RICHARD BOORBERG VERLAG

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21.12.2020

Wirtschaftsrecht

Berufsunfähigkeitsversicherung: schlechtere Gehaltschancen im Ersatzberuf

  

Eine Berufsunfähigkeitsversicherung muss nur dann Leistungen an einen Versicherten, der einen Ersatzberuf ausübt, erbringen, wenn der neue Beruf eine deutlich geringere soziale Wertschätzung als die frühere Tätigkeit hat. – Der Umstand, dass im alten Beruf im Laufe der Jahre ein höheres Einkommen als im neuen Beruf zu erzielen wäre, ist nicht durch die Berufsunfähigkeitsversicherung abgedeckt.

Hintergrund

Durch einen Unfall oder eine Erkrankung kann plötzlich der dauernde Verlust des Arbeitsplatzes eintreten. Dann ist es von Vorteil, wenn der Betroffene eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat. Allerdings besteht die Zahlungspflicht der Versicherungsgesellschaft nicht ausnahmslos. Denn die Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nur, wenn feststeht, dass der Versicherte seinen Beruf auf Dauer nicht mehr ausüben kann, er nicht zu einer anderen Tätigkeit in der Lage ist, die seiner Ausbildung, seinen Fähigkeiten und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht und er eine solche Tätigkeit auch tatsächlich nicht ausübt (§ 2 Allgemeine Bedingungen für die Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung). Ob dies der Fall ist, ist in der Praxis zwischen Versicherung und Versichertem häufig streitig, wie auch zwei Entscheidungen des Oberlandesgerichts Oldenburg1 zeigen.

Fall 1

Ein Mann konnte nach einem Unfall nicht mehr als Heizungsmonteur tätig sein. Er schulte zum technischen Zeichner um und verdiente letztlich so viel wie zuvor. Gleichwohl machte er geltend, die beiden Berufe seien nicht vergleichbar, weil der Beruf des Heizungsmonteurs – gerade im ländlichen Raum, in dem er wohne – ein höheres Sozialprestige genieße. Zudem habe sich seit seinem Unfall das Gehaltsniveau im Handwerk besonders positiv entwickelt. Er hätte daher mittlerweile in seinem alten Beruf deutlich mehr verdienen können als in seinem neuen Beruf als technischer Zeichner. Deshalb sei die Versicherungsgesellschaft aus dem Versicherungsvertrag verpflichtet, Zahlungen zu leisten.

Fall 2

Ein Estrichleger konnte ebenfalls wegen körperlicher Beeinträchtigungen durch einen Unfall seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben. Er hatte eine Umschulung zum Großhandelskaufmann erfolgreich durchlaufen. Als kaufmännischer Angestellter verdiente er dort jetzt nur geringfügig weniger als zuvor als Estrichleger. Auch er argumentierte, als Estrichleger hätte er mehr gesellschaftliche Wertschätzung erfahren, später einen Meistertitel erworben und ein Firmenfahrzeug erhalten. Angesichts dieser durch den Unfall entgangenen besseren beruflichen Entwicklung im alten Beruf sei die Berufsunfähigkeitsversicherung zu Erstattungsansprüchen verpflichtet.

Die Entscheidungen

In beiden Fällen lehnte das Oberlandesgericht Oldenburg eine Zahlungspflicht der Berufsunfähigkeitsversicherung ab. Zum Argument in beiden Fällen, das Handwerk habe ein höheres Sozialprestige als die jetzt ausgeübten Berufe (technischer Zeichner sowie Außenhandelskaufmann), sei durch nichts belegt. Auch die Argumentation, die Gehälter im Handwerk hätten sich nach Eintritt des Versicherungsfalls (Unfall) verbessert, und es hätte mit einem beruflichen Aufstieg gerechnet werden können, seien hier nicht relevant. Denn entscheidend sei die Lebensstellung des Versicherten bei Eintritt des Versicherungsfalls. Berufliche Aufstiegschancen und Erwartungen seien durch die BU-Versicherung nicht abgesichert. Daher sei es unerheblich, ob der Versicherte tatsächlich nach Eintritt des Versicherungsfalls im alten Beruf eine deutlich positivere Lohnentwicklung erfahren hätte als im neuen angelernten Beruf. Somit durfte die Versicherungsgesellschaft ihre Zahlungen einstellen, da beide Betroffene neue zumutbare Berufe ausübten.

Klaus Krohn
Quelle:
Beschlüsse des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 11. 05. 2020 – 1 U 14/20 und 1 U 15/20