I ist Unternehmer und besteuert seine Umsätze aufgrund einer Genehmigung vom 02.04.1987, die unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt worden ist, nach vereinnahmten Entgelten. Im Sommer 2015 fand eine Außenprüfung bei I statt. Dem Prüfer fiel dabei auf, dass I als Geschäftsführer verschiedener Firmen (Leistungsempfänger) unternehmerisch tätig war.
Diesen Firmen hatte er in erheblichem Umfang Rechnungen mit gesondertem Ausweis von Umsatzsteuer erteilt. Die Rechnungen wurden von den Leistungsempfängern aber nur über Verrechnungskonten gebucht und über mehrere Jahre hinweg nicht bezahlt. In den Rechnungen waren weder Zahlungsfristen genannt, noch Fälligkeiten ausgewiesen. Die Außenprüfung kam zu der Auffassung, dass ein zeitnaher Zufluss der Entgelte für die abgerechneten Leistungen bei I nicht nur nicht angestrebt worden sei, sondern hätte gezielt vermieden werden sollen.
Daraufhin widerrief das Finanzamt die Genehmigung zur Besteuerung der Umsätze nach vereinnahmten Entgelten. Die sofortige Vornahme des Vorsteuerabzugs bei den Leistungsempfängern bei fehlender Vereinnahmung der Entgelte für die Umsätze bei I begründe bei nahestehenden Personen die Vermutung, dass die Gestattung missbraucht werde. Hiergegen legte I Einspruch ein. Seine Begründung: Die Ablehnung sei ermessensfehlerhaft auf Liquiditätsvorteile des leistenden Unternehmers gestützt worden, obwohl gerade die Stärkung der Liquidität kleiner und mittlerer Unternehmen Zweck der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten sei und Zinsnachteile der Finanzverwaltung vom Zweck der Vorschrift umfasst seien. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die dagegen gerichtete Klage von I vor dem erstinstanzlichen Finanzgericht war ebenfalls erfolglos. Dessen Meinung nach sei es legitim, die Genehmigung nach § 20 UStG zu versagen oder zu widerrufen, falls das Zusammenspiel von § 20 UStG einerseits und § 15 UStG andererseits die Gefahr des Missbrauchs und des Steuerausfalls nahelege. Die Vornahme des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger bei gleichzeitig fehlenden Umsätzen beim leistenden Unternehmen rechtfertige bei nahestehenden Personen die Vermutung, dass die dem leistenden Unternehmen erteilte Zustimmung gemäß § 20 UStG missbraucht werde. Das Verhalten berge zudem die Gefahr von endgültigen Steuerausfällen. I ging in Revision – mit Erfolg.
Keine Gefährdung des Steueraufkommens ersichtlich
Das Finanzamt könne sich nicht auf die von ihm bejahte Gefährdung des Steueraufkommens im Streitfall berufen, weil den Leistungsempfängern von I der Vorsteuerabzug nach Artikel 167 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) erst dann zusteht, wenn diese die Umsatzsteuer an den leistenden Unternehmer gezahlt haben.
Im Streitfall wurde der Widerruf unzutreffend darauf gestützt, dass die Vornahme des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger bei gleichzeitig fehlenden Umsätzen beim leistenden Unternehmer bei nahestehenden Personen die Vermutung begründe, dass die dem leistenden Unternehmer erteilte Gestattung missbraucht werde. Art. 167 MwStSystRL steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer nach einer nationalen Abweichung gemäß Art. 66 Abs. 1 Buchstabe b MwStSystRL erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht und dieses noch nicht gezahlt worden ist. Das Recht auf Vorsteuerabzug wird nämlich während des gleichen Zeitraums ausgeübt, in dem es entstanden ist. Das bedeutet, dass es kraft Unionsrechts gar nicht zu dem behaupteten Missbrauch kommen kann.
Falsche Interpretation des Art. 167 MwStSystRL durch Deutschland
Falls ein Leistungsempfänger bereits zur Vornahme des Vorsteuerabzugs berechtigt ist, obwohl beim leistenden Unternehmer aufgrund der Gestattung der Ist-Besteuerung noch keine Umsatzsteuer entstanden ist, beruht dies umsatzsteuerrechtlich nicht auf einer missbräuchlichen Gestaltung durch die am Leistungsaustausch beteiligten Steuerpflichtigen, sondern auf einer unzutreffenden Umsetzung oder Anwendung des Art. 167 MwStSystRL durch den Mitgliedstaat Deutschland.
Entstehung der Umsatzsteuer erst bei Vereinnahmung durch Ist-Besteuerer
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) darf der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Es könne offen bleiben, ob der Begriff „geschuldet“ eine zeitliche Komponente enthält und deshalb dahingehend zu verstehen ist, dass die Umsatzsteuer vom Leistenden schon geschuldet werden muss, um vom Leistungsempfänger als Vorsteuer abgezogen werden zu können. Sie darf vom Leistungsempfänger nicht abgezogen werden, solange sie vom Leistenden noch nicht geschuldet wird. Der Umstand, dass die Umsatzsteuer und das Recht auf Vorsteuerabzug in den Fällen der Ist-Besteuerung erst bei Vereinnahmung des Entgelts entstehen, ist nicht missbräuchlich und führt nicht zu einer Gefährdung des Steueraufkommens. Sie beruht auf der Einführung des § 20 UStG durch den Gesetzgeber.