RICHARD BOORBERG VERLAG

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04.04.2022

Kastenwagen und Liegefahrrad

   

Führt die Anschaffung eines Kastenwagens, den ein außergewöhnlich Gehbehinderter nutzt, um sein Liegefahrrad zu Fahrten außerhalb der Stadt zu transportieren, zu außergewöhnlichen Belastungen?

Ehefrau F leidet seit mittlerweile 25 Jahren an einem weit fortgeschrittenen schweren Morbus Parkinson Asymmetrisches Bent-Spine-Syndrom (PISA-Syndrom) mit schwerer rechtsseitiger Spastik, Multipler Sklerose und Osteoporose. In ihrer Einkommensteuererklärung für 2018 machten die Eheleute M und F Aufwendungen für einen Kastenwagen in Höhe von 18.250 EUR und ein Liegefahrrad in Höhe von 6.603 EUR als außergewöhnliche Belastungen geltend.

Das Finanzamt berücksichtigte diese Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid für 2018 dagegen nicht. Die Anschaffung eines Kastenwagens, auf den ein außergewöhnlich Gehbehinderter angewiesen sei, um sein Liegefahrrad in das Umland zu transportieren, da er in der Stadt nicht mehr fahren könne, führe nicht zu außergewöhnlichen Belastungen, wenn Anschaffungskosten in derselben Größenordnung auch für ein anderes Fahrzeug der unteren Mittelklasse hätten aufgewandt werden müssen. Die Eheleute waren dagegen der Ansicht, dass einem zwar erst nachträglich vorgelegten Arztbericht vom 19.10.2020 zu entnehmen sei, dass zur Wiedererlangung der Mobilität und Aufrechterhaltung alltagsrelevanter Funktionen die Anschaffung eines speziell für F anfertigten Fahrrads erforderlich gewesen sei. Aus diesem Gutachten gehe hervor, dass aufgrund der Gleichgewichtsschwierigkeiten der F das normale Fahrradfahren schon seit Jahren nicht mehr möglich sei. Sie könne lediglich mit einem Liegefahrrad fahren. Das regelmäßige Fahren sei geeignet und medizinisch zwingend notwendig, um den Erfolg der für sie essentiell wichtigen Physiotherapie zu fördern und zu stabilisieren. Das Liegefahrrad stärke das Herz-Kreislaufsystem der F, trainiere die Koordination und Bewegungsabläufe und verbessere das Reaktionsvermögen. F könne das Fahrrad auch nicht zu Alltagszwecken verwenden, da sie beim Ein- und Aussteigen Hilfe benötige. Das Fahrrad könne aufgrund der verlangsamten Reaktionszeiten der F nicht im Stadtverkehr eingesetzt werden. Zum Transport in das Umland sei der ebenfalls erworbene Kastenwagen erforderlich. Das Liegefahrrad stelle kein medizinisches Hilfsmittel dar. Die erhöhten Anforderungen an die Erbringung von Nachweisen im Vorfeld der Anschaffung würden daher nicht gelten.

Das Finanzamt beharrte darauf, dass es sich bei dem Arztbericht nicht um ein vor dem Kauf ausgestelltes Attest handele. Das Liegefahrrad diene nur der schnelleren, bequemeren, sportlicheren und weiträumigen Fortbewegung der F. Es handele sich nicht um Aufwendungen für medizinische Hilfsmittel.

Das Finanzamt bekam beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg Recht.

Autoren:
Marcus Preu
Quelle:
FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8.11.2021, Az. 7 K 7157/20