RICHARD BOORBERG VERLAG

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08.07.2024

Entspricht der Verzicht auf das Nießbrauchrecht am Grundstück einem Verkauf?

   

Wird ein Grundstück unentgeltlich etwa von den Eltern auf Kinder übertragen und dabei ein Nießbrauchrecht zu Gunsten der Eltern zurückbehalten, liegt eine unentgeltliche Vermögensübertragung vor. Aus diesem Grund führt auch der spätere Verzicht auf das Nießbrauchrecht nicht zu einer Veräußerung und damit nicht zu einer Steuerpflicht nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Über diese Frage hatte das Finanzgericht Münster zu entscheiden.

Das FG kam zum Ergebnis, dass der Verzicht auf das Nießbrauchrecht gegen eine Ablösezahlung keine Veräußerung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG darstellt. Mit diesem Urteil hat das FG Münster entgegen der Auffassung des beklagten Finanzamts entschieden, dass die entgeltliche Ablösung eines Nießbrauchrechts nicht zu Einkünften i.S. von § 23 EStG führe. Die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG setze einen Rechtsträgerwechsel an dem veräußerten Wirtschaftsgut voraus. Bei dem Nießbrauchrecht handele es sich zwar um ein Wirtschaftsgut; es werde jedoch nicht veräußert, sondern in seiner Substanz endgültig aufgegeben. Derartige veräußerungsähnliche Vorgänge würden von dem eindeutigen Wortlaut des § 23 EStG nicht erfasst.

Der Fall

Der Klägerin K wurde im Jahr 2008 im Wege des Vermächtnisses ein Nießbrauchrecht an dem in E gelegenen Grundstück „Y 1“ von ihrem verstorbenen Ehemann unentgeltlich zugewandt. Das Nießbrauchrecht wurde im Jahr 2009 bestellt. Eigentümer des Grundstücks war eine Erbengemeinschaft, bestehend aus den gemeinsamen Kindern der K und ihrem verstorbenen Ehemann. Das Grundstück war zunächst an einen fremden Dritten vermietet und K erzielte daraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Seit dem Jahr 2012 vermietet K das Grundstück an die A & Co. KG, deren Komplementärin K war. Aus diesem Grund wurde das Nießbrauchrecht im Jahr 2012 mit einem Einlagewert in Höhe von 0 € in das Sonderbetriebsvermögen I der K bei der A & Co. KG eingelegt.

Die Mieteinnahmen wurden in 2012 bis Februar 2018 als Sonderbetriebseinnahmen der K nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 2. Halbsatz EStG erfasst. Im Jahr 2018 schied K aus der A & Co. KG aus. Zwischen K und dem Finanzamt (FA) war unstreitig, dass das Nießbrauchrecht mit Beendigung der Mitunternehmerstellung der K mit einem Wert von 0 € in das Privatvermögen der K überführt wurde. Die von K anschließend erzielten Mieteinnahmen wurden deshalb wieder im Rahmen der Einkünfte nach § 21 EStG erklärt und veranlagt. Mit Vertrag aus dem Jahr 2017 veräußerte die Erbengemeinschaft das Grundstück „Y 1“ an die V Grundstücksverwaltungs-GmbH & Co. KG. Es wurde dabei vereinbart, dass der Kaufpreis erst bei Erlöschen des Nießbrauchrechts fällig werden soll. Mit „Vereinbarung über die Aufhebung eines Nießbrauchs“ vom 6. November 2019 verzichtete K gegen eine Entschädigung auf ihr Nießbrauchrecht. K erklärte die Ablösezahlung des Nießbrauchrechts nicht im Rahmen ihrer Einkommensteuer-Erklärung. Das FA ging dagegen von einem steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus.

Die Entscheidung

Das FG Münster sah die Klage der K als begründet an und ließ auch die Revision zu. Es sei höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob der Verzicht auf ein Nießbrauchrecht einen Veräußerungsvorgang oder lediglich einen veräußerungsähnlichen Vorgang darstelle.

Private Veräußerungsgeschäfte

Nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG werden Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt, erfasst. Bei Wirtschaftsgütern im Sinne von Satz 1, aus deren Nutzung als Einkunftsquelle zumindest in einem Kalenderjahr Einkünfte erzielt werden, erhöht sich der Zeitraum nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG auf zehn Jahre. Als Anschaffung gilt dabei auch die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privatvermögen des Steuerpflichtigen durch Entnahme oder Betriebsaufgabe (§ 23 Abs. 1 Satz 2 EStG). Zweck der Regelung ist es, innerhalb der Veräußerungsfrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer zu unterwerfen.

Nießbrauchrecht ein Wirtschaftsgut im Sinne des § 23 EStG?

Das vorliegend streitige Nießbrauchrecht stellt nach Auffassung des FG ein Wirtschaftsgut i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG dar. Andere Wirtschaftsgüter im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG seien Wirtschaftsgüter jeder Art im Privatvermögen, die nicht unter $ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG fallen. In der Rechtsprechung des BFH sei geklärt, dass der Begriff des Wirtschaftsguts weit zu fassen ist und dabei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich ist. Darunter würden auch immaterielle Wirtschaftsgüter fallen. Unentgeltlich eingeräumte – schuldrechtliche und dingliche – Nutzungsrechte an Grundstücken sind nach Auffassung des FG als einlagefähige Wirtschaftsgüter anzusehen.

Nießbrauchrechte sind einlagefähig und damit auch entnahmefähig

Das unentgeltliche Nießbrauchrecht als immaterielles Nutzungsrecht ist zwar einlagefähig. Allerdings sei es nicht bewertungsfähig. Aus diesem Grund sei sowohl die Einlage als auch die Entnahme mit dem zutreffenden Wert von 0 € erfolgt. Ein unentgeltlich erworbenes Nießbrauchrecht könne nicht mit dem Teilwert in das Betriebsvermögen eingelegt werden2. Kann das immaterielle Wirtschaftsgut Gegenstand einer (offenen oder verdeckten) Einlage sein, so kann es grundsätzlich in gleicher Weise auch Gegenstand einer Entnahme sein.

Entgeltlicher Verzicht auf das Nießbrauchrecht

Das Nießbrauchrecht wurde nach Auffassung des FG durch den entgeltlichen Verzicht im Jahr 2019 allerdings nicht im Sinne des $ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG veräußert. Nach 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG werden, abweichend von dem sonst im Einkommensteuerrecht bestehenden Grundsatz, wonach Einkünfte aus der Veräußerung privater, nicht zu einem Betriebsvermögen gehörender Wirtschaftsgüter nicht steuerbar sind, innerhalb der Veräußerungsfrist von einem Jahr realisierte Wertänderungen von beweglichen Wirtschaftsgütern jedweder Art im Privatvermögen erfasst. Die dabei verwendeten Begriffe „Anschaffung“ und „Veräußerung“ sind nach § 6 EStG und § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) auszulegen. Darunter sind der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen Dritten, also auf eine andere Person, zu verstehen.

Der Verzicht auf das Wirtschaftsgut „Nießbrauchrecht“ stellt keine Veräußerung in diesem Sinne dar. Es handelt sich nach Auffassung des FG vielmehr um einen veräußerungsähnlichen Vorgang. Denn es fehle an dem für die Veräußerung erforderlichen Rechtsträgerwechsel. Der nicht übertragbare Nießbrauch erlischt vielmehr, wenn nichts anderes vereinbart ist, mit dem Tod des Nießbrauchers. In Folge des Erlöschens fallen die dem Nießbraucher zustehenden Nutzungs- und Fruchtziehungsrechte (wieder) dem Eigentümer des Grundstücks zu. Solche veräußerungsähnlichen Vorgänge werden nach Auffassung des FG von § 23 EStG nicht erfasst.

Die Revision wurde zugelassen und vom FA eingelegt. Der Ausgang des Revisionsverfahrens bleibt also abzuwarten.

Autoren:
Birgit Reindl
Quelle:
FG Münster, Urteil vom 12.12.2023 – 6 K 2489/22 E