In seiner aktuellen Entscheidung kommt der IX. Senat zu einem anderen Ergebnis. Nach seiner Auffassung liegt eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Sinne des Ausnahmetatbestands des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG auch dann nicht vor, wenn die Nutzungsüberlassung an die Mutter bzw. Schwiegermutter unentgeltlich zu Wohnzwecken erfolgt.
Der Fall
Die Ehegatten A und B wurden im Streitjahr 2017 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Mit notariell beurkundetem Vertrag aus dem Jahr 2009 erwarben A und B zu jeweils hälftigem Miteigentum eine noch zu errichtende Eigentumswohnung zum Kaufpreis von 177.300 €. Die Ehegatten überließen die Wohnung seit der Fertigstellung unentgeltlich an die Mutter der B. Als die Schwiegermutter im Jahr 2016 starb, verkauften die Ehegatten die Eigentumswohnung mit notariell beurkundetem Vertrag aus dem Jahr 2017 für 220.000 €.
Das Finanzamt (FA) berücksichtigte den von den Ehegatten erklärten Gewinn aus der Veräußerung der Eigentumswohnung als steuerpflichtiges privates Veräußerungsgeschäft nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG und rechnete den Veräußerungsgewinn A und B je zur Hälfte zu. Das FA berücksichtigte bei der Veranlagung noch die bestehenden Verlustvorträge aus privaten Veräußerungsgeschäften (A: 1.835 €, B: 13.415 €) und veranlagte sonstige Einkünfte für A in Höhe von 14.553 € und für B in Höhe von 2.974 €. Im anschließenden Einspruchs- und Klageverfahren wenden sich die Eheleute gegen die Steuerpflicht der Veräußerung der Eigentumswohnung und begehren eine Steuerbefreiung des Veräußerungsgewinns. Die Eigentumswohnung sei durchgehend unentgeltlich zu Wohnzwecken an die Mutter bzw. Schwiegermutter überlassen worden. Das sei einer Nutzung zu eigenen Wohnzwecken durch die Eheleute gleichzustellen. Sowohl das FA als auch das Finanzgericht (FG) lehnten die Abstandnahme von der Steuerpflicht ab.
Die Entscheidung
Der IX. Senat wies die Revision der Eheleute zurück. Entgegen der Ansicht von A und B sei die veräußerte Eigentumswohnung durch die Eheleute nicht zu eigenen Wohnzwecken im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG genutzt worden. Aus diesem Grund habe das FA zu Recht einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn ermittelt. A und B hätten aus der Veräußerung der in 2009 angeschafften Eigentumswohnung im Jahr 2017 unstreitig nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG steuerbare Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt. Die Voraussetzungen für den Ausnahmetatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG lägen nicht vor.
Allgemeines
Die Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nimmt Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt werden, von der Besteuerung aus.
Nutzung zu eigenen Wohnzwecken
Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken setzt nach Auffassung des BFH in beiden Alternativen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG voraus, dass eine Immobilie zum Bewohnen dauerhaft geeignet ist und vom Steuerpflichtigen auch bewohnt wird. Der Steuerpflichtige muss das Gebäude zumindest auch selbst nutzen. Es ist dagegen unschädlich, wenn er das Gebäude gemeinsam mit seinen Familienangehörigen oder einem Dritten bewohnt. Für eine Nutzung zu Wohnzwecken genügt es aber nicht, wenn der Steuerpflichtige unter der Adresse der Immobilie lediglich mit seinem Wohnsitz gemeldet ist, sich dort aber allenfalls für Besuchszwecke aufhält.
Überlassung an ein Kind des Steuerpflichtigen
Ein Gebäude wird zwar auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn der Steuerpflichtige es einem einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind unentgeltlich zu Wohnzwecken überlässt. Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken in diesem Sinne liegt aber nicht vor, wenn die Überlassung nicht ausschließlich an ein einkommensteuerlich zu berücksichtigendes Kind, sondern zugleich an einen Dritten (zum Beispiel die Kindesmutter beziehungsweise den Kindesvater) erfolgt. Die Nutzung der Wohnung durch das Kind ist dem Eigentümer als eigene zuzurechnen, weil es ihm obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen. Dabei wird von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Begriff der „eigenen Wohnzwecke“ auf die Vorschrift des § 32 EStG abgestellt. Der Gesetzgeber unterstellt in diesen Fällen aus Vereinfachungsgründen typisierend eine Unterhaltspflicht.
Der BFH lässt auch keinen Vergleich mit der Regelung nach § 4 Satz 2 des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG) zu. Danach lag eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auch vor, soweit eine Wohnung unentgeltlich an einen Angehörigen im Sinne des § 15 der Abgabenordnung (AO) zu Wohnzwecken überlassen wurde. Diese Auslegung sei nicht auf § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG übertragbar. Auch Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ändere daran nichts. Der allgemeine Gleichheitssatz gebiete dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches seinem Wesen entsprechend ungleich zu behandeln. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen, vergleichbaren Personenkreis aber vorenthalten wird. Die Steuerbefreiung in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG knüpft an die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken durch den Steuerpflichtigen an. Durch die Tatsache, dass die Überlassung an ein einkommensteuerlich zu berücksichtigendes Kind als unschädlich anzusehen ist, wird nach Auffassung des BFH nicht veranlasst, den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG über diese Fälle hinaus auszuweiten. Anders als bei einem steuerlich zu berücksichtigenden Kind, für das bei typisierender Betrachtung eine Unterhaltspflicht besteht und Unterhaltsaufwendungen erbracht werden, können in den übrigen Fällen eine Unterhaltspflicht sowie das Anfallen entsprechender Aufwendungen nicht ohne weitere Überprüfung im Einzelfall angenommen werden.
Anmerkung
Im vorliegenden Einzelfall war A nicht gegenüber der Schwiegermutter unterhaltsverpflichtet. Es liegt insoweit kein Verwandtschaftsverhältnis im Sinne von § 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vor, das zum Unterhalt verpflichten würde. Er war nur verschwägert nach § 1590 Abs. 1 BGB. Das FG hat auch keine Unterhaltspflicht für B gegenüber ihrer Mutter festgestellt.