von Gerhard Zorn. Der Autor ist beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) in Köln seit 2019 Leiter des Fachbereichs Querschnittsauf- gaben – Personal, IT, Haushalt und Recht – im LVR-Dezernat Schulen, Inklusionsamt und Soziales Entschädigungsrecht. Davor war er 15 Jahre Abteilungsleiter beim LVR-Inklusionsamt für den Bereich Kündigungsschutz/Begleitende Hilfe.
1. Leistungen nach § 61 SGB IX
Nach § 61 Abs. 2 SGB IX erhalten Menschen mit einer Behinderung unter bestimmten Voraussetzungen ein Budget für Arbeit. Mit dem Budget für Arbeit wird das Ziel verfolgt, Menschen mit Behinderungen eine dauerhafte Alternative zu einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen anzubieten. Erfolgreich verlaufende Modellprojekte unter anderem in Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hatten nachgewiesen, dass mit einer langfristigen finanziellen und personellen Unterstützung deutlich mehr Menschen mit Behinderungen aus der Werkstatt für behinderte Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln können als zuvor.1
Zielgruppe sind behinderte Menschen, bei denen ohne die besondere Förderung des Budgets für Arbeit eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht, noch nicht oder nicht wieder in Betracht kommt, die aber nach entsprechender Vorbereitung und umfassender personaler Unterstützung in der Lage sind, auf individuell, an ihre Fähigkeiten, Belastbarkeit und Kenntnisse angepassten Arbeitsplätzen sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse am allgemeinen Arbeitsmarkt eingehen zu können.2
a) Leistungsarten und zuständiger Leistungsträger
Das Budget für Arbeit setzt sich zusammen aus einem Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber und den Aufwendungen für die wegen der Behinderung erforderliche Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz.
Die Aufwendungen für die wegen der Behinderung erforderliche Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz beinhalten ausweislich der Gesetzesbegründung zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) auch die finanziellen Aufwendungen für eine Arbeitsassistenz oder einen Job-Coach.3 Die Arbeitsassistenz und der Job-Coach in diesem Sinne sind daher Teil der Leistung der Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz. § 61 SGB IX ist daher bezüglich dieser Leistungen lex specialis gegenüber § 49 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 SGB IX und gegenüber den Leistungen der begleitenden Hilfe, die durch die Integrationsämter gewährt wird, soweit nicht die Art der benötigten Arbeitsassistenz über den Bereich der Anleitung und Begleitung hinausgeht. Klassische Arbeitsassistenz (Handreichungen z.B. bei Menschen mit einer Körperbehinderung) werden nicht verdrängt, sondern können neben den Leistungen nach § 61 SGB IX in Anspruch genommen werden, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für eine Förderung vorliegen (vgl. unter Ziffer 2).
Zuständig für diese Leistungen sind aufgrund der besonderen Zuweisung der Aufgabe an bestimmte Leistungsträger nach § 63 Abs. 3 Satz 2 SGB IX i.V.m. § 63 Abs. 2 SGB IX die Träger der Unfallversicherung, der Kriegsopferfürsorge, der öffentlichen Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe.4
b) Beteiligung der Integrationsämter
Nach § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX kann – nicht muss oder soll, sondern kann (!) – das Integrationsamt Leistungen zur Deckung eines Teils der Aufwendungen für ein Budget für Arbeit erbringen. Diese Regelung eröffnet die Möglichkeit, z.B. einen Teil der Aufwendungen für die wegen der Behinderung erforderliche Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz aus Mitteln der Ausgleichsabgabe zu finanzieren. Eine Begleitung am Arbeitsplatz kann dabei auch über Fachkräfte des IFD erfolgen.5 Die grundsätzliche Zuständigkeit des Trägers, der für das Budget für Arbeit zuständig ist (in der Regel der Träger der Eingliederungshilfe), wird dadurch nicht berührt.6
Insofern muss jedes Integrationsamt im Rahmen seiner Zuständigkeit entscheiden, ob und wenn ja in welchem Umfang und für welche Art der Leistung Mittel der Ausgleichsabgabe und in welcher Weise (z.B. Begleitung durch den IFD oder finanzielle Beteiligung) zur teilweisen Deckung der Aufwendungen für ein Budget für Arbeit erbracht werden. Eine bundesweit einheitliche Praxis besteht nicht,7 da jedes Integrationsamt hier seinen eigenen Gestaltungsspielraum nutzen kann – und nutzt.
Der Grundsatz des § 160 Abs. 5 SGB IX, wonach Leistungen nur erbracht werden dürfen, soweit Mittel für denselben Zweck nicht von anderer Seite zu leisten sind oder geleistet werden, gilt hier insofern für die in § 61 SGB IX genannten Leistungen durch die ausdrückliche Leistungsmöglichkeit gemäß § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX nicht. Nur die vollständige Finanzierung aller Kosten des Budgets für Arbeit durch das Integrationsamt (Lohnkostenzuschuss und Anleitung/Begleitung) ist durch den Wortlaut des § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX nicht gedeckt.
c) Begünstigter Personenkreis für Leistungen des Integrationsamtes
Ein Budget für Arbeit nach § 61 SGB IX kann für Menschen mit Behinderung gewährt werden, die Anspruch auf Leistungen nach § 58 SGB IX haben. Eine formale Anerkennung dieses Personenkreises als schwerbehinderter Mensch oder eine Gleichstellung durch die Agentur für Arbeit ist keine Voraussetzung für Leistungen nach § 58 SGB IX. Damit ist diese formale Anerkennung oder Gleichstellung auch nicht Voraussetzung für die Bewilligung eines Budgets für Arbeit nach § 61 SGB IX. Bspw. können lernbehinderte Menschen oder Menschen mit einer seelischen Beeinträchtigung die Voraussetzungen des § 58 SGB IX erfüllen, ohne dass eine anerkannte Schwerbehinderung oder eine Gleichstellung vorliegt.
Demgegenüber dürfen die Leistungen nach § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX nur für Menschen erbracht werden, die anerkannt schwerbehindert oder durch die Agentur für Arbeit gleichgestellt (nachfolgend schwerbehinderte Menschen) sind. Die Leistungen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben durch das Integrationsamt können insofern nur für schwerbehinderte Menschen erbracht werden. Da die teilweise Finanzierung des Budgets für Arbeit im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben erfolgt, ist damit auch eine Mitfinanzierung des Budgets für Arbeit für Personen, die nicht zu dieser Zielgruppe gehören, ausgeschlossen.
Insofern können bei Bedarf auf Basis des § 61 SGB IX zwar auch für nicht schwerbehinderte oder gleichgestellte behinderte Menschen die Aufwendungen für eine Arbeitsassistenz und für einen Job-Coach zur Unterstützung übernommen werden (s.o.). Leistungsträger ist dann aber immer der zu- ständige Rehabilitationsträger, nicht das Integrationsamt. Gleiches gilt für lernbehinderte Menschen oder für Menschen mit einer seelischen Beeinträchtigung, die nicht schwerbehindert oder gleichgestellt sind.
2. Weitere Leistungen des Integrationsamtes
Zu klären ist, ob neben der Deckung eines Teils der Aufwendungen für das Budget für Arbeit nach § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX weitere Leistungen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben in Betracht kommen.
a) Ausschluss weiterer Leistungen
Es wird die Ansicht vertreten, dass die Regelung des § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX eine Spezialregelung sei, die alle anderen Fördermöglichkeiten der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben (§ 185 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 SGB IX) verdränge. Diese Regelung sei sonst nicht erforderlich gewesen, da der § 185 Abs. 3 SGB IX die Leistungsmöglichkeiten für den Personenkreis der Budgetnehmer eröffne, z.B. die Beteiligung an den Lohnkosten über § 185 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. e SGB IX (außergewöhnliche Belastung) möglich sei.8
Dies ist jedoch nicht zwingend. § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX eröffnet eine neue Leistungsmöglichkeit, ohne andere Leistungen ausdrücklich auszuschließen. Ein gleichzeitiges Nebeneinander von unterschiedlichen Leistungen bezogen auf den gleichen Lebenssachverhalt ist jedoch typisch für die Leistungen des § 185 SGB IX.
So kann bei Neueinstellung eines Beamten die behinderungs- gerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes als Leistung an den Arbeitgeber nach § 185 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a SGB IX neben einer Kfz-Hilfe als Leistung an den schwerbehinderten Menschen nach § 185 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b SGB IX stehen.
Während einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung können gleichzeitig Leistungen an den schwerbehinderten Menschen nach § 185 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. e SGB IX zur Teilnahme an Maßnahmen zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten und an den Arbeitgeber Leistungen nach § 185 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. e SGB IX wegen einer außergewöhnlichen Belastung neben einer Begleitung des Arbeitsverhältnisses durch den IFD auf Basis des § 185 Abs. 3 Nr. 3 SGB IX erbracht werden.
Eine solche Einschränkung ergibt sich auch nicht durch die Nennung/Aufzählung von Arbeitsassistenz und Job-Coaching als eine Form der Anleitung und Begleitung in der Gesetzesbegründung. Das Budget für Arbeit ist nicht allumfassend und deckt gerade nicht jeden Bedarf des schwerbehinderten Menschen bzw. des Arbeitgebers ab.
Im Übrigen ist die finanzielle Beteiligung am Budget für Arbeit nur aufgrund der Sonderregelung des § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX möglich. Wie oben aufgezeigt bestimmt der Gesetzgeber in § 63 SGB IX bestimmte Rehabilitationsträger als zuständig für das Budget für Arbeit. Damit sind diese Träger vorrangig zur Leistung verpflichtet. Ohne die Sonderregelung wäre es daher den Integrationsämtern nach § 160 Abs. 5 Satz 1 verwehrt, eigene Teilleistungen zu erbringen. Auch die Aufstockung der Leistung wäre nach § 185 Abs. 6 SGB IX ausgeschlossen.
Daher werden durch die Option, nach § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX Leistungen zur Deckung eines Teils der Leistungen für ein Budget für Arbeit zu erbringen, weitere Leistungen der begleitenden Hilfe nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
b) Voraussetzungen weiterer Leistungen durch das Integrationsamt
Weitere Leistungen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben kommen daher dann in Betracht, wenn die allgemeinen und die besonderen Voraussetzungen für die jeweilige Leistung vorliegen.
Im Hinblick auf den Zusammenhang zum Budget für Arbeit besteht die besondere Problematik darin zu klären, ob ein förderfähiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt und eine vorrangige Leistungsverpflichtung eines Rehabilitationsträgers besteht.
aa) Allgemeine Voraussetzungen
Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Förderung sind, dass
– ein Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX besteht,
– eine Vollzeitbeschäftigung oder eine Teilzeitbeschäftigung mit einem Umfang von mindestens 15 Wochenstunden bzw. bei einer Beschäftigung in einem Inklusionsbetrieb mit einem Umfang von mindestens 12 Wochenstunden (§ 185 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) vorliegt und
– die betroffene Person als schwerbehinderter Mensch anerkannt bzw. gleichgestellt ist.
Problematisch in Zusammenhang mit dem Budget für Arbeit ist insbesondere die Frage, ob ein förderfähiger Arbeitsplatz vorliegt.
Nach § 61 Abs. 1 SGB IX ist ein Budget für Arbeit möglich, wenn der Arbeitgeber ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mit einer tarifvertraglichen oder ortsüblichen Entlohnung anbietet. Sozialversicherungspflicht besteht dabei nach der Gesetzesbegründung in der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung. Versicherungsfreiheit besteht dagegen in der Arbeitslosenversicherung nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 SGB III.9
Hierzu wird die Auffassung vertreten,10 dass ein uneingeschränkt sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis nicht vorliegt. Zur Begründung wird insbesondere auf die fehlende Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung und auf den Rechtsanspruch auf Rückkehr in die WfbM bei Scheitern des Arbeitsverhältnisses verwiesen.11
Der Gesetzgeber hat dies jedoch durch die Forderung nach Angebot und Abschluss eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zum Ausdruck gebracht. Dadurch besteht z.B. Anspruch auf Mindestlohn und ggf. auf eine betriebliche Altersvorsorge.12
Eine Ausnahme im Sinne des § 156 Abs. 2 SGB IX besteht nicht, da insbesondere die tarifvertragliche oder ortsübliche Entlohnung dafür sorgt, dass die Arbeit in erster Linie dem eigenen Erwerb dient. Gerade diese Regelung soll sicherstellen, dass der Mensch mit Behinderungen seinen Lebensunterhalt oder zumindest einen Großteil davon durch Einkommen bestreiten kann.13 Der Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber ändert hieran nichts. Sonst müsste diese Frage z.B. auch bei dem Eingliederungszuschuss bei behinderten Auszubildenden gestellt werden.
Damit liegen die allgemeinen Voraussetzungen für eine Förderung vor, wenn eine Teilzeitbeschäftigung mit einem Um- fang von mindestens 15 bzw. 12 Stunden besteht und die betroffene Person als schwerbehinderter Mensch anerkannt oder gleichgestellt ist.
bb) Leistungen an schwerbehinderte Menschen
Liegen die oben genannten allgemeinen Voraussetzungen im konkreten Einzelfall vor, können daher grundsätzlich alle Leistungen der begleitenden Hilfe nach § 185 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX erbracht werden.
In Betracht kommen insofern Leistungen
– für technische Arbeitshilfen,
– zum Erreichen des Arbeitsplatzes einschließlich eines Zuschusses zu den Beförderungskosten § 9 Abs. 1 Satz 2 KfzHV,
– zur Schaffung, Ausstattung und Erhaltung einer behinderungsgerechten Wohnung,
– zur Teilnahme an Maßnahmen zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten und
– in besonderen Lebenslagen und
– (eingeschränkt) Arbeitsassistenz (siehe unter 1.a).
Soweit ein Job-Coach oder eine Arbeitsassistenz erforderlich ist, ist – wie oben ausgeführt – zu beachten, dass die Förderung durch die Integrationsämter über § 185 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 SGB IX ausscheidet, da dieser Bedarf über das Budget für Arbeit nach § 61 SGB IX durch den zuständigen Rehabilitationsträger zu decken ist, ggf. mitfinanziert wird durch das Integrationsamt über § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX.
Eine Berufsbegleitung im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung scheidet bei dem Personenkreis aus, da sonst der Zugang zur Leistung gemäß § 58 SGB IX nicht vorläge.
cc) Leistungen an den Arbeitgeber
Liegen die oben genannten allgemeinen Voraussetzungen im konkreten Einzelfall vor, können nach § 185 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a SGB IX Leistungen zur behinderungsgerechten Einrichtung des Arbeitsplatzes erbracht werden. Auch Leistungen nach § 15 SchwbAV sind als Ergänzung der Budgetleistungen nach § 61 SGB IX möglich. Leistungen zum Ausgleich einer außergewöhnlichen Belastung nach § 185 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. e SGB IX werden durch den Lohnkostenzuschuss gemäß § 61 SGB IX vollständig verdrängt.
Nach § 61 Abs. 2 Satz 4 kann durch Landesrecht festgelegt werden, ob generell oder im Einzelfall von der Bezugsgrenze des Satz 2 (75 % des regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelts) nach oben abgewichen werden kann. Insofern greift hier für weitere, diesen Lohnkostenzuschuss erhöhende Leistungen die Regelung des § 160 Abs. 5 Satz 1 SGB IX, wonach Leistungen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben nicht erbracht werden dürfen, soweit Mittel für denselben Zweck von anderer Seite zu leisten sind oder geleistet werden.
Soweit das Integrationsamt Teile der Leistungen für das Budget für Arbeit übernimmt, ist daher – wie oben aufgezeigt – die zutreffende Rechtsgrundlage für die Leistung nicht die außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 185 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. e SGB IX, sondern § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX.
c) Vorrangige Verpflichtung der Rehabilitationsträger
Leistungen dürfen allerdings nur erbracht werden, wenn die zuständigen Rehabilitationsträger nicht vorrangig zur Leistung verpflichtet sind. Dabei ist zwischen den einzelnen Rehabilitationsträgern zu unterscheiden:
aa) Agentur für Arbeit
Nach der Argumentation der Bundesagentur für Arbeit und des BMAS besteht eine Zuständigkeit der Agentur für Arbeit in Fällen des Budgets für Arbeit bezüglich der Leistungen an den behinderten Menschen nach § 49 SGB IX und an deren Arbeitgeber nach § 50 SGB IX nicht. Die Personen, die ein Budget für Arbeit in Anspruch nehmen, sind nach dieser Auffassung gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 2 SGB III bzgl. der Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei. Dies schließt Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zwar nicht aus. Jedoch beschränkt sich diese Leistung dann auf Leistungen nach § 57 SGB IX (Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich) in einer WfbM oder bei einem anderen Anbieter.
Wechselt der behinderte Mensch danach in den Arbeitsbereich der WfbM im Sinne des § 58 SGB IX oder zu einem anderen Anbieter, steht er dem Arbeitsmarkt nach der Argumentation der Bundesagentur für Arbeit und des BMAS nicht zur Verfügung. Dies gilt dann nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit und des BMAS auch für diejenigen, die das Budget für Arbeit nutzen, da bei ihnen die Voraussetzungen des § 58 SGB IX vorliegen müssen. Dies ergibt sich nach dieser Auffassung daraus, dass Leistungsberechtigte, die ein Budget für Arbeit in Anspruch nehmen können, voll erwerbsgemindert im Sinne des Rentenrechts seien.
bb) Träger der gesetzlichen Rentenversicherung
Nach der Konzeption des Gesetzgebers besteht Sozialversicherungspflicht – wie aufgezeigt – auch in der gesetzlichen Rentenversicherung. Damit können die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Förderung gemäß § 9 Abs. 2 SGB VI erfüllt sein. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI sind Leistungen zur Teilhabe jedoch nur möglich, wenn die Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet oder gemindert ist. Im Budget für Arbeit wird aber nach der Konzeption des Gesetzgebers unterstellt, dass eine Erwerbsunfähigkeit vorliegt.
Danach ist davon auszugehen, dass eine Zuständigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung für den Personenkreis über den § 57 SGB IX hinaus nicht besteht.
cc) Träger der öffentlichen Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe
Die Leistungen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe sind nachrangig gegenüber den Leistungen der anderen Rehabilitationsträger und den Leistungen der Integrationsämter. Fraglich ist, ob dies bei Personen, die ein Budget für Arbeit erhalten, im Hinblick auf die Leistungen der §§ 49 und 50 SGB IX anders ist.
Hierfür spricht, dass insbesondere der Träger der Eingliederungshilfe Kosten z.B. für die behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes oder Kosten für die Beförderung zu einer WfbM oder zum Arbeitsplatz bei einem anderen Anbieter tragen müsste.
In diesen Fällen liegen jedoch kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis und kein Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX vor. Daher bleibt es hier bei der Nachrangigkeit.
dd) Träger der Unfallversicherung und der Kriegsopferfürsorge
Die Träger der Unfallversicherung und der Kriegsopferfürsorge sind für die Leistungen nach § 61 SGB IX zuständig, soweit die Besonderheiten des Einzelfalls dies begründen. Damit sind sie nach § 160 Abs. 5 Satz 3 SGB IX vorrangig vor dem Integrationsamt für die Leistungen nach §§ 49, 50 SGB IX zuständig.
ee) Zusammenfassung
Damit besteht die Verpflichtung zur ermessensfehlerfreien Entscheidung des jeweiligen Integrationsamtes über einen Antrag auf Leistungen an den schwerbehinderten Menschen und an seinen Arbeitgeber bezüglich der unter b) und c) genannten Leistungen, es sei denn, dass für die Finanzierung des Budgets für Arbeit im Einzelfall der Träger der Unfallversicherung und der Kriegsopferfürsorge zuständig ist und diese bezüglich der ergänzenden Leistungen nach den allgemeinen Regelungen vorrangig zur Leistung verpflichtet sind.
d) Leistungen nach § 217 SGB IX
Erfolgt die Beschäftigung des Menschen mit einer Behinderung, der nach § 61 SGB IX ein Budget für Arbeit erhält, in einem Inklusionsbetrieb, können die Leistungen nach § 217 SGB IX erbracht werden. Dies gilt zumindest für die Leistungen für Aufbau, Erweiterung, Modernisierung und Ausstattung und die betriebswirtschaftliche Beratung.
Die Arbeitsplätze sind bei der Berechnung der Mindestbeschäftigungsquote in Inklusionsbetrieben mit zu berücksichtigen.
3. Forderung gegenüber dem Gesetzgeber
Wenn in Deutschland echte Alternativen zu Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) neben die Werkstatt gestellt werden sollen, die den Anforderungen z.B. des UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK-Ausschuss) zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland genügen sollen, dann müssen diese Arbeitsplätze in vollem Umfang Arbeitsplätze des ersten Arbeitsmarktes sein. Dann müssen die Regelungen der Sozialversicherungen uneingeschränkt gelten.
Abgestellt werden muss dann darauf, dass mit der Förderung im Budget für Arbeit der behinderte Mensch dem Arbeits- markt (ggf. wieder) zur Verfügung steht, nicht darauf, dass er ohne Förderung nicht zur Verfügung stünde. Nicht seine volle Erwerbsminderung, sondern seine Fähigkeit, mit entsprechender Unterstützung, Betreuung und Begleitung seine Aufgaben im ersten Arbeitsmarkt zu erfüllen, müssen in den Blick genommen werden. Es muss auf seine Stärke geblickt werden – ich gehe nicht in den geschützten Raum der Werkstatt, sondern bestehe in einem echten Arbeitsverhältnis –, nicht auf seine Einschränkung!
Bei den behinderten Menschen, die mit dem Budget für Arbeit im ersten Arbeitsmarkt bestehen, ist natürlich davon auszugehen, dass deren verwertbare Arbeitsleistung auch unter individuell angepassten Beschäftigungsbedingungen in der Regel erheblich eingeschränkt ist, weshalb der wirtschaftliche Wert ihrer Arbeit deutlich hinter dem vereinbarten Entgelt zurückbleibt. Anderseits kann aber angenommen werden, dass sie dennoch in der Lage sind, ihre konkret vereinbarten arbeitsvertraglichen Verpflichtungen kalkulierbar einzuhalten und mindestens 25 Prozent der Bruttolohnkosten des Arbeitgebers – die dieser tragen muss – auch durch eigene Arbeitsleistungen erwirtschaften können.14 Ein solcher Blick würde das Budget für Arbeit noch einmal stärken und weiter abheben vom Außenarbeitsplatz der Werkstatt.
Das könnte dann zu einer echten Kette im Übergang von der Werkstatt zum Außenarbeitsplatz der Werkstatt bei einem anderen Arbeitgeber, weiter zum Arbeitsplatz mit einem Budget für Arbeit zu einem Arbeitsplatz ohne Budget oder in einem Inklusionsunternehmen führen. Dann steht nicht das Rückkehrrecht in die Werkstatt nach § 220 Abs. 3 SGB IX im Fokus, sondern die Arbeit außerhalb der Werkstatt.
Diese Perspektivverschiebung würde alle Leistungen der Agentur für Arbeit und der gesetzlichen Rentenversicherung als Rehabilitationsträger nach den §§ 49, 50 SGB IX eröffnen. Es würde aber auch die weiteren Leistungen der Agentur für Arbeit für die Beschäftigten mit einem Budget für Arbeit eröffnen, also z.B. Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld und Insolvenzgeld. Die besonderen Nachteile der bisherigen Sichtweise sind insbesondere in Fällen eines Corona-bedingten Arbeitsausfalles deutlich zu Tage getreten: Die mit einem Budget für Arbeit geförderten Beschäftigten konnten kein Kurzarbeitergeld erhalten.15
4. Exkurs: Anwendbarkeit des Kündigungsschutzes
Teilweise wird angenommen, dass der besondere Kündigungsschutz bei schwerbehinderten Budgetempfängern nicht bestehe. Dieser sei durch das Rückkehrrecht in eine WfbM entbehrlich.16 Adlhoch hat zuletzt in einer umfassenden Darstellung empfohlen, wegen des Rückkehrrechts in die Werkstatt § 173 Abs. 3 – trotz des Ausnahmecharakters der Vorschrift – analog anzuwenden mit der Folge, dass auch dann der besondere Kündigungsschutz nach dem SGB IX nicht besteht.17
Dagegen ist zumindest nach herrschender Meinung bei einer Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Arbeitgeber die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich.18 Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist dabei natürlich zu berücksichtigen, dass der schwerbehinderte Mensch nicht arbeitslos wird, da er in die WfbM zurückkehren kann. Gleichzeitig ist aber zu berücksichtigen, dass er ein berechtigtes Interesse daran haben kann, im ersten Arbeitsmarkt und gerade nicht in einer WfbM zu arbeiten. Die Diskussion hierzu sollte fortgesetzt werden.
Anmerkungen
1 BIH – Fachlexikon A bis Z – Stichwort „Budget für Arbeit“.
2 LPK-SGB IX/Berthold Deusch, 6. Aufl. 2022, SGB IX § 61 Rn. 2.
3 Gesetzentwurf BTHG, Drucksache 18/9522, S. 256.
4 Ernst/Baur/Jäger-Kuhlmann/Finke/Kadoke, 40. EL Mai 2021, SGB IX § 61 Rn. 10.
5 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf BTHG und Gegenäußerung der Bundesregierung – Drucksache 18/9954, S. 64.
6 Gesetzentwurf BTHG, Drucksache 18/9522, S. 308.
7 ZB – Behinderung & Beruf 3/2020, S. 11.
8 Ernst, br 2018, 109 ff.
9 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf BTHG und Gegenäußerung der Bundesregierung – Drucksache 18/9954, Seite 64;
Fuchs/Ritz/Rosenow/Ritz, 7. Aufl. 2021, SGB IX § 61 Rn. 10; NPGWJ/Jabben, 14. Aufl. 2020, SGB IX § 61 Rn. 2.
10 Schumacher, br 2017, 89.
11 Ernst, br 2018, 109 ff.
12 Schumacher, br 2017, 89 f.
13 Gesetzentwurf BTHG, Drucksache 18/9522, S. 256.
14 LPK-SGB IX/Berthold Deusch, a.a.O., Rn. 2.
15 LPK-SGB IX/Berthold Deusch, a.a.O., Rn. 4.
16 Schumacher, br 2017, 90; Ernst, br 2018, 111.
17 Adlhoch, br 2022, 1.
18 Ernst/Baur/Jäger-Kuhlmann/Finke/Kadoke, 40. EL Mai 2021, SGB IX § 61 Rn. 54; Fuchs/Ritz/Rosenow/Ritz, a.a.O., Rn. 18; Deinert/Welti/Ritz, Stichwort-Kommentar Behindertenrecht, 2. Aufl. 2018, Budget für Arbeit, Rn. 19.