von Bernd Giraud, Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR), Fachbereichsleiter Programme und Produkte/Vertreter der Geschäftsführerin
In der Zwischenzeit braucht es Handwerkszeug für die Praxis, denn eine fachlich hochwertige Information, Beratung und Unterstützung von Menschen mit Beeinträchtigungen und ihrer Arbeitgeber ist in einem gegliederten Sozialleistungssystem kein Selbstzweck, keine Selbstverständlichkeit und kein Selbstläufer. In einem kurzen Überblick werden daher Werkzeuge für das professionelle Nutzen der (trägerübergreifenden) Regelungen des Reha- und Teilhaberechts vorgestellt.

Diese Werkzeuge sind online zugänglich und wurden auf Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) überwiegend als digitale Anwendungen entwickelt. Sie sollen verlässliche Informationen über Rehabilitation und Teilhabe vermitteln, deren rechtliche Grundlagen veranschaulichen und Orientierung in komplexen Zusammenhängen von Leistungen, Zuständigkeiten und Verfahren bieten. Dabei zielen sie auf das Umsetzen und Anwenden zentraler Regelungen des Reha- und Teilhaberechtes, die zuletzt mit dem Bundesteilhabegesetz einer größeren Revision unterzogen wurden – ohne dadurch per se einfacher oder gar verständlicher zu werden.
Mit ihrem Werkzeugcharakter sollen diese Hilfsmittel in erster Linie die Praxis vor Ort und das konkrete Tun unterstützen. Konzipiert wurden sie für Fachkräfte der Reha-Träger und weitere Akteure z.B. im betrieblichen Kontext und in der Vertretung von Menschen mit (Schwer-)behinderung sowie für die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB).
1. Wo gibt es Informationen zu Reha und Teilhabe? Welche Rolle haben dabei Ansprechstellen? Worüber informieren sie und wie ist eine Kontaktaufnahme möglich?
Verzeichnis der Ansprechstellen für Rehabilitation und Teilhabe nach § 12 SGB IX
Für die Vermittlung von Informationen zu Rehabilitation und Teilhabe an Leistungsberechtigte, Arbeitgeber und an andere Reha-Träger, sind nach § 12 SGB IX Ansprechstellen bei allen Reha-Trägern zu benennen. Deren Informationsauftrag bezieht sich z.B. auf Inhalte und Ziele von Teilhabeleistungen sowie auf das Verfahren zu ihrer Inanspruchnahme.
Unter www.ansprechstellen.de sind über 1200 Kontaktprofile aus allen Trägerbereichen und aus allen Regionen auf- geführt und jederzeit abrufbar. Über die dort hinterlegten Informationen ist es z.B. möglich, mit der Unfallkasse in Karlsruhe, der AOK in Magdeburg, der Rentenversicherung in Münster oder dem Träger der Eingliederungshilfe in Oldenburg in Kontakt zu treten. Auch Kontaktdaten aus dem Bereich der Jugendhilfe, der Jobcenter und der Pflegeversicherung stehen zur Verfügung. Auf diese Weise können Informationen aus erster Hand und unter Berücksichtigung regionaler bzw. trägerspezifischer Besonderheiten ein- geholt werden. Zur Weiterentwicklung des Angebotes und zur Vernetzung dieser Ansprechstellen wird es in Zukunft neben diesem öffentlichen Angebot auch einen internen Bereich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der An- sprechstellen selbst geben.
2. Welche Fristen, z.B. nach § 14 SGB IX, laufen nach der Beantragung von Reha-Leistungen? Wann ist über einen Reha-Antrag zu entscheiden und welche Fristen gelten, wenn es z.B. zu einer Begutachtung nach § 17 SGB IX oder einer Teilhabeplanung nach § 19 SGB IX kommt?
Online-Fristenrechner SGB IX
Das trägerübergreifende Reha- und Teilhaberecht sieht insbesondere im Kapitel 4 des SGB IX für alle Reha-Träger konkrete und anspruchsvolle Fristen für die damit verbundenen Verfahren vor. Diese Regelungen wurden mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) verbindlicher und gehen nach § 7 Abs. 2 SGB IX den trägerspezifischen Regelungen vor. Um ein Systemversagen zu verhindern, ist dabei der „Leistende Reha-Träger“ in einer besonders verantwortlichen Rolle gegenüber der antragstellenden Person. In bestimmten Konstellationen stehen mit der Genehmigungsfiktion und der Erstattung selbstbeschaffter Leistungen nach § 18 SGB IX zusätzliche Mechanismen zur Verfügung.
Unter www.reha-fristenrechner.de wurde ein Online-Tool freigeschaltet, mit dem fallbezogen und mit Echtdaten entscheidende Fristen im Reha-Prozess berechnet werden können. Der Einstieg ist über mehrere Zugänge möglich, bspw. aus der Perspektive der antragstellenden Person oder des Reha-Trägers, bei dem zuerst ein Antrag gestellt wurde. So kann nach Angabe des Antragsdatums und des Bundeslandes (Stichwort: Feiertage) die Frist für die Klärung der Zuständigkeit ermittelt werden. Dies ist auch für Fristen bei der Weiterleitung eines Antrages z.B. nach § 15 Abs. 1 SGB IX, der Bedarfsermittlung nach § 13 SGB IX, der Teilhabeplanung nach § 20 SGB IX und bei der Leistungsentscheidung möglich. Solche Informationen können z.B. in BEM-Gesprächen und weiteren Planungs- und Beratungssituationen verwendet werden, um Laufzeiten und Entscheidungswege transparent zu machen.
3. Wie arbeitet ein Reha-Träger nach § 6 SGB IX? Wie funktioniert die Beratung in einer EUTB nach § 12 SGB IX?
Hospitationsbörse
Als digitales schwarzes Brett konzipiert, stellt die BAR ein modernes Angebot für die Zusammenarbeit und die Vernetzung der unterschiedlichen Beratungsangebote vor Ort zur Verfügung. Handlungsleitend ist dabei die Überzeugung, dass über ein solches Kennenlernen wertwolle berufliche Kontakte hergestellt werden können, die zunächst der eigenen Arbeit und dann vor allem den Ratsuchenden mit ihren Anliegen zu Gute kommen.
Die Internetseite www.bar-hospitation.de schafft den Rahmen für das Suchen und Finden von Hospitationsplätzen. Sowohl Mitarbeitende bei einer EUTB als auch bei einem Reha-Träger können hier den Kolleginnen und Kollegen „über die Schulter schauen“. Ein solches Angebot besteht bspw. beim Integrationsamt in Frankfurt, einer Berufsgenossenschaft in Erfurt oder einer EUTB in Rheinland-Pfalz. So können über die Börse konkrete Verabredungen für eine Hospitation vorbereitet werden.
Wegen der Auswirkungen der Coronapandemie ist das ursprüngliche Präsenzangebot um Hospitationen in digitaler Form ergänzt worden und wird fortgesetzt angeboten.
4. Welche E-Learning-Angebote gibt es zu den Rechtsgrundlagen des SGB IX? Welche Inhalte werden zum gegliederten System mit seinen Trägern, Leistungen und Regelungen zur Koordination und zum Reha-Prozess vermittelt?
Digitale Fort- und Weiterbildung: E-Learning SGB IX
Über www.bar-frankfurt.de wird ein modular aufgebauter E-Learning-Kurs angeboten, der von jedem Ort aus und zu jeder Zeit genutzt werden kann. Das erste Modul stellt die Rechtsgrundlagen des SGB IX sowie die UN-BRK und die ICF in den Mittelpunkt. Im zweiten Modul wird vertieft auf die Reha-Träger nach § 6 SGB IX und deren jeweilige Rolle in der Reha-Praxis sowie auf die einzelnen Leistungs- gruppen nach § 4 SGB IX eingegangen. Das dritte Modul stellt den Reha-Prozess nach Kapitel 4 des SGB IX (1. Teil) und mit seinen Phasen vor und fokussiert dabei auf die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten. Alle Fachthemen sind für die Teilnehmenden methodisch und didaktisch aufbereitet und mit interaktiven Lernelementen versehen. In der Summe vermitteln die drei Module Grundlagenwissen, Hintergründe und Fachbegriffe der Rehabilitation und Teilhabe.
Das E-Learning-Angebot steht als kostenpflichtiger Online-Kurs mit Teilnahme-Zertifikat für die individuelle berufliche Fortbildung dauerhaft zur Verfügung und ergänzt trägerübergreifende Fort- und Weiterbildungsangebote, die in Präsenzformaten oder als digitale Veranstaltungen stattfinden.
5. Wer ist im gegliederten Sozialleistungssystem wann für welche Reha- und Teilhabeleistung zuständig – oder nicht?
Zuständigkeitsnavigator
Noch 2021 geht unter www.reha-navi.de ein Zuständigkeitsnavigator online, der die grundlegenden, gesetzlichen Regelungen zur (Nicht-)Zuständigkeit für Reha- und Teilhabeleistungen in logisch verbundene Entscheidungs- stränge anhand von Ja/Nein-Fragen und -Antworten übersetzt. Am Ende der Navigation steht der voraussichtlich zuständige Reha-Träger in Bezug auf eine bestimmte Leistung fest. Relativ einfach und eindeutig lässt sich dies am Beispiel einer Person im Erwerbsleben und in Bezug auf eine medizinische Rehabilitation beantworten. Auf komplexere Fallkonstellationen weisen z.B. Fragen in Bezug auf einen Arbeitsunfall, einer beantragten Altersrente, einer geminderten Erwerbsfähigkeit oder nach der Alterssicherung der Landwirte hin.
Neben diesem Zugang für Expertinnen und Experten gibt es einen weiteren Zugang, der bereits vor der Frage nach einer definierten Leistung oder Leistungsgruppe ansetzt. Er orientiert sich zunächst an den Bedarfen, die Menschen mit Beeinträchtigungen in bestimmten Lebenslagen wie Arbeit oder Gesundheit haben können. Die Navigation startet bereits von dieser Stelle im Reha-Prozess aus, um am Ende ebenfalls zu einer voraussichtlichen Zuständigkeit z.B. der Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit in Bezug auf die Teilhabe am Arbeitsleben zu kommen.
6. Was hat es mit dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 SGB IX auf sich? Und was folgt daraus für Beschäftigte und für Arbeitgeber?
BEM-Kompass
Nach längerer oder häufiger Arbeitsunfähigkeit kommt es immer wieder zu Fragen, wie die Rückkehr und der nachhaltige Verbleib am Arbeitsplatz bzw. im Betrieb sichergestellt werden kann. Mit dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) hat der Gesetzgeber in § 167 Abs. 2 SGB IX eine Regelung geschaffen, die zu einem strukturierten Verfahren führen soll, mit dem Arbeitsunfähigkeit überwunden und der Arbeitsplatz erhalten wird.
Der BEM-Kompass (www.bar-frankfurt.de/bem-kompass) vermittelt, wie eine dauerhafte Sicherung des Arbeitsplatzes gelingen kann und welche Hilfestellungen es etwa in Form von Handlungsleitfäden gibt. Darüber hinaus bietet er als Serviceangebot gezielte Kontakte z.B. zur Unfallversicherung oder zu Integrationsämtern an.
7. Wie können komplexe Regelungen zur Zusammenarbeit und zur Koordination von Teilhabeleistungen verständlich und in Form von Fragen und Antworten dargestellt werden?
FAQ Gemeinsame Empfehlung Reha-Prozess nach § 26 SGB IX
Bei der Fallbearbeitung und bei der Anwendung der Gemein- samen Empfehlung (GE) Reha-Prozess wurden aus der Praxis der Rehabilitation konkrete Fragen zu einzelnen Regelungen formuliert. Auf 25 Fragen und Antworten verdichtet, finden sich Fachinformationen z.B.
- zu den Phasen der Bedarfsermittlung und zur Durchführung von Leistungen,
- zur Gesamtplanung nach § 117 SGB IX und deren Verhältnis zur Teilhabeplanung sowie zu § 11 der GE mit Anhaltspunkten für die Bedarfserkennung und
- zur Zuständigkeitsklärung nach § 14 SGB IX und zur Einbindung von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten nach § 18 der GE sowie
- zu den Stichworten „Antrag“, „Meistbegünstigung“ und „Teilhabeplankonferenz“.
Die Fragen und Antworten sind über die Internetseite der BAR frei zugänglich (www.bar-frankfurt.de > Themen > Gemeinsame Empfehlungen > FAQ). Sie können über insgesamt vier Zugänge aufgerufen werden: über die Phasen des Reha-Prozesses, anhand konkreter Paragraphen des SGB IX und der GE Reha-Prozess, über ein Stichwortverzeichnis sowie eine Frageliste. Die jeweiligen Antworten werden zudem durch Praxistipps, Querverweise und Hintergrundinformationen ergänzt. Geeignet ist dieses Tool für die schnelle und direkte Problemlösung in Bezug auf einzelne Regelungen, ohne den Gesamtkontext aufrufen zu müssen.
8. Gibt es Vordrucke oder Muster z.B. für eine Teilhabeplanung nach § 19 SGB IX? Und wo sind diese Dokumente zu finden?
Musterformulare für den Reha-Prozess
Vorrangig für die Arbeit bei den Reha-Trägern entwickelt, werden auf der Website der BAR ausfüllbare Musterformulare z.B. für die Weiterleitung eines Reha-Antrages oder bei einer sog. „Turboklärung“ nach 14 Abs. 3 SGB IX sowie für die Beteiligung weiterer Reha-Träger bei komplexen Fallkonstellationen und im Rahmen von Beteiligungen nach § 15 SGB IX zum Download angeboten (www.bar-frank- furt.de > Themen > Reha-Prozess > Musterformulare). Mit der deutlichen Aufwertung von Planungsinstrumenten durch das BTHG wurden auch die Dokumente für die Teilhabeplanung aktualisiert und steht zur fallbezogenen bzw. systematischen Verwendung zur Verfügung. Neu entwickelt wurden auch Musterformulare zum (Sozial-)Datenschutz im Reha-Prozess.
9. Welche medizinischen Reha-Einrichtungen gibt es? Und wo gibt es Informationen über deren Angebote?
Reha-Einrichtungsverzeichnis
Als Datenbank mit über 1000 medizinischen Reha-Einrichtungen steht das Verzeichnis auf der Website der BAR online zur Verfügung (www.bar-frankfurt.de > Service > Datenbanken und Verzeichnisse > Reha-Einrichtungsverzeichnis). Eine Suche nach geeigneten Kliniken ist z.B. regional oder für das Bundesland Bayern oder Schleswig-Holstein sowie über eine Indikation wie z.B. Krebserkrankungen oder psychosomatische Krankheiten möglich. In einem weiteren Schritt ist u.a. die Ergänzung um ambulante Angebote vorgesehen.
Als zusätzliches Angebot ist eine Übersicht der nach § 37 Abs. 3 SGB IX zertifizierten stationären medizinischen Reha- Einrichtungen veröffentlicht, die um eine Liste der anerkannten QM-Verfahren ergänzt wird. Diese Informationen können genutzt werden, wenn es um die Auswahl geeigneter Reha-Kliniken z.B. im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung oder wenn die Nähe zum Wohn- bzw. Arbeitsort eine besondere Rolle spielt.
10. Sind weitere Praxistools in Vorbereitung?
Gemeinsamer digitaler Grundantrag für Reha- und Teilhabeleistungen
In 2021 wurde die Arbeit an einem Gemeinsamen Grundantrag für Reha- und Teilhabeleistungen aufgenommen. Damit verbunden sind die Absichten, einen niedrigschwelligen Zugang zu Teilhabeleistungen zu stärken und durch den Abbau von Bürokratie Effektivitätsgewinne für Bürge- rinnen und Bürger sowie für Verwaltungen und deren Mitarbeitende zu erzielen. Die fachliche Arbeit ist weit fortgeschritten und es konnten drei Inhaltsbereiche identifiziert und beschrieben werden, die für das Erfüllen des noch uneingelösten Versprechens des SGB IX „Ein Antrag für alles“ sowohl notwendig als auch hinreichend sind. Neben den Stammdaten zur Bestimmung der Identität einer Person zählen dazu Informationen über das Leistungs- begehren einer Person und Grundinformationen zur Klärung der Zuständigkeit. Mit diesen Ergebnissen wird in einem weiteren Schritt ein Prototyp entwickelt, der den Gewinn eines solchen Vorhabens insbesondere für die digitale Variante greifbar machen wird.