RICHARD BOORBERG VERLAG

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02.01.2023

     

Bewertungsportale müssen strenger prüfen

    

Bewertungen im Internet dürfen nicht ungeprüft veröffentlicht werden, so der Bundesgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung. Unterbleibt eine Prüfung, kann sich ein Unterlassungsanspruch des Bewerteten ergeben.

Bewertungsportale haben sich als Pranger zu allen möglichen Produkten und Lebenslagen etabliert. Doch was gilt, wenn die dort Bewerteten nicht einverstanden sind mit der Bewertung?

Der Fall

In dem Verfahren ging es um Bewertungen auf einem Reiseportal im Internet. Dort können mit E-Mail registrierte Nutzer unter anderem Hotels buchen und diese Hotels anhand eines Notenschemas mit bis zu sechs Sonnensymbolen in verschiedenen Kategorien (Hotel, Zimmer, Service, Lage, Gastronomie, Sport & Unterhaltung) und im Rahmen von Freitexten bewerten.

Für andere Nutzer werden die Bewertungen sichtbar gemacht. Und dies auch unter Angabe der Altersgruppe des Nutzers, Reisezeitraum, Reisedauer und Anzahl der Reisenden. Wer fleißig ist und als Nutzer bis zu zehn Hotelbewertungen pro Monat einstellt, die veröffentlicht werden, erhält Flugmeilen als Prämie. Voraussetzung zur Bewertung: Man muss in dem Hotel gewesen sein.

Die Klägerin betreibt einen Ferienpark mit  1.180 Wohneinheiten und 4.000 Betten. Sie wendet sich gegen mehrere negative, teils mit Fotos versehene Bewertungen im Portal. Die Bewertenden seien gar keine Gäste ihrer Freizeiteinrichtung gewesen.

Nachdem das Landgericht Köln die Klage abgewiesen hatte, änderte das Oberlandesgericht (OLG) Köln das Landgerichtsurteil ab. Es verurteilte den Portalbetreiber, die angegriffenen Bewertungen – mit Ausnahme einer Bewertung einer bestimmten Nutzerin – zu verbreiten. Dagegen wehrte sich der Portalbetreiber vor dem Bundesgerichtshof.

Leitsätze des Bundesgerichtshofs

Bei einem Bewertungsportal (hier: Hotelbewertungsportal) reicht die Rüge des Bewerteten, einer Bewertung liege kein Gästekontakt zugrunde, grundsätzlich aus, um Prüfpflichten des Bewertungsportals auszulösen. Zu weiteren Darlegungen, insbesondere einer näheren Begründung seiner Behauptung des fehlenden Gästekontakts, ist der Bewertete gegenüber dem Bewertungsportal grundsätzlich nicht verpflichtet.

Dies gilt nicht nur in dem Fall, dass die Bewertung keinerlei tatsächliche, die konkrete Inanspruchnahme der Leistung beschreibende Angaben enthält und dem Bewerteten daher eine weitere Begründung schon gar nicht möglich ist, sondern auch dann, wenn für einen Gästekontakt sprechende Angaben vorliegen. Denn der Bewertete kann diese Angaben regelmäßig nicht überprüfen und damit den behaupteten Gästekontakt nicht sicher feststellen. Einer näheren Begründung der Behauptung des fehlenden Gästekontakts bedarf es nur, wenn sich die Identität des Bewertenden für den Bewerteten ohne weiteres aus der Bewertung ergibt. Im Übrigen gilt die Grenze des Rechtsmissbrauchs.

Die Entscheidung

Der Portalbetreiber muss es unterlassen, die Bewertungen – bis auf die genannte Ausnahme – zu verbreiten, das heißt auf seinem Portal zu veröffentlichen. Die zulässige Revision des Portalbetreibers vor dem höchsten deutschen Zivilgericht hatte in der Sache keinen Erfolg.

Zu den Pflichten des Portalbetreibers führt der BGH aus: „Zu welchen konkreten Überprüfungsmaßnahmen der Hostprovider verpflichtet ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei dem Gewicht der angezeigten Rechtsverletzung sowie den Erkenntnismöglichkeiten des Providers zu. Zu berücksichtigen sind aber auch Funktion und Aufgabenstellung des vom Provider betriebenen Dienstes sowie die Eigenverantwortung des für die persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigende Aussage unmittelbar verantwortlichen – ggf. zulässigerweise anonym oder unter einem Pseudonym auftretenden – Nutzers.“

Zwar hafte der Portalbetreiber nicht als unmittelbarer Störer oder gar als Täter, da die Bewertungen nicht kontrolliert oder inhaltlich verändert oder sonst zu eigen gemacht wurden.

Haftung als „mittelbarer Störer“

Der Betreiber haftet jedoch als „mittelbarer Störer“. Denn die klagende Ferienanlagenbetreiberin habe hinreichend konkretisiert, dass den angegriffenen Bewertungen kein tatsächlicher Gästekontakt zugrunde liege. Dem stehe nicht entgegen, dass es sich letztlich um Mutmaßungen handle, die Angriffe der Ferienanlagenbetreiberin gegen die Bewertungen – mit Ausnahme der Bewertung von „Elisabeth“ – seien nicht ins Blaue hinein erfolgt. Als mittelbare Störerin ist der Portalbetreiber verpflichtet, die jeweiligen Nutzer anzuschreiben, um zu klären, ob die Beanstandung berechtigt sei. Da dies unterblieb, führt dies zur Unzulässigkeit der angegriffenen Bewertungen.

Das bewertete Unternehmen kann nicht mit den Folgen einer negativen Bewertung belastet werden, obwohl der Portalbetreiber unschwer weitere Nachforschungen zur Plausibilitätskontrolle hat betreiben können.

Allerdings bedarf es der differenzierten Betrachtung: Zu berücksichtigen sei dabei, dass Bewertungsportale eine von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion erfüllen.

Der vom Hostprovider zu erbringende Prüfungsaufwand darf den Betrieb seines Portals weder wirtschaftlich gefährden noch unverhältnismäßig erschweren. Ein solches Gewicht haben rein reaktive Prüfungspflichten, um die es im Streitfall allein geht, in der Regel aber nicht, so der BGH.

Im Urteil heißt es weiter: „Auf der anderen Seite kann bei der Bestimmung des zumutbaren Prüfungsaufwands nicht außer Betracht bleiben, dass der Betrieb eines Portals mit Bewertungsmöglichkeit im Vergleich zu anderen Portalen, insbesondere Nachrichtenportalen, schon von vornherein ein gesteigertes Risiko für Persönlichkeitsrechtsverletzungen mit sich bringt. Es birgt die Gefahr, dass es auch für nicht unerhebliche persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen missbraucht wird. Der Portalbetreiber muss deshalb von Anfang an mit entsprechenden Beanstandungen rechnen. Dabei werden die mit dem Portalbetrieb verbundenen Missbrauchsgefahren noch dadurch verstärkt, dass die Bewertungen – rechtlich zu- lässig – anonym oder unter einem Pseudonym abgegeben werden können. Die Möglichkeit, Bewertungen verdeckt abgeben zu können, erschwert es dem Betroffenen zudem erheblich, unmittelbar gegen den betreffenden Portalnutzer vorzugehen.

Der Hostprovider hat im Fall eines konkreten Hinweises auf einen auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer zu bejahenden Rechtsverstoßes diese Beanstandung an den für den Inhalt Verantwortlichen zur Stellungnahme weiterzuleiten. Bleibt eine Stellungnahme innerhalb einer nach den Umständen angemessenen Frist aus, ist von der Berechtigung der Beanstandung auszugehen und der beanstandete Eintrag zu löschen. Die beanstandeten Bewertungen greifen in den Schutzbereich des Unternehmenspersönlichkeitsrechts der Klägerin ein. In den angegriffenen Bewertungen werden die Leistungen der Klägerin mit maximal drei Sonnensymbolen bewertet, wobei sechs Sonnensymbole die „Bestnote“ sind. Im Freitext bemängeln die Nutzer unter anderem die Sauberkeit der Zimmer, den Zustand der Freizeitanlage und den Service der Klägerin. Die Kundgabe der an- gegriffenen Bewertungen auf der Webseite der Beklagten ist geeignet, sich abträglich auf das unternehmerische Ansehen der Klägerin auszuwirken. Die Bewertungen können dazu führen, dass potentielle Kunden die Leistungen der Klägerin nicht nachfragen. Es ist davon auszugehen, dass den noch in Streit stehenden Bewertungen kein Gästekontakt zugrunde liegt, weshalb die Beeinträchtigung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts der Klägerin rechtswidrig ist.

Ein berechtigtes Interesse der Nutzer, eine tatsächlich nicht stattgefundene Inanspruchnahme der Leistungen der Klägerin zu bewerten, ist nicht ersichtlich. Entsprechendes gilt für das Interesse der Beklagten, eine Bewertung über eine nicht stattgefundene Inanspruchnahme der Leistung der Klägerin zu kommunizieren, und für das Interesse der passiven Nutzer, eine solche Bewertung lesen zu können.

Das Oberlandesgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Ferienanlagenbetreiberin Beanstandungen erhoben hat, die so konkret gefasst sind, dass Rechtsverstöße auf der Grundlage ihrer Behauptungen unschwer zu bejahen sind und bei dem Portalbetreiber Prüfpflichten ausgelöst haben. Diesen Prüfpflichten sei der Portalbetreiber nicht nachgekommen, weshalb davon auszugehen ist, dass den angegriffenen Bewertungen kein Gästekontakt zugrunde liegt.

Dafür reicht eine Rüge des Bewerteten aus, der Bewertung liegt kein Gästekontakt zugrunde, um Prüfpflichten des Bewertungsportals auszulösen.

Einer näheren Begründung der Behauptung des fehlenden Gästekontakts bedarf es nur, wenn sich die Identität des Bewertenden für den Bewerteten ohne weiteres aus der Bewertung ergibt. Im Übrigen gilt die Grenze des Rechtsmissbrauchs.“

„Auf der Grundlage der Behauptung, den angegriffenen Bewertungen liege kein Gästekontakt zugrunde, ist ein Rechtsverstoß unschwer, das heißt ohne ein- gehende rechtliche und tatsächliche Überprüfung, zu bejahen“, heißt es im Urteil weiter.

RdW-Redaktion
Quelle:
BGH, Urteil vom 09.08.2022 – VI ZR 1244/20