RICHARD BOORBERG VERLAG

×

06.08.2019

  

Entziehung des Pflichtteils wegen vorangegangenen Diebstahls

  

Ein Diebstahl von Bargeld i. H. v. 6 100 DM zum Nachteil des Erblassers kann geeignet sein, eine Pflichtteilsentziehung des Täters wegen eines schweren vorsätzlichen Vergehens zu rechtfertigen. Allein in dem Umstand, dass der Pflichtteilsberechtigte viele Jahre nach Begehung der Straftat in das auch vom Erblasser bewohnte und diesem gehörende Haus einzieht und dort bis zum Erbfall wohnt, liegt nicht ohne Weiteres eine Verzeihung und damit ein Wiederaufleben des Pflichtteilsrechts (OLG Stuttgart).

Hintergrund

Jedem steht es frei, zu Lebzeiten darüber zu entscheiden, was mit seinem Vermögen nach seinem Tod geschieht. So kann ein Erblasser etwa einen gesetzlichen Erben per Testament oder Erbvertrag »enterben «. Dies bedeutet jedoch noch nicht, dass der Betreffende später völlig leer ausgeht. Denn etwa Kinder oder Ehegatten sind nach dem Gesetz sog. Pflichtteilsberechtigte. Sie erhalten also noch einen Teil ihres Erbteils, nämlich die Hälfte hiervon, als Pflichtteil.

In bestimmten Fällen kann der Erblasser in seinem Testament oder Erbvertrag jedoch zulasten des gesetzlichen Erben noch weiter gehen: Er kann außer dem gesetzlichen Erbrecht auch noch den Pflichtteil entziehen. Ist diese Pflichtteilsentziehung wirksam, so geht der Erbe tatsächlich im Erbfall komplett leer aus. Die Entziehung des Pflichtteils ist jedoch nur unter bestimmten, gesetzlich geregelten Voraussetzungen möglich.

Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Diebstahl von erheblichem Bargeld beim Erblasser eine Pflichtteilsentziehung zulasten des Täters rechtfertigt.

Der Fall

Eine Großmutter verstarb im Oktober 2014. Zwölf Jahre zuvor hatte sie per notariellem Testament ihren Enkel A von der Erbfolge ausgeschlossen und ihm gleichzeitig den Pflichtteil entzogen. Als Grund war in der Urkunde angegeben, dass er sie im Juli 1991 sowie im März 1992 bestohlen habe. Beim ersten Mal habe es sich um Bargeld in Höhe von 800 DM gehandelt, beim zweiten Mal um 6 100 DM. Der zweite Diebstahl war von der Großmutter angezeigt worden. Sie äußerte zusätzlich, dass auch dann, wenn er den Diebstahl nicht gestehe und aufgrund mangelnder Beweise nicht verurteilt würde, für sie aufgrund der gegebenen Umstände kein anderer als Dieb infrage komme.

Einige Zeit später wurde A vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 50 DM verurteilt wegen des Vorfalls im März 1992.

Nach dem Tod seiner Großmutter im Jahr 2014 wollte der Enkel die Entziehung des Pflichtteils nicht akzeptieren. Er klagte daher auf Feststellung seiner Pflichtteilsberechtigung; beim Oberlandesgericht Stuttgart ohne Erfolg.

Pflichtteilsentziehung wirksam

Nach Einschätzung der Richter war die Pflichtteilsentziehung seitens der Großmutter wegen des Diebstahls des Bargelds in Höhe von 6 100 DM im März 1992 wirksam. Der A war wegen dieses Vergehens vom Amtsgericht rechtskräftig strafrechtlich verurteilt worden. Damit sei die im Gesetz (§ 2333 BGB) u. a. vorgesehene Voraussetzung für die Entziehung des Pflichtteils in Form eines »schweren vorsätzlichen Vergehens« gegen die Erblasserin gegeben.

Schweres vorsätzliches Vergehen

Nach der genannten Vorschrift erfordert die Pflichtteilsentziehung ein schweres Fehlverhalten. Dieses muss so gewichtig sein, dass dem Erblasser nicht zugemutet werden kann, hinzunehmen, dass diese Person später noch den Pflichtteil erhalten soll.

Ob ein vorsätzliches Vergehen (hier: Diebstahl) ausreicht, kann nach Einschätzung des Gerichts nicht generell, sondern nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Bei Eigentumsdelikten wie hier liegt ein schweres Fehlverhalten im Allgemeinen dann vor, wenn außer dem Diebstahl als solchen auch die Art und Weise, wie er begangen worden ist, eine grobe Missachtung des Verwandtschaftsverhältnisses zum Ausdruck bringt und deshalb eine besondere Kränkung des Erblassers bedeutet.

Der Diebstahl des A stellte eine schwerwiegende Straftat zulasten seiner Großmutter dar. Dies veranschaulichte auch das verhängte Strafurteil mit einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen. Dies ist eine Höhe, die sogar einen Eintrag in ein allgemeines Führungszeugnis zur Folge hat. Hinzu kam, dass der Diebstahl des Geldes im häuslichen/privaten Bereich der Großmutter stattgefunden hatte. Auch war im Jahre 1992 ein Geldbetrag in Höhe von 6 100 DM keine unerhebliche Summe, zumal die Großmutter – unstreitig – über nur wenig Geld- und Sachvermögen verfügte.

Somit war die Entziehung des Pflichtteils gerechtfertigt.

Keine Verzeihung

A hatte schließlich darauf hingewiesen, dass ihm seine Großmutter später verziehen habe, sodass er wieder pflichtteilsberechtigt sei (§ 2337 BGB).

Eine sog. Verzeihung liegt vor, wenn der Erblasser durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dass er die durch die Straftat hervorgerufene Kränkung nicht mehr als solche empfindet, sie also als nicht mehr existent betrachtet. Diese Verzeihung leitete der A daraus ab, dass er im Jahr 2004 wieder in das Haus seiner Großmutter, und zwar in die Kellerräume, eingezogen war.

Dies reichte dem Oberlandesgericht jedoch nicht aus, um eine Verzeihung und damit die Wiedererlangung des Pflichtteilsrechts anzunehmen. A konnte nichts Konkretes dazu vortragen, ob es sich wieder um eine häusliche Lebensgemeinschaft gehandelt habe und um eine Wiederherstellung familiengerechter Großmutter/ Enkel-Beziehung. Allein aus der möglicherweise stattfindenden Wiederannäherung zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem könne noch nicht auf eine Verzeihung geschlossen werden. So auch im vorliegenden Fall, sodass es bei dem berechtigten Entzug des Pflichtteils verblieb, mit der Folge, dass A von der Erbschaft gänzlich ausgeschlossen war.

Klaus Krohn
Quelle:
Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 24. 01. 2019 – 19 U 80/18