RICHARD BOORBERG VERLAG

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18.11.2024

Beginn des Begünstigungszeitraums bei Belastung mit Erbschaftsteuer

   

Wann beginnt der Begünstigungszeitraum des § 35b Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)? Hierüber hatte der Bundesfinanzhof (BFH) zu urteilen.

M und F sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2017 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. M, der Kläger, ist der Alleinerbe der 2010 verstorbenen W, zu deren Nachlass unter anderem zwei Beteiligungen an Kommanditgesellschaften gehörten. Aufgrund einer nahezu sechs Jahre andauernden Erbenermittlung in einem mehrinstanzlichen Erbscheinverfahren sowie personeller Engpässe im Nachlassgericht wurde erst am 02.03.2016 ein Erbschein ausgestellt, der M als Alleinerben auswies. Bis zur Erteilung des Erbscheins war M aufgrund der Bestellung eines Nachlass- und Verfahrenspflegers daran gehindert, über den Nachlass zu verfügen.

Im Erbschaftsteuerbescheid vom 17.11.2016 wurde Erbschaftsteuer festgesetzt. M hatte die Erbschaftsteuer Ende Dezember 2016 entrichtet. Mit Wirkung zum 01.01.2017 veräußerte M die KG-Beteiligungen. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2017 machten M und F hinsichtlich dieser Veräußerungen die Steuerermäßigung nach § 35b EStG geltend. Das Finanzamt gewährte die Ermäßigung nicht. Einspruch und Klagen blieben erfolglos.

Steuerermäßigung bei Belastung mit Erbschaftsteuer (§ 35b EStG)

Sind bei der Ermittlung des Einkommens Einkünfte berücksichtigt worden, die im Veranlagungszeitraum oder in den vorangegangenen vier Veranlagungszeiträumen als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben, so wird auf Antrag die um sonstige Steuerermäßigungen gekürzte tarifliche Einkommensteuer, die auf diese Einkünfte entfällt, um den in § 35b Satz 2 EStG bestimmten Prozentsatz ermäßigt.

Der Prozentsatz bestimmt sich nach dem Verhältnis, in dem die festgesetzte Erbschaftsteuer zu dem Betrag steht, der sich ergibt, wenn dem steuerpflichtigen Erwerb (§ 10 Abs. 1 ErbStG) die Freibeträge nach den §§ 16 und 17 ErbStG und der steuerfreie Betrag nach § 5 ErbStG hinzugerechnet werden.

Wann sind Einkünfte der Erbschaftsteuer unterlegen?

Mit der Formulierung „der Erbschaftsteuer unterlegen“ in § 35b EStG kann der Zeitpunkt der Entstehung, aber auch der Zeitpunkt der Festsetzung der Erbschaftsteuer gemeint sein. Nach der Gesetzessystematik aber haben Einkünfte in dem Zeitpunkt „der Erbschaftsteuer unterlegen“, in dem die Erbschaftsteuer für den korrespondierenden Erwerb nach Maßgabe von § 38 Abgabenordnung (AO) in Verbindung mit § 9 ErbStG rechtlich entstanden ist.

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn aufgrund der Begrenzung des Begünstigungszeitraums des § 35b Satz 1 EStG auf fünf Jahre zum einen der Erwerb der Beteiligungen mit Erbschaftsteuer und zum anderen ihre Veräußerung mit Einkommensteuer belastet wird. Weder ist dadurch der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, noch ist eine etwaige verfassungsrechtlich zu beachtende Belastungsgrenze überschritten.

Autoren:
Claudia Ossola-Haring
Quelle:
BFH, Urteil vom 28.11.2023 – X R 20/21