RICHARD BOORBERG VERLAG

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27.11.2023

Richtigkeit der Bewertung lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen auf dem Prüfstand

   

Der Grundsatz des § 14 Absatz 1 Bewertungsgesetz (BewG) ist, dass der Kapitalwert von lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen mit dem Vielfachen des Jahreswerts anzusetzen ist. Die Vervielfältiger sind nach der Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes zu ermitteln. Streitig ist, ob die Ausnahmen des § 14 Absatz 2 BewG ausnahmslos immer zu berücksichtigen sind.

Z, geboren 1939, war alleiniger Gesellschafter der Y Vermögensverwaltung GmbH (Y-GmbH). Mit Wirkung zum 1. Mai 2014 übertrug er mit notariellem Vertrag jeweils 23,33% seiner Anteile auf seine Kinder A, B und C. Die Übertragung erfolgte unter dem Vorbehalt des lebenslangen unentgeltlichen Nießbrauchs für den Schenker Z. Das Finanzamt setzte für diese Übertragung gegenüber B Schenkungsteuer in Höhe von 1.918 € fest. Dabei ging er von einem Wert des Erwerbs in Höhe von 427.458 € aus (Wert der übertragenen Anteile = 781.864 € ./. Nießbrauchsverpflichtung i.H.v. 354.406 € [Jahreswert = 781.864 : 18.6 = 42.036 x Vervielfältiger 8,431]). Der berücksichtigte Wert beruhte auf einem Bescheid des für die Y-GmbH zuständigen Finanzamts über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Werts des Anteils an einer Kapitalgesellschaft nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG und die gesonderte Feststellung des Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 2a Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) für Zwecke der Schenkungsteuer auf den Bewertungsstichtag.

Der Feststellungsbescheid enthält keine Aussagen zum Wert des Nießbrauchs. Der Jahreswert des Nießbrauchs und der Wert der übertragenen Anteile sind zwischen den Beteiligten unstreitig.

Gegen den Schenkungsteuerbescheid erhob B mit Zustimmung des Finanzamts Sprungklage. Der Bescheid sei rechtswidrig, da der für die Berechnung der Nießbrauchslast anzuwendende Vervielfältiger richtigerweise 9,509 betragen müsse. Der Ansatz des höheren Vervielfältigers ergebe sich daraus, dass § 14 BewG einen logischen Bruch enthalte. Denn einerseits sei nach § 14 Abs. 1 BewG der Vervielfältiger nach der statistischen Lebenserwartung zu bemessen, andererseits sei in Fällen, in denen sich das Mortalitätsrisiko innerhalb kurzer Zeit verwirkliche (§ 14 Abs. 2 BewG), der Kapitalwert nach der tatsächlichen Laufzeit zu bemessen. Wenn in einem solchen Fall nun die Ermittlung nach der statistischen Lebenserwartung erfolge, aber von vorneherein nur solche Sterbefälle berücksichtigt würden, die nach einer bestimmten Mindestdauer eingetreten seien, so sei der nach den Tabellen des § 14 Abs. 1 BewG ermittelte Wert mathematisch falsch, da er Umstände berücksichtige, die aus den Gründen des § 14 Abs. 2 BewG gar nicht berücksichtigt würden. Darüber hinaus sei der Bescheid auch deshalb rechtswidrig, weil die nach Geschlecht unterscheidenden Tabellen zu § 14 Abs. 1 BewG gegen Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verstießen. Das erstinstanzliche Finanzgericht teilte die Ansicht des klagenden B nicht und wies die Klage als unbegründet ab. Das Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig, da Revision zugelassen worden war und auch eingelegt wurde.

Rechtmäßiger Steuerbescheid

Der angefochtene Schenkungsteuerbescheid sei rechtmäßig und verletze B nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung/ FGO). Das Finanzamt hat zu Recht bei der Ermittlung des Wertes der Nießbrauchsverpflichtung den Vervielfältiger in Höhe von 8,431 angewandt. Der angewandte Vervielfältiger entspricht den gesetzlichen Vorgaben in § 14 Abs. 1 BewG. In diesem gesetzlichen Rahmen verbleibt kein Spielraum für die Anwendung des vom klagenden B selbst ermittelten Vervielfältigers. Selbst wenn der von B errechnete Vervielfältiger besser oder mathematisch richtiger wäre als § 14 BewG, dürfte das Gericht ihn nicht ansetzen, weil es sich ansonsten in verfassungswidriger Weise als normsetzende Instanz gerierte.

Es finden sich nirgends Anhaltspunkte dafür, dass bei der Ermittlung des Kapitalwerts von lebenslangen Nutzungen und Leistungen bei der Anwendung der Sterbetafeln des Statistischen Bundesamts gemäß § 14 Abs. 1 BewG regelmäßig die Ausnahmevorschrift des Folgeabsatzes berücksichtigt werden sollen. Damit dies geschehen müsse, müssten die in § 14 Abs. 2 BewG aufgeführten Voraussetzungen vorliegen. Liegen sie nicht vor, kommt der Absatz 2 auch nicht zur Anwendung. Nach Systematik und Wortlaut des Gesetzes soll die Bewertung der lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen nach § 14 Abs. 1 BewG bei nicht laufend veranlagten Steuern lediglich dann nach § 14 Abs. 2 BewG entsprechend der „wirklichen Dauer” korrigiert werden, wenn die Lebenserwartung zum Stichtag und die „wirkliche Dauer” in einem unvertretbaren Missverhältnis stehen.

Geschlechterunterschiede zulässig im Rahmen der typisierenden Schätzung

Es sei nicht vollständig einsehbar, warum die Anwendung geschlechtsspezifischer Sterbetafeln und daraus resultierend die unterschiedlichen Vervielfältiger für Männer und Frauen bei der Ermittlung des Kapitalwerts eines Nießbrauchsvorbehalts für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer gegen das Gebot der Gleichbehandlung von Mann und Frau (Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 3 Absatz 3 GG) verstoßen sollten. Bei den geschlechtsspezifischen Sterbetafeln handelt es sich um eine typisierende Schätzung im Rahmen des Steuerrechts.

Im Gegenteil: Die je nach Geschlecht unterschiedlichen Sterbetafeln dienten der wirtschaftlichen Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Bei der rein statistischen Gleichbehandlung legt der Gesetzgeber realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde und passt diesen durch die Zugrundelegung der jeweils aktuellen Sterbetafeln zeitnah den tatsächlichen Gegebenheiten an.

Autoren:
Claudia Ossola-Haring
Quelle:
BFH, Urteil vom 09.11.2022 – II R 38/22.