RICHARD BOORBERG VERLAG

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19.08.2021

    

Entlassung einer Mutter als Betreuerin

   

Die Bindung zur Familie und der Wunsch der Betreuten sind bei der Abwägung, ob ein Familienangehöriger aus seiner Betreuerstellung entlassen wird, zu beachten.

Eine Mutter wurde als rechtliche Betreuerin für ihre an Schizophrenie erkrankte Tochter bestellt. Die Betreuung umfasste die Gesundheitsfürsorge einschließlich der damit verbundenen Aufenthaltsbestimmung der jungen Frau. Auf Antrag der Mutter wurde die Frau mehrmals kurzzeitig in der geschlossenen Abteilung des örtlichen psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Das Amtsgericht holte ein Gutachten ein, nachdem sie für sechs Monate in einer geschlossenen Abteilung einer Klinik bleiben sollte, damit sie sich nicht selbst gefährde. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Unterbringung an einem anderen Ort sein sollte. Außerdem sollte ein familienfremder, unvorbelasteter Betreuer anstelle der Mutter eingesetzt werden. Die behandelnden Ärzte sprachen sich ebenfalls für einen Betreuerwechsel aus. Es bestehe eine innerfamiliäre Dynamik, die für die junge Frau ausschließlich kontraproduktiv wirke.

Unterbringung 120 Kilometer entfernt von der Familie

Gegen den ausdrücklichen Wunsch der Tochter entließ das Amtsgericht die Mutter und bestellte eine Berufsbetreuerin. Auf Antrag der neuen Betreuerin wurde die Frau in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses und anschließend in einem Heim untergebracht, das rund 120 Kilometer vom Wohnort der Mutter entfernt lag. Die Mutter legte Beschwerde gegen ihre Entlassung als Betreuerin ein, die das Landgericht Neubrandenburg (LG) aber zurückwies (2 T 134/19). Die Entlassung als Betreuerin begründete das Gericht in der fehlenden Eignung der Mutter und einem entgegenstehenden Wohl der Tochter. Eine fördernde krankheitsgerechte Behandlung der jungen Frau sei in der Vergangenheit nicht erkennbar gewesen. Grund sei der »Rollenkonflikt«, in dem sich die Mutter befinde. Sie könne aus ihrer emotionalen Grundsituation heraus nicht zum Wohl ihrer Tochter führen und sei daher als Betreuerin nicht geeignet. Dagegen legte die Mutter Verfassungsbeschwerde ein. Der Gerichtsbeschluss verletze sie in ihrem Grundrecht auf den Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

Schutz der Familie bei Bestellung einer Betreuerin zu beachten

Das Bundesverfassungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass Art. 6 Abs. 1 GG auch bei der Bestellung einer Betreuerin Rechnung getragen werden muss. Der Beschluss des LG verletze die Mutter in diesem Recht. Art. 6 gebiete eine bevorzugte Berücksichtigung der Familienangehörigen jedenfalls dann, wenn eine tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte engere Bindung bestehe. Das LG habe die Mutter-Tochter-Beziehung einseitig betrachtet. Es werde nicht deutlich, dass dem Wert der familiären Beziehungen, dem innerfamiliären Zusammenhalt und der Familie als Schutzraum der jungen Frau darüber hinaus Bedeutung beigemessen worden ist.

Wille der Betreuten ist Ausdruck von Selbstbestimmungsrecht

Das LG hätte darüber hinaus das Selbstbestimmungsrecht der jungen Frau mehr beachten müssen. Sie habe mehrfach ausdrücklich gesagt, dass sie ihre Mutter als Betreuerin habe behalten wollen. Der Vorrang des Willens der Betreuten bei der Auswahl der Betreuerin ist Ausdruck des grundrechtlich verbürgten und umfassenden Selbstbestimmungsrechts, so die Richter. Nur dann, wenn die Bestellung der von der Betreuten gewünschten Person ihrem eigenen Wohl zuwiderlaufe, ist die Bestellung einer anderen Betreuerin möglich. Eine andere Betreuerin sei jedenfalls dann geboten, wenn andernfalls eine erhebliche Gefahr für die Betreute bestehe und sie diese Gefahr aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

Anna Kristina Bückmann
Quelle:
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 31.03.2021 – 1 BvR 413/20