RICHARD BOORBERG VERLAG

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15.05.2020

Wesentlichkeitsgrenze in zeitlicher Hinsicht

Einkommensteuer

Welche zeitlichen Anforderungen bestehen an die regelmäßige, nicht unwesentliche Betreuung bei der Übertragung des Freibetrags für den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf?

Vater V hatte mit seiner geschiedenen Ehefrau, der Mutter M, vor dem Familiengericht ein Umgangsrecht vereinbart, nach dem er seinen Sohn S in einem wöchentlichen Rhythmus jedes zweite Wochenende samstags um 10:00 Uhr abholt und sonntags um 16:00 Uhr zurückbringt. Die einfache Entfernung zwischen den Wohnorten betrug 163 km. V begehrte die Berücksichtigung des Freibetrags für den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf für die von ihm erbrachten Betreuungsleistungen. Bei einem zeitlichen Betreuungsanteil von jährlich durchschnittlich 10 % sei von einem ausreichenden Betreuungsumfang auszugehen. Einzelne Betreuungstage zählten zur Bestimmung eines wesentlichen Betreuungsumfangs auch dann mit, wenn die Betreuungszeit keine vollen 24 Stunden umfasse. Dies gelte jedenfalls für den Fall, dass die Betreuungszeit deutlich mehr als 12 Stunden betrage und damit über reine Besuchszwecke hinausgehe. Selbst bei stundengenauer Abrechnung mit der Folge des Unterschreitens der Wesentlichkeitsschwelle sei von einem wesentlichen Betreuungsumfang auszugehen. Angesichts der großen Entfernung zwischen den Wohnorten von V und M, die einen höheren Betreuungsanteil wegen der Arbeitsverpflichtung des V unter der Woche erschwere und die Betreuungszeiten in der Regel auf Wochenenden, Feiertage und Urlaubszeiten beschränke, erscheine der Betreuungsanteil als nicht unwesentlich. V, der den bei M lebenden minderjährigen S entsprechend dem vereinbarten Umgangsrecht nahezu an jedem zweiten Wochenende abhole und betreue, leiste einen nicht unwesentlichen zeitlichen Betreuungsanteil und könne damit der Übertragung des ihm zustehenden Freibetrags für den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf auf M wirksam widersprechen. Das Finanzamt war dagegen der Ansicht, der von V geltend gemachte Betreuungsumfang (2016: 45 Tage; 2017: 55 Tage) sei nicht ausreichend. V bekam beim Niedersächsischen Finanzgericht Recht.

Quelle:
Niedersächsisches FG, Urteil vom 19.2.2020, Az. 9 K 20/19