August 2016 von einem Autohändler einen gebrauchten VW Touran mit einem 2,0 l Dieselmotor des Typs EA 189. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befand; in diesem Fall schaltete sich ein stickstoff-optimierter Modus ein, die zulässigen Emissionswerte bestätigte. Erkannte die Software, dass sich das Fahrzeug im realen Fahrbetrieb befand, wurden erhöhte Emissionen ausgestoßen. Schon knapp ein Jahr vor Erwerb des Gebrauchtwagens hatte der Autohersteller am 22. 09. 2015 in einer Pressemitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software bei Dieselmotoren des Typs EA189 informiert und mitgeteilt, dass er daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen. Im Frühjahr 2016 war der Dieselskandal in der veröffentlichten Meinung und in den Medien das beherrschende Thema. Der Käufer verlangte vom Fahrzeughersteller Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Beim Bundesgerichtshof hatte er damit jedoch keinen Erfolg.

Kenntnis von Schadstoffsoftware lässt Haftung entfallen

Fraglos sei das Verhalten des Autoherstellers gegenüber Käufern, die ein mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug vor September 2015 erworben hatten, sittenwidrig. Allerdings war ab diesem Zeitpunkt durch die Mitteilung des Fahrzeugherstellers das Vertrauen potenziellen Käufern von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik nach und nach zerstört; mit anderen Worten: Käufer waren nicht mehr arglos im Bezug auf die Abschaltsoftware. Aufgrund der Hersteller-Verlautbarungen und der medialen Verbreitung war nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Ordnungsgemäßheit der Abgaswerte voraussetzen konnten. Daher seien Käufer, die ein Fahrzeug erst erworben haben, nachdem der Fahrzeughersteller sein Verhalten geändert hatte, nicht mehr sittenwidrig geschädigt. Rückabwicklungsansprüche scheiden daher aus.

Fahrzeugnutzung kann Schadenersatzanspruch übersteigen

Ein Mann erwarb im Mai 2014 einen Gebrauchtwagen VW Passat. In dem Fahrzeug war eine Abschaltsoftware verbaut, die erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befand oder im realen Fahrverkehr. Im weiteren Verlauf entwickelte der Fahrzeughersteller ein Software-Update, das der Verkäufer jedoch nicht durchführen ließ; er fuhr das Fahrzeug aber trotzdem weiter. Im Jahr 2020 hatte der Wagen eine Laufleistung von rund 255 000 km. Der Käufer verlangte kurz darauf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

Nutzungsentschädigung

Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. 05. 2020 (vgl. RdW-Kurzbericht 242/2020) hatte das Gericht klar gemacht, dass der Käufer bei Rückgabe des Fahrzeugs den Kaufpreis nur unter Anrechnung der zwischenzeitlich zurückgelegten Kilometerleistung erstattet verlangen kann. Dies kann im Einzelfall – so auch hier – dazu führen, dass die Nutzungsvorteile für den Gebrauch des Fahrzeugs vom Erwerb bis zur Rückgabe den Kaufpreiserstattungsanspruch voll aufzehren. Der Wert des Nutzungsvorteils ergab hier, dass das Fahrzeug im Erwerbszeitpunkt eine Gesamtlaufleistungserwartung von 250 000 km gehabt habe, die bei Erhebung der Rückzahlungsklage bereits überschritten war. Somit überstieg der Nutzungsvorteil des jahrelangen Fahrens des Gebrauchtwagens den Anspruch auf Rückerstattung des damaligen Kaufpreises.

Klaus Krohn
Quelle:
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. 07. 2020 – VI ZR 5/20; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. 07. 2020 – VI ZR 354/19
 
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