RICHARD BOORBERG VERLAG

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19.05.2022

        

Generalanwalt: Umweltverbände dürfen wegen Thermofenster bei Dieselmotoren gegen Kraftfahrtbundesamt klagen

    

Umweltverbände dürfen gegen Entscheidungen des Kraftfahrtbundesamtes klagen. Zu der Einschätzung kam der zuständige Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Athanasios Rantos. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte vor dem Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein (VG) die Entscheidung des Amtes, Thermofenster in VW-Dieselmotoren zuzulassen und die Typengenehmigung dafür zu erteilen, geklagt. Das Gericht rief den EuGH dazu an.

Das Kraftfahrtbundesamt hatte dem Autokonzern VW genehmigt, in Fahrzeugen mit Dieselmotor Euro 5 eine in der Software eingebaute Abschalteinrichtung einzubauen. Diese sorgte für erhöhte Schadstoffemissionen bei bestimmten Außentemperaturen (sog. Thermofenster). Die unzulässige Technik war im Zuge des Dieselskandals bekannt geworden.

Kraftfahrtbundesamt genehmigte Thermofenster

Das Kraftfahrtbundesamt ist für die Erteilung der EG-Typengenehmigungen zuständig. Es erteilte dem Konzern die entsprechende Genehmigung. Die DHU hält die Vorrichtung für illegal. Das Amt hätte die Genehmigung VW nicht erteilen dürfen. Die Umweltbehörde klagte vor dem VG.

Das VG war der Ansicht, dem Verband fehle die Klagebefugnis – zumindest nach nationalem Recht. Das deutsche Umwelt-Rechtbehelfsgesetz (UmwRG), welches das Klagerecht regelt, spreche von „Vorhaben“. Dies sei die Pkw-Typengenehmigung jedoch nicht. Es sei eine Produktzulassung, gegen diese könne nicht geklagt werden.

VG ruft EuGH an

Das Gesetz beruht auf dem Übereinkommen von Aarhus über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, also auf europäischem Recht. Das VG setzte daher das Verfahren aus und legte EuGH die Frage vor, ob Umweltverbände direkt aus dem Übereinkommen (speziell: Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens in Verbindung mit Art. 47 der EU-Grundrechtecharta, dem Recht auf wirksamen Rechtsbehelf) klagen können. Daneben wollte das nationale Gericht wissen, ob das verbaute Thermofenster so, wie es das Bundesamt abgenommen hatte, zulässig ist.

Generalanwalt stärkt Rechte von Umweltorganisationen

Eine anerkannte Umweltorganisation müsse die Möglichkeit haben, eine Verwaltungsentscheidung, die möglicherweise gegen das Verbot von Abschalteinrichtungen verstoße, anfechten zu können. Zu dem Schluss kam der zuständige Generalanwalt am EuGH, Athanasios Rantos, in seinem Gutachten. EUStaaten seien verpflichtet, einen wirksamen gerichtlichen Schutz des Umweltrechtes zu gewährleisten. Die aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften seien in den meisten Fällen auf das allgemeine Interesse und nicht auf den alleinigen Schutz der Rechtsgüter Einzelner gerichtet. Es sei Aufgabe gerade der Umweltvereinigungen, dieses Allgemeininteresse zu schützen.

Abschalteinrichtungen nur in engen Grenzen zulässig

Bei der Frage bezüglich des Thermofensters kam der Jurist zu dem Schluss, dass solche Einrichtungen nur in engen Grenzen zulässig sind. Die Automobilhersteller hätten die technischen Vorrichtungen anzuwenden, damit die erforderlichen Grenzwerte eingehalten würden, ohne dass die eingesetzte Technik „zwangsläufig die bestmögliche sein müsste oder vorgeschrieben wäre“. Die Zulässigkeit müsse daher an der Notwendigkeit der Systeme beurteilt werden.

Der EuGH ist an das Gutachten des Generalanwalts nicht gebunden, er orientiert sich aber häufig daran.

Anna-Kristina Bückmann
Quelle:
EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts vom 03.03.2022 – C-873/19.