In ihrer Einkommensteuererklärung für 2021 erklärten die Antragsteller u.a. ausländische Kapitalerträge aus Termingeschäften i.H.v. rd. 250.600 € und Verluste aus Termingeschäften ohne Steuerabzug i.H.v. rd. 227.300 €. Zugrunde lagen im Wesentlichen sog. CFD-Geschäfte (Contracts for Difference), die zur Gruppe der Derivate gehören, d.h. ihr Kurs leitet sich direkt vom jeweiligen Basiswert ab, z.B. von einer Aktie oder einem Index.
Im Einkommensteuerbescheid für 2021 verrechnete das Finanzamt die laufenden Verluste aus Termingeschäften in Höhe des gesetzlichen Höchstbetrags von 20.000 € mit den Gewinnen aus Termingeschäften und stellte die nicht verrechneten laufenden Verluste i.H.v. 207.300 € zur Verrechnung mit zukünftigen Gewinnen aus Termingeschäften fest (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG). In der Folge waren die Termingeschäftsgewinne des Jahres 2021 damit größtenteils steuerpflichtig, obgleich sie wirtschaftlich ganz überwiegend durch Verluste aufgezehrt waren.
Gegen den Bescheid legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Zur Begründung verwiesen sie auf das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren 2 BvL 3/21, mit dem die Verrechnungsbeschränkung für Verluste aus Aktienverkäufen (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG) zur verfassungsrechtlichen Prüfung vorgelegt wurde. Der Antrag auf AdV wurde abgelehnt, der Einspruch zurückgewiesen. Die Steuerpflichtigen erhoben Klage und stellten zugleich den Antrag auf AdV.
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz gab dem Antrag auf AdV mit Beschluss vom 05.12.2023 statt. Das Finanzamt erhob hiergegen Beschwerde beim Bundesfinanzhof.
Die Entscheidung
Das Gericht der Hauptsache soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auf Antrag aussetzen bzw. aufheben, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken. Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm sein. Da aber für jedes formell ordnungsgemäß zustande gekommene Gesetz grundsätzlich ein Geltungsanspruch besteht, bedarf es hierfür besonderer Voraussetzungen.
Eine solche besondere Voraussetzung sieht das Finanzgericht vorliegend als gegeben an. Die Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte seien von erheblichem Gewicht. Es beruft sich auf das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren 2 BvL 3/21 zur Verrechnungsbeschränkung bei Verlusten aus Aktienverkäufen (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG) und folgt insoweit der Argumentation der Antragsteller.
Die in diesem Verfahren genannten Gründe ließen bei der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung auch eine rechtliche Überprüfung der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte als erforderlich erscheinen. Ausdrücklich lehnte das Finanzgericht damit die Differenzierung ab, auf die der Gesetzgeber die unterschiedlichen Regelungen für Aktien- und Termingeschäfte stützte. Denn zwar ist für beide Arten von Geschäften der Verlust nur mit Gewinnen aus derselben Art von Geschäften verrechenbar; für die Verluste aus Termingeschäften gilt darüber hinaus aber noch die jährliche Betragsgrenze von 20.000 €. Den Grund hierfür sah der Gesetzgeber in dem stärkeren spekulativen Charakter von Termingeschäften im Vergleich zu Aktienan- und -verkäufen. Denn anders als diese Aktiengeschäfte können Derivate und damit Termingeschäfte mit einer Hebelwirkung ausgestattet sein, sodass das Verlustrisiko nicht auf das eingesetzte Kapital begrenzt ist.
Insbesondere in dieser Begrenzung der Höhe nach sieht das Finanzgericht die Gefahr, dass eine Verlustberücksichtigung faktisch ganz ausgeschlossen sein könne. Es verweist darauf, dass der Antragsteller für die Verrechnung des gesondert festgestellten Verlustes i.H.v. rd. 207.300 € über zehn Jahre bräuchte, um die Verluste auszugleichen – vorausgesetzt, es stünden im Rahmen der Verrechnung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG jedes Jahr positive Einkünfte aus Termingeschäften und Stillhalterprämien von mindestens 20.000 € zur Verfügung und es kämen keine weiteren Verluste hinzu. Auffallend ist, dass das Finanzgericht damit die Parallele zur Verrechnungsbeschränkung von Aktienveräußerungsverlusten, auf die es sich beruft, verlässt; denn die Beschränkung der Verlustverrechnung für Aktienveräußerungsverluste kennt gerade keine solche betragsmäßige Begrenzung.
Ausblick
Die Verwerfungskompetenz aus verfassungsrechtlichen Erwägungen liegt allein beim Bundesverfassungsgericht. Fachgerichte können gem. Art. 100 des Grundgesetzes den Rechtsstreit im Wege der konkreten Normenkontrolle zur verfassungsmäßigen Überprüfung dem Bundesverfassungsgericht vorlegen, so wie dies der BFH zur Überprüfung der Verrechnungsbeschränkung der Aktienveräußerungsverluste getan hat. Statt das Hauptsacheverfahren vorzulegen, wählte das Finanzgericht vorliegend – zunächst jedenfalls – einen anderen Weg, um seine verfassungsrechtlichen Bedenken zum Ausdruck zu bringen. Es nutzte das Verfahren, um die Vollziehbarkeit des Steuerbescheids und im Rahmen des im einstweiligen Rechtsschutz anzuwendenden summarischen Verfahrens selbst über die Verfassungsmäßigkeit zu entscheiden. Dabei musste es vor allem über eine wesentliche Hürde springen: Es muss ein besonderes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bestehen, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug eines formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zukommen muss. Hierfür stellte das Finanzgericht auf die Vergleichbarkeit mit der Verrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste ab. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH im Beschwerdeverfahren diese Vergleichbarkeit auch sieht und ihr dann gleichfalls den Vorrang gegenüber dem Interesse am grundsätzlichen Gesetzesvollzug einräumt.