Streitig ist, ob eine aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfolgte Vertragsanpassung ein rückwirkendes Ereignis darstellt, das einen entstandenen Veräußerungsgewinn gem. § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit entfallen lässt.
M und F sind seit 1997 – und auch weiterhin – verheiratet und wurden im Streitjahr 2019 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Nach einer erbschaftsteuerrechtlichen Beratung durch einen Notar entschieden die beiden, eine Gütertrennung zu vereinbaren. Der dadurch entstehende Zugewinnausgleichsanspruch sollte durch Übertragung von Anteilen an eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) erfüllt werden. Um aber einen Steueranfall garantiert zu vermeiden, ließen sich M und F vom Steuerberater B diesbezüglich beraten. In einem gemeinsamen Gespräch erteilte B die Auskunft, dass die Übertragung der Anteile keine Einkommensteuer auslöse. Daraufhin schlossen M und F einen notariellen Ehevertrag nebst Zugewinnausgleichsvereinbarung ab. Zur Erfüllung des Zugewinnausgleichsanspruchs übertrug M seine GmbH-Anteile auf F und trat sie an F ab. F nahm die Übertragung und Abtretung an. M und F erklärten, dass damit der Zugewinnausgleichsanspruch der F abgedeckt sei.
Das Finanzamt jedoch sah den Vorgang nach § 17 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als steuerpflichtig an. Durch die Übertragung der GmbH-Anteile aufgrund des Ehevertrags sei ein Veräußerungsgewinn entstanden, da M und F die Übertragung einvernehmlich ohne weitere Gegenleistung vereinbart hätten. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den Vorauszahlungsbescheid teilten M und F dem Finanzamt mit, dass sie beabsichtigten, die Anteilsübertragung von M an F rückgängig zu machen. Die Rückabwicklung solle wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfolgen und stelle ein rückwirkendes Ereignis dar, das steuerlich auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Anteilsübertragung zurückwirke.
M und F schlossen eine notarielle Änderungsvereinbarung ab. Dort regelten sie, dass sie bei Abschluss des Ehevertrages übereinstimmend die Vorstellung gehabt hätten, dass die Übertragung der GmbH-Anteile zum Ausgleich der Zugewinnausgleichsforderung keine einkommensteuerrechtlichen Konsequenzen haben würde. Vor diesem Hintergrund passten die Kläger den Ehevertrag an und änderten ihn teilweise inhaltlich.
M und F gingen übereinstimmend davon aus, dass der rechtliche Grund für die Abtretung der Geschäftsanteile entfallen sei. Zur Erfüllung des Bereicherungsanspruchs nach § 812 BGB übertrug F die Geschäftsanteile mit allen Rechten, Pflichten und dem Gewinnbezugsrecht für das abgelaufene Geschäftsjahr und für das gesamte derzeit laufende Geschäftsjahr einschließlich aller etwa unter die Gesellschafter noch nicht verteilter Gewinne vorangegangener Geschäftsjahre an M zur Alleinberechtigung zurück und trat die Geschäftsanteile ab. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten sie keinen Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG. Das Finanzamt folgte der Auffassung von M und F nicht. Der fristgerecht erhobene Einspruch wurde zurückgewiesen. Die Klage vonM und F war in der ersten Instanz erfolgreich. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen und ist eingelegt worden.
Für Rückgängigmachung sind erkennbare Anknüpfungspunkte notwendig Um einen bereits verwirklichten Sachverhalt nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit steuerlicher Rückwirkung wieder entfallen zu lassen, muss ein nicht am Vertragsschluss beteiligter Dritter, der die Vertragsgrundlagen nicht ohne Weiteres kennen kann, auch tatsächlich erkennen, dass die dem Abschluss des Rechtsgeschäfts zugrundeliegenden Umstände bereits im Rechtsgeschäft angelegt waren. Es ist daher nicht ausreichend, dass bloße Umstände, die eine Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB darstellen, ohne weitere erkennbare Anknüpfungspunkte zur Rückgängigmachung des Rechtsgeschäfts geführt haben. Die von den Vertragsparteien gemeinsam zur Vertragsgrundlage gemachten Umstände dürfen daher nicht nur einmal zwischen diesen Parteien angesprochen worden sein. Eine solche Vertragsgrundlage muss für sich allein erkennbar sein. Sie muss sich also zumindest aus sonstigen, im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Rechtsgeschäfts stehenden Quellen ergeben. Hierfür können beispielsweise im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Rechtsgeschäfts erstellte Dokumente herangezogen werden oder auch Aussagen eines nicht am Vertragsschluss beteiligten Dritten.
Im Streitfall ist durch das Beratungsgespräch mit dem Steuerberater klar nach außen erkennbar zutage getreten, dass der Umstand, dass die Übertragung der GmbH-Anteile nicht der Einkommensbesteuerung unterliegt, eine Vertragsgrundlage für beide Vertragsparteien geworden ist. Da diese Beratung im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Ehevertrags erfolgt und für einen Dritten erkennbar ist, war der Umstand auch im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt.