B, ein bulgarischer Staatsbürger, lebte gemeinsam mit seiner minderjährigen schulpflichtigen Tochter und der Kindsmutter, beide ebenfalls bulgarische Staatsangehörige, in einem Haushalt. B nahm die elterliche Sorge für seine Tochter tatsächlich wahr. Von März 2021 bis Ende Oktober 2022 arbeitete B als Kurierfahrer in einem unbefristeten, abhängigen Beschäftigungsverhältnis.
Im August 2021 beantragte B erneut für seine Tochter Kindergeld. Nachdem B mit Wirkung zum Ende Oktober aus betrieblichen Gründen gekündigt wurde, bezog er seitdem ausschließlich Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Vor dem Hintergrund der fehlenden Erwerbstätigkeit von B verweigerte die Familienkasse das Kindergeld ab dem Monat Dezember 2022. Hiergegen legte B Einspruch ein. Mit Schreiben vom 24.01.2023 führte die Familienkasse aus, dass ein Kindergeldanspruch vorliegend nur bestehen könne, wenn B freizügigkeitsberechtigt sei. Er habe aber nicht alle angeforderten Unterlagen ein- oder auf Aufforderung nachgereicht. Des Weiteren sei keine von § 62 Einkommensteuergesetz (EStG) geforderte Freizügigkeitsberechtigung erkennbar. B klagte. Er habe Anspruch auf Kindergeld. Nach seinem Dafürhalten lägen die für den Anspruch auf Kindergeld erforderlichen Unterlagen vor. Denn die Tochter des Klägers sei zwölf Jahre alt und gehe in Deutschland zur Schule.
Freizügigkeitsberechtigung
„Freizügigkeit“ heißt, dass Bürger aus Staaten, die zur Europäischen Union (EU) gehören, in andere EU-Mitgliedstaaten einreisen und sich – unter bestimmten Bedingungen – dort ohne gesonderten Aufenthaltstitel aufhalten dürfen. Die Freizügigkeit erstreckt sich auch auf Familienangehörige. Die EU-Bürger dürfen in anderen EU-Staaten als Arbeitnehmer oder Selbstständige erwerbstätig sein.
Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch
Das FG gab der Klage statt. Die den Kindergeldanspruch aufrechterhaltenden Voraussetzungen nach § 62 Abs. 1a Satz 3 EStG erfülle der Kläger zwar nicht; insbesondere lasse sich im Streitzeitraum keine freizügigkeitsbegründende Erwerbstätigkeit oder Arbeitssuche des Klägers feststellen. Sein Anspruch auf Kindergeld begründe sich im Streitzeitraum jedoch aus einem „abgeleiteten Freizügigkeitsrecht“ und einem damit einhergehenden Gleichbehandlungsgebot zu. Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.
Maßgeblich sei allein, dass seinem Kind ein Aufenthaltsrecht zustehe und der Elternteil, der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehme, beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen sei. Unerheblich sei, ob z.B. ausreichende Existenzmittel und umfassender Krankenversicherungsschutz vorlägen.
Kindergeldregelung mit EU-Recht unvereinbar
Aus den unionsrechtlichen Ansprüchen auf Gleichbehandlung folge, dass B Anspruch auf Kindergeld zustehe. § 62 Abs. 1a Satz 3 EStG sei nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, so weit grundsätzlich Kindergeldberechtigte, die nur ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht haben, vom Kindergeldanspruch ausgeschlossen wären. Da die Regelung des § 62 Abs. 1a Satz 3 EStG somit im konkreten Fall nicht anzuwenden sei, stehe sie dem Kindergeldanspruch von B nicht entgegen.
Zwischenfazit
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung/ FGO) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zugelassen worden.