Die L GmbH & Co. KG handelte mit Outdoor- Bekleidung. Zu diesem Zweck führte sie Bekleidung aus Vietnam, einem Drittland, nach Deutschland ein und entrichtete dafür die geschuldete Einfuhrumsatzsteuer. Die Zahlungen brachte L als Vorsteuer bei den entsprechenden Umsatzsteuervoranmeldungen in Abzug.
Unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung nimmt der Insolvenzverwalter I die Finanzverwaltung auf Rückgewähr der Einfuhrumsatzsteuerzahlungen in Anspruch. Die von ihm verwaltete Masse deckt die fälligen Masseverbindlichkeiten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des I hatte keinen Erfolg gehabt. Mit seiner Revision verfolgte I den insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch in voller Höhe weiter – mit Erfolg.
Keine rechtsmissbräuchliche Rückforderung
Die Ausübung eines Rechts kann gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, weshalb dann die Rechtsausübung unzulässig ist. Zur einfacheren und zugleich rechtssichereren Beurteilung der Frage, ob die Ausübung eines Rechts gegen Treu und Glauben verstößt, haben sich in Praxis und Wissenschaft Fallgruppen herausgebildet. Zu diesen Fallgruppen zählt auch der „dolo-agit“-Einwand: „Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“ – „Böse handelt, wer fordert, was alsbald herauszugeben ist“. Dies setzt voraus, dass für die Ausübung der bestehenden Rechtsstellung keine schutzwürdigen Interessen bestehen, sondern das Erheben des Anspruchs dem Schuldner unnötige Beschwernisse und zusätzliche Insolvenzrisiken aufbürdet, ohne dem Gläubiger legitime Vorteile zu bringen. Ein Rückgriff auf § 242 BGB ist nur zur Korrektur schlechthin unangemessener und untragbarer Ergebnisse geboten.
Nach diesen Grundsätzen ist das auf § 143 Insolvenzordnung (InsO) gestützte Verlangen des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr der streitgegenständlichen Zahlungen von Einfuhrumsatzsteuer keine unzulässige Rechtsausübung. Die Geltendmachung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs verstößt selbst dann nicht gegen Treu und Glauben, wenn man von einer Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs ausgeht und annimmt, dass eine daraus folgende Umsatzsteuerschuld eine Masseverbindlichkeit darstellt.
Der Anspruch nach §§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 143 Abs. 1 InsO sei zu bejahen, da die Zollbehörde ohne diese Zahlungen ebenfalls Insolvenzgläubigerin geworden wäre. Die gezahlten Steuern haben die Insolvenzmasse verkürzt. Anders ausgedrückt: Die Befriedigungsquote der Insolvenzgläubiger wäre höher ausgefallen, sofern die Steuerzahlung unterblieben wäre.
Finanzverwaltung kein bevorzugter Gläubiger
Dass die Finanzverwaltung die gezahlte Einfuhrumsatzsteuer zurückerstatten muss, schwächt ihre Stellung als Gläubigerin nicht, denn ihre Forderung lebt wieder auf und wird – sofern genügend vorhanden – wie die Forderungen der übrigen Gläubiger aus der Masse befriedigt.