RICHARD BOORBERG VERLAG

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23.08.2021

Kindergeld in Wohnsitz-Wohnsitz-Fällen

   

Gibt es einen Anspruch auf deutsches Kindergeld in Wohnsitz-Wohnsitz-Fällen, wenn nur in Deutschland ein Kindergeldanspruch besteht?

Mutter M ist italienische Staatsangehörige und wohnt zusammen mit ihrem im April 2005 geborenen Sohn S in Italien. Sie ist nicht erwerbstätig und bezieht keine Rente. Der Kindsvater V, ebenfalls italienischer Staatsangehöriger, wohnt in Deutschland, ist nicht erwerbstätig und erhält Leistungen nach SGB II. In Italien besteht für S kein Anspruch auf Familienleistungen.

Die Familienkasse setzte am 30.12.2014 zugunsten der M Kindergeld für S von Mai 2010 bis April 2023 fest. Am 5.12.2017 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung vom 30.12.2014 für S ab Juli 2017 wieder auf, weil sich die für den Anspruch auf Kindergeld wesentlichen Verhältnisse geändert hätten. Italien sei vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen zuständig, da konkurrierende Ansprüche auf Kindergeld nach deutschem Recht und auf italienische Familienleistungen bestünden, die beide durch den Wohnsitz ausgelöst würden, und das Kind in Italien wohnhaft sei. Differenzkindergeld sei ausgeschlossen.

M war dagegen der Ansicht, dass ein Ausschluss des bestehenden inländischen Kindergeldanspruchs nicht von Unionsrecht gedeckt sei. Der Anspruch auf Kindergeld im nachrangigen Staat sei nicht ausgeschlossen, wenn nur ein Anspruch im nachrangigen Staat bestehe, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch im vorrangigen Staat aber nicht erfüllt würden. Werde daher in dem vorrangig zuständigen Mitgliedstaat für einzelne Kinder keine dem Kindergeld vergleichbare Leistung erbracht, weil die nationalen Rechtsvorschriften keinen Anspruch für das Kind vorsähen, müssten die allein durch den Wohnort einer berechtigten Person ausgelösten Ansprüche auf Familienleistungen für in einem anderen Mitgliedstaat lebende Kinder erfüllt werden. Die Wohnsitzfiktion könne bei Personen, die im EU-Ausland wohnten, dazu führen, dass der Anspruch auf deutsches (Differenz-)Kindergeld nicht dem in Deutschland lebenden Elternteil zustehe, sondern dem im anderen Mitgliedstaat zusammen mit den Kindern in einem Haushalt lebenden anderen Elternteil.

M bekam beim Bundesfinanzhof Recht.

Autoren:
Marcus Preu
Quelle:
BFH-Urteil vom 18.2.2021, Az. III R 2/20