von Dr. Manfred Hammel1
A) Die Frage der Rechtswegzuständigkeit
Die erste sich in dem Fall, über den das Amtsgericht München mit Beschluss vom 17. 7. 20202 zu entscheiden hatte, aufwerfende Frage war, welches Gericht für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des von einem freien Träger3 geäußerten Hausverbots die Zuständigkeit hat.
Das BSG stellte mit Beschluss vom 21. 7. 20144 unter Bezug auf § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG klar, für Streitigkeiten über ein Hausverbot, das von einem Jobcenter gegenüber einer Arbeitslosengeld II (Alg II) begehrenden Person ausgesprochen wurde, sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und nicht die allgemeinen Verwaltungs- oder die ordentlichen Gerichte zuständig. Wenn ein Rechtsverhältnis zwischen der diese Verfügung aussprechenden Sozialbehörde und der Person, die in der jeweiligen Dienststelle ein Verhalten praktiziert, das amtlicherseits aus Gründen der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verwaltungsablaufs nicht akzeptiert werden kann, besteht, dann muss stets auf die sozialrechtlich geprägte Rechtsbeziehung zwischen dem SGB II-Träger und dem Antragsteller abgestellt werden.
Die Gegenansicht5 konnte hier nicht überzeugen:
Der Standpunkt, ein vom Jobcenter gegenüber einem Bezieher von Alg II ausgesprochenes Hausverbot hätte seine Grundlage weder im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) noch im Sozialverwaltungsverfahrensrecht (SGB X), sondern es würde sich hier um einen Ausfluss der einer jeden Behördenleitung obliegenden Ordnungshoheit, einer aus der öffentlich-rechtlichen Aufgabenzuständigkeit ableitbaren Annexkompetenz, handeln, von einem „eigenständigen, sozialfürsorgerechtlichen Hausverbot“ könnte deshalb hier nicht ausgegangen werden, weshalb die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Zuständigkeit hätte, wurde vom obersten deutschen Sozialgericht nicht geteilt6.
Als Fürsorgerechtssachen noch einzig vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten verhandelt wurden, war in der Rechtsprechung bereits der Tenor der, die Frage, ob ein von einer Behörde ausgesprochenes Hausverbot privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Charakter hat, könnte nicht einheitlich, sondern nur in Berücksichtigung der den jeweiligen Einzelfall maßgeblich prägenden Besonderheiten beantwortet werden7.
Wenn eine bedürftige Person das Recht geltend machen kann, die zuständige Sozialbehörde aufzusuchen und um Unterstützung nachzusuchen, dann darf von dieser Klientel diese Befugnis nicht dazu missbraucht werden, in diesem Gebäude die ordnungsgemäße Abwicklung der Dienstgeschäfte zu stören. Dies liegt aber vor, wenn mehrere Bedienstete eines Sozialamtes in Bezug auf eine Antragstellerin übereinstimmend und über eine längere Zeit hinweg, trotz ihr gegenüber ausgesprochener Abmahnungen, zum Ausdruck bringen, dass diese Person durch ein lärmendes, beleidigendes, keiner sachlichen Ansprache zugängliches und sogar ein in Tätlichkeiten ausartendes Verhalten auffällt. Hierdurch werden in einem erheblichen Maße der Dienstbetrieb sowie die Gesundheit und die Arbeitskraft der Bediensteten beeinträchtigt8.
Ein von einer Sozialbehörde bei diesen Gegebenheiten ausgesprochenes Hausverbot hat eindeutig öffentlich- rechtlichen Charakter, weil diese Verfügung im direkten Zusammenhang mit der hoheitlichen Tätigkeit dieses öffentlichen Trägers und zur Sicherung des Widmungszwecks dieser Dienststelle, der problemlos sich vollziehenden Sachbearbeitung, erging.
Es war hier das OVG Hamburg, das mit Urteil vom 24. 7. 19569 den nun folgenden, bedeutenden Aspekt betonte:
Wenn bedürftige Personen ein Behördengebäude weder zur Antragstellung noch zur Klärung von mit dem Leistungsbezug zusammenhängender Fragen, sondern einzig zum Aufwärmen wegen Wohnungslosigkeit aufsuchen, dann ist ein sich auf dieses Verhalten beziehendes, amtlicherseits ausgesprochenes Hausverbot als privatrechtlich aufzufassen. Hier besteht kein direkter Sachzusammenhang zum Behördenzweck.
In ähnlicher Weise verhielten sich die Dinge in dem Fall, der dem Beschluss des Amtsgerichts München vom 17. 7. 2020 zugrunde lag:
Eine bedürftige und wohnungslos lebende Person er- hielt dort keinen Einlass in die Verpflegungsstelle eines freien Trägers, der seinerseits auf der Grundlage einer Sonderform des öffentlich-rechtlichen Vertrags (§§ 53 ff. SGB XII)10, nämlich einer zwischen dem Sozialhilfeträger und diesem diakonischen Träger gemäß den §§ 75 ff. SGB XII in Verbindung mit den §§ 67 ff. SGB XII geschlossenen Vereinbarung über die Aufnahme und Versorgung wohnungsloser Menschen, tätig wird. Kraft des in diesem Rahmen konkretisierten Subsidiaritätsprinzip übernimmt dieser freigemeinnützige Träger als Leistungserbringer ähnlich der eines Erfüllungsgehilfen im Zivilrecht11 Funktionen, die sonst die öffentliche Hand in eigener Regie ausführen müsste.
An dieser Stelle wird das Modell eines sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis – gebildet aus der mittellosen Person, die der öffentlichen Hand gegenüber einen Leistungsanspruch geltend machen kann12, dem Sozialhilfeträger, der diesem Nachsuchen zu entsprechen hat13, und dem leistenden freien Träger, der gegenüber dem öffentlichen Träger über einen Vergütungsanspruch verfügt, der erforderlichenfalls vor den Sozialgerichten durchzu- setzen ist14 – umgesetzt.
Die besondere Funktion dieses freien Trägers sowie die Rahmenbedingungen, die für dessen Betätigung maßgebend sind, machen diesen Leistungserbringer aber nicht zu einem Teil der öffentlichen Verwaltung. Aus diesem Grund hatte das Amtsgericht München über das vom Antragsteller verfolgte Begehren um einstweiligen Rechtsschutz in Form der Verpflichtung des freien Trägers der Wohnungsnotfallhilfe, diesem wohnungslosen Menschen auch ohne das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung den Zutritt zur Essensausgabestelle zu gewähren, am 17. 7. 2020 zu entscheiden.
B) Das Hausverbot – Rechtsnatur und Voraussetzungen
Trifft die Leitung einer öffentlichen Einrichtung – wie z. B. ein Sozialamt oder ein Jobcenter – kraft Hoheitsgewalt Verfügungen in Form von Zutrittsbeschränkungen, dann greift hier der für das gesamte Ordnungsrecht geltende Annex-Grundsatz, demzufolge die jeweils verantwortlichen Amtsträger aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Sachkompetenz zur Abwehr von Störungen des Betriebs der Dienststelle berechtigt sind, wenn Personen behördliche Räume nicht entsprechend der Widmung dieser Liegenschaft benutzen.
Zur Sicherung dieser Zweckbestimmung dient das Hausverbot: Eine Verfügung, die eine Amtsleitung im besonders begründeten Fall zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Dienststelle in der Form des Verwaltungsakts15 erlassen darf16.
Für einen Träger der freien Wohlfahrtspflege gelten die oben aufgelisteten Prinzipien nicht unmittelbar. Die für die Durchführung der im Auftrag des öffentlichen Trägers übernommenen Wohnungsnotfallhilfe verantwortlichen Personen können allerdings ein privatrechtliches Hausrecht für sich in Anspruch nehmen.
Eine Befugnis, die ihre Rechtsgrundlage in der allgemeinen Sachherrschaft des Eigentümers (§ 903 Satz 1 BGB), dem § 1004 BGB ausdrücklich einen „Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch“ einräumt, hat. Bei angemieteten Räumen kann vom Mieter auf das Recht der Besitzwehr nach § 854 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den §§ 858 ff. BGB verwiesen werden.
Inhaber einer Liegenschaft, in der zwar keine Sozialleistungen bewilligt, existenzsichernde Hilfen aber im öffentlichen Auftrag als Sachleistung tatsächlich erbracht werden, dürfen nicht „nach Belieben“ bedürftigen Personen ein bestimmungsgemäßes Aufsuchen verbieten. Die besondere, mit öffentlichen Mitteln finanzierte Funktion dieses freien Trägers bedingt es, dass die Ausübung des Hausrechts hier strengeren Bindungen unterliegt als z. B. die von einem privat-gewerblichen Träger, der ohne jeden öffentlichen Auftrag einen Gaststättenbetrieb betreibt, geäußerte Verfügung entsprechenden Inhalts.
Das Hausrecht eines Trägers der Wohnungsnotfallhilfe rechtfertigt in diesem Zusammenhang keinen Grundrechtsausschluss sowie insbesondere keine Außerkraftsetzung des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit:
Der mit einem Hausverbot verbundene Eingriff in die Freiheitsrechte eines obdachlosen Bedürftigen, dem es nicht mehr möglich ist, die für Angehörige seines Personenkreises vorgehaltene Einrichtung weiterhin zu nutzen, darf nicht isoliert von den hiermit verbundenen Folgen betrachtet werden. Die Aussprache einer solchen Verfügung ist einerseits als grundsätzlich geeignet aufzufassen, weitere von dieser Person ausgehende Störungen zu verhindern. Für eine derartige Äußerung hat aber stets ein wichtiger Grund zu bestehen, sofern zur Aufrechterhaltung eines ungestörten Dienstbetriebs kein weniger belastetes Mittel zur Verfügung steht. Darüber hinaus muss diese Sanktion angemessen, d. h. die vom Adressaten des Hausverbots zu tragenden Nachteile vertretbar sein. Es handelt sich hier um wichtige Aspekte, die gerade bei wohnungslosen und fortlaufend auf Sozialleistungen angewiesenen Menschen immer wieder kritisch aufgegriffen werden.
Ein Hausverbot hat einen doppelten Regelungsgehalt:
Zum einen das an die mit dieser Verfügung konfrontierte Person gerichtete Gebot, sich aus dem innerhalb dieser Weisung näher bezeichneten Gebäude sofort zu entfernen. Zum anderen das Verbot, diese Liegenschaft während des angegebenen Zeitraums erneut zu betreten.
Das Sozialgericht Chemnitz stellte mit Urteil vom 6. 8. 201417 die Rechtswidrigkeit der Aussprache eines auf ein Jahr befristeten Hausverbots gegenüber einem Alg II-Empfänger fest, weil diese Person als Beistand (§ 13 Abs. 5 SGB X) eines anderen bedürftigen Menschen in diesem Jobcenter ein Fehlverhalten praktizierte, das dieser SGB II-Träger als unakzeptabel auffasste. Dieses Gericht strich an dieser Stelle heraus, diese Verfügung war weder auf das Betreten dieser Behörde als Beistand begrenzt, noch hielt das Jobcenter dem Kläger ein von ihm als erwerbsfähiger Leistungsberechtigter (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) in diesen Diensträumen in eigenen Angelegenheiten praktiziertes Fehlverhalten vor. Schließlich ließ dieser SGB II-Träger bei seiner angefochtenen Entscheidung den wichtigen Aspekt, wie dieser Leistungsempfänger mit seinem Bezug von Alg II während der Zeit des Hausverbots zusammenhängende Fragen mit seiner Sachbearbeitung klären kann, vollkommen unberücksichtigt.
Aus einem Hausverbot hat – in Berücksichtigung der aus den §§ 33 Abs. 1 und 35 Abs. 1 SGB X hervorgehenden, für den Erlass von Verwaltungsakten maßgebenden Bestimmungen – stets eine vollständige, klare und unzweideutige, auf der Grundlage einer eingehenden, einzelfallbezogenen Begründung erlassene Regelung hervorzugehen. In dieser Verfügung sind insbesondere Angaben zur bisherigen Störung des (Dienst-)Betriebs durch den Adressaten dieser Äußerung zu tätigen und hat dargelegt zu werden, aus welchen Gründen zukünftig mit weiteren, erheblichen Beeinträchtigungen gerechnet zu werden hat. Dem Aspekt der besonderen Funktion und des Auftrags der Einrichtung, die zu betreten (befristet) untersagt wird, entsprechend, kommt an dieser Stelle der konkreten Ausgestaltung des Hausverbots eine ganz besondere Bedeutung zu: Ob diese Verfügung undifferenziert Gültigkeit hat, oder ob Ausnahmen gestattet sind.
Das Sozialgericht Dortmund hielt in seinem Beschluss vom 9. 11. 201718 ein von einem Jobcenter für die Dauer von 18 Monaten ausgesprochenes Hausverbot für „offensichtlich rechtswidrig“, weil diese Verfügung sich lediglich darauf stützte, dass dem bedürftigen Adressaten ein einmaliger Verstoß gegen das allgemeine Verbot der Fertigung von Lichtbildaufnahmen in den Behördenräumen – wo aber von Bediensteten dieses SGB II-Trägers weder Aufnahmen gemacht wurden noch Entsprechendes beabsichtigt war – vorgehalten werden konnte. Hier lag keine nachhaltige Störung des Dienstbetriebs vor. In diesem Fall stand dem Jobcenter ein wesentlich milderes Mittel zur Verfügung, um weitere, ähnlich gelagerte Verstöße zu verhindern: Die Abmahnung und Androhung eines Hausverbots für den Wiederholungsfall.
Die Aussprache eines Hausverbots für die Dauer von ca. einem Jahr kann allerdings sachlich gerechtfertigt sein, wenn nach einer verbalen, ausgehend vom Antragsteller extrem unsachlich gehaltenen Auseinandersetzung dieser erwerbsfähige Leistungsberechtigte den Schreibtisch des Sachbearbeiters umwarf, dabei das Mobiliar und die technische Ausstattung des Dienstraums beschädigte sowie diesen Amtsträger verletzte19. Hier liegt keine nur geringfügige Beeinträchtigung des Verwaltungsablaufs vor, sondern war der Schluss darauf gestattet, dass von der sich solchermaßen verhaltenden Person zukünftig weitere, erhebliche Störungen des Dienstbetriebs ausgehen.
Dies gilt auch dann, wenn das unter Bezug auf diesen Vorfall eingeleitete Strafverfahren nicht mit einer Verurteilung des Täters wegen Körperverletzung (§ 223 StGB) und Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) endete. Nur einmalige, aber erhebliche (verbale wie tätliche) Angriffe hat ein Sozialleistungsträger unter keinen Umständen widerspruchslos zu dulden. Die Tatsache, dass eine solche Sozialbehörde sich ständig mit verhaltensauffälligen Personen zu befassen und deshalb auch besondere Anstrengungen unternehmen muss, um der Entstehung schwerer Konflikte entgegenzuwirken20, führt hier zu keiner anderen Einschätzung.
Das LSG Nordrhein-Westfalen hielt mit Beschluss vom 30. 8. 201621 im Fall eines zweiten, von einem Jobcenter innerhalb von weniger als drei Monaten wegen eines wiederholten, ausfälligen Verhaltens eines Alg II-Empfängers diesem gegenüber für die Dauer von nunmehr einem Jahr ausgesprochenen Hausverbots, diese Verfügung für rechtmäßig:
Der Adressat dieser Sanktion sprach auf Sachargumente nicht an und setzte stattdessen sein ungebührliches Verhalten unvermindert fort. Die zentrale Äußerung der Amtsleitung, nur durch dieses Mittel könnten erneute Beschimpfungen, Bedrohungen und auch Tätlichkeiten im Behördengebäude zuverlässig verhindert werden, war deshalb als nachvollziehbar aufzufassen22.
Auch in solchermaßen gelagerten Fällen darf ein SGB II-Träger aufgrund seiner besonderen Funktion und Bedeutung allerdings lediglich ein „eingeschränktes Hausverbot“ erlassen. Mit dem aus den §§ 1 bis 3 SGB II hervorgehenden Grundsatz des „Fördern und Fordern“ wäre es unvereinbar, wenn ein Alg II-Empfänger die Räumlichkeiten des Jobcenters aus keinem Anlass betreten, sich z. B. bei dieser Sozialbehörde nicht einmal zu Meldezwecken (§ 59 SGB II i. V. m. § 309 SGB III) einfinden dürfte.
Aus diesen Gründen darf von einer Sozialbehörde eine derartige Verfügung grundsätzlich nur in Berücksichtigung der nun folgenden Punkte ausgesprochen werden23:
1. Gespräche mit der Sachbearbeitung und der persönlichen Ansprechpartnerin oder dem persönlichen Ansprechpartner (§ 14 Abs. 2 und 3 SGB II) sind nach vorheriger Terminvereinbarung möglich.
2. Bei entsprechenden Terminen hat ab dem Betreten des Dienstgebäudes eine Begleitung durch eine Sicherheitsfachkraft zu erfolgen.
3. Im Übrigen darf eine Abklärung leistungserheblicher Fragen auch postalisch, per Telefon oder E-Mail erfolgen. Wenn Alg II-Empfänger anwaltlich oder von einem freien Träger nach den §§ 67 ff. SGB XII beraten werden, besteht die Möglichkeit der Kommunikation auch über diese Personen bzw. Institutionen24.
C) Die Rechtmäßigkeit des Gebots „Kein Zutritt ohne Maske“ in einer Verpflegungsstätte eines freien Trägers
Die Besonderheit des vom Amtsgericht München am 17. 7. 2020 entschiedenen Falls bestand darin, dass der zu diesem Zeitpunkt in Ausführung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) ergangenen Schutzmaßnahmenverordnungen gemäß der Zutritt zu Gastronomiebetrieben einzig mit einer Mund-Nase-Bedeckung gestattet war.
Der Träger der vom Antragsteller ohne diese Maske aufgesuchten Verpflegungsstätte hält zwar keinen Gastronomiebetrieb vor:
Eine Übertragung der für diese privat-gewerblichen Einrichtungen geltenden Bestimmungen auf diese Essensausgabestelle geschah aber aus sachlichem Grund. Im Gegensatz z. B. zu einer Betriebskantine wird eine solche Tagesstätte gerade nicht von einem ungefähr stets gleichen, sondern von einem sich ständig in veränderter Zusammensetzung darstellenden Personenkreis, der lebenslagenbedingt überwiegend aus älteren und multimorbiden Menschen besteht, aufgesucht. Der freie Träger war somit berechtigt, zum Schutz sowohl seines Personals als auch seiner Klientel kraft Hausrecht für diese Einrichtung eine Maskenpflicht zu verfügen.
Das Amtsgericht München führte in seiner Entscheidung eine als sachgerecht aufzufassende Abwägung zwischen dem Interesse des wohnungslosen Menschen an einem Betreten und einem Aufenthalt in dieser Tagesstätte hier, sowie dem des Trägervereins an einem möglichst störungsfreien Betrieb seiner im öffentlichen Auftrag vorgehaltenen Einrichtung der Existenzsicherung für in einer extrem ausgeprägten Lebenslage sich befindende Personen dort, durch.
Das Verwaltungsgericht Weimar hatte sich in seinem Beschluss vom 20. 5. 202025 zur Rechtmäßigkeit der von der Stadt Weimar gemäß den §§ 28 Abs. 3 und 16 Abs. 8 IfSG in Kraft gesetzten Allgemeinverfügung über „das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung in den öffentlichen Bereichen von Beherbergungs- und Gastronomiebetrieben“ – eine Pflicht, die für „Kunden und Verkaufspersonal sowie für die Servicemitarbeitenden“ mit Ausnahme von „am Tisch sitzender Restaurantgäste“ sowie des Personals, das „durch eine Schutzwand (z. B. Plexiglasscheibe)“ abgeschirmt ist, besteht – zu äußern.
Die von diesem Gericht durchgeführte Interessenabwägung fiel ebenfalls zu Gunsten der öffentlichen Hand und dem von ihr ordnungsbehördlich zu gewährleistenden Schutz von Leben und Gesundheit der gastronomische Einrichtungen aufsuchenden und der dort tätigen Personen sowie der Gesamtbevölkerung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) aus. In diesem Fall war es die Inhaberin einer Gaststätte, die diese Bestimmungen als einen unzulässigen Eingriff in ihre Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) auffasste. Diesen Standpunkt teilte das Verwaltungsgericht Weimar maßgeblich in Berücksichtigung überwiegender Belange des Allgemeinwohls, was auch die Inanspruchnahme von Nichtstörers gestattet, in keiner Weise. Der Tenor war in dieser Entscheidung vielmehr der, ohne wirksame Gegenmaßnahmen in Sachen COVID-19 bestünde die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens durch schwere Krankheitsverläufe gerade bei älteren und multimorbiden Menschen. Aus Kapazitätsgründen könnten dann nicht mehr sämtliche dringend behandlungsbedürftige Patienten eine notwendige intensivmedizinische Behandlung erhalten. In dieser Krisenphase sind deshalb Mund-Nase-Bedeckungen als ein Mittel zur Kontrolle von Infektionsquellen, um eine weitere Verbreitung des Virus SARS-CoV-2 einzudämmen, aufzufassen. Auch wenn innerhalb größerer Gastronomiebetriebe durchaus die Möglichkeit besteht, über eine Reduzierung der Anzahl der Tische zwischen diesem Mobiliar den Mindestabstand von 1,5 Meter zu wahren, stellt sich die Einhaltung dieses Mindestabstands zwischen in den Eingangsbereichen und in den Fluren sich aufhaltenden Personen als nicht realisierbar dar.
Diese Ausführungen unterstreichen die Richtigkeit der Argumentation des Amtsgerichts München vom 17. 7. 2020 und damit der Anordnung des freien Trägers in Bezug auf seine Verpflegungsstätte.
Das OVG Thüringen fasste mit Beschluss vom 13.6. 202026 entsprechende, in diesem Freistaat vom Verordnungsgeber getätigte Verfügungen, die die Verwendung eines Mund-Nasen-Schutzes „in bestimmten Situationen des Alltags“ zumindest einstweilen vorschreiben, ebenfalls als ein zur Prävention erforderliches und „verhältnismäßiges Mittel“ auf. Hierdurch wird ein Ansteckungsschutz für andere Personen bewirkt, wozu keine Alternative besteht.
Ähnliche Standpunkte vertrat auch das OVG Sachsen mit Beschluss vom 29. 4. 202027 im Fall eines Antragstellers, der das nach der damaligen Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung verfügte Gebot der Betretung der „Geschäfte und Betriebe“ in diesem Freistaat mit einer Mund-Nase-Bedeckung nicht akzeptieren konnte:
Bei Asthmatikern könnten durch die beim Tragen einer solchen Maske sich vollziehende Beschränkung der Luftzufuhr erhebliche gesundheitliche Probleme, verursacht durch erstickungsartige Anfälle, entstehen. Der die Rechtswidrigkeit dieser Norm behauptende Antragsteller legte diesem Gericht gegenüber allerdings nicht dezidiert dar, dass er dem Personenkreis angehört, der von dieser Tragepflicht in unverhältnismäßiger Weise betroffen ist. Der von ihm erhobene Rechtsbehelf blieb deshalb erfolglos.
Wer sich auf einen Ausnahmetatbestand beruft, der hat stets die anspruchsbegründenden Voraussetzungen unter Beweis zu stellen. Dieser zentralen Voraussetzung entsprach der vor dem Amtsgericht München am 17.7. 2020 unterlegene Antragsteller, als er beabsichtigte, die Verpflegungsstätte für wohnungslose Menschen sowohl ohne Mund-Nase-Maske als auch ohne ein sich gegen das Tragen einer solchen Maske aussprechendes ärztliches Attest zu betreten, ebenfalls nicht.
§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der „Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV)“ vom 15. 12. 202028 gibt vor, Personen, „die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist, sind von der Trageverpflichtung befreit“. Der hier geforderte Nachweis kann insbesondere über eine aussagekräftige ärztliche Bescheinigung erfolgen. Solange ein solches Papier aber nicht vorgelegt wird, hat diese „Maskenpflicht“ volle Gültigkeit.
Der in München eine Verpflegungsstelle für wohnungslose Menschen vorhaltende freie Träger war somit im Fall eines „Maskenverweigerers“ berechtigt, dieser Person den Zutritt zu dieser Tagesstätte kraft des den für diese Einrichtung verantwortlichen Personen eingeräumten Hausrechts zu verwehren. Die Rechtmäßigkeit dieses Hausverbots wird überdies dadurch unterstrichen, dass der betroffene obdachlose Mensch die Leistungen dieser Verpflegungsstätte weiterhin in der Weise nutzen konnte, dass ihm Mahlzeiten nach außen gebracht werden („Verpflegung to go“). Dies stellt gerade für eine sich wohnungslos in einer Großstadt aufhaltende, bedürftige Person keine optimale Lösung dar. Obdachlose sind hier auch während der Nahrungsaufnahme den Unbilden der Witterung ausgesetzt, oder haben sich einen anderen „geschützten Platz“ zu suchen. § 13 Abs. 2 Satz 1 11. BayIfSMV bezeichnet eine solche Abgabe von Speisen und Getränken ausdrücklich als zulässig, sofern von der Klientel kein „Verzehr vor Ort“ erfolgt (§ 13 Abs. 2 Satz 2 11. BayIfSMV).
Die Tatsache, dass in Bayern zu diesem Zeitpunkt § 13 Abs. 1 BayIfSMV gemäß „Gastronomiebetriebe jeder Art einschließlich Betriebskantinen“ untersagt sind, und eine Ausnahme nur unter den in § 13 Abs. 3 11. BayIfSMV aufgelisteten Voraussetzungen möglich ist, wozu z. B. ein vom Betreiber der Verpflegungsstätte ausgearbeitetes „Schutz- und Hygienekonzept“ gehört, dokumentiert, dass eine hohe Anzahl an Personen im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme pandemiebedingt mit erheblichen Härten konfrontiert wird. Diese sehr ungünstige Situation kann aber abgemildert werden, indem von der betroffenen Klientel ein Verhalten entsprechend den bestehenden Schutzvorschriften praktiziert wird29.
1 Juristischer Mitarbeiter beim Caritasverband für Stuttgart e. V.; E-Mail: dr.m.hammel@t-online.de.
2 275 C 12174/20.
3 § 5 SGB XII.
4 B 14 SF 1/14 R.
5 Z. B. OVG Bremen, Beschluss vom 25. 3. 2013 –1 B 33/13, ZfF 2013, S. 205 ff. und OVG Hamburg, Beschluss vom 17. 10. 2013 – 3 SO 119/13.
6 Ähnlich lautend ebenfalls LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. 7. 2019 – L 11 AS 190/19 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. 4. 2020 – L 2 AS 664/19 B und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. 10. 2020 – L 12 AS 789/20.
7 VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 9. 10. 1962 – III 208/62.
8 OVG Berlin, Beschluss vom 23. 7. 1952 – I B 64/52.
9 Bf I 38/56.
10 Hierzu bei Krohn, in: Hauck/Noftz: SGB XII; K § 75, Rdnr. 17.
11 Vgl. §§ 278 und 664 BGB.
12 Vgl. §§ 17 und 19 SGB XII.
13 Zur „Ausführung der Sozialleistungen“ mit Gültigkeit für sämtliche Bücher des SGB: § 17 Abs. 1 SGB I.
14 Vgl. § 75 Abs. 6 SGB XII sowie hierzu bei H. Schellhorn/Busse, in: Schellhorn/ Hohm/Scheider/Legros: SGB XII; 20. Aufl. Köln 2020; Rdnr. 41 zu § 75 SGB XII.
15 § 31 Satz 1 SGB X; hierzu auch LSG Sachsen, Urteil vom 13. 8. 2015 – L 3 AS 708/15.
16 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. 3. 2014 –L 19 AS 2157/13 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. 7. 2019 –L 11 AS 190/19 B ER und LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. 4. 2020 –L 2 AS 664/19 B, jeweils in Bezug auf ein Jobcenter. – Das Sozialgericht Köln hielt mit Urteil vom 3. 3. 2020 – S 28 AS 5110/18 in Berücksichtigung dieses Ansatzes ein Jobcenter ebenfalls für berech- tigt, über seinen Sicherheitsdienst Personen am Betreten der Dienststelle zu hindern, die sich diesen Kräften gegenüber nicht ausweisen. Die Kernaussage war in dieser Entscheidung die, ein SGB II-Träger hätte die Befugnis, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der bei ihm beschäftigten Personen wie auch des Publikums sich genaue Kenntnis darüber zu verschaffen, wer sich im Behördengebäude aufhält. Dies gilt auch, um die Einhaltung bereits ausgesprochener Hausverbote zu kontrollieren und Adressaten einer solchen Verfügung problemlos ermitteln zu können.
17 S 20 AS 1135/12.
18 S 30 AS 3046/17 ER.
19 Vgl. die dem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 20. 8. 2019 –L 9 AS 1665/19 und dem Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 16. 7. 2019 – L 11 AS 190/19 B ER zugrunde liegenden Fälle.
20 Hierzu LSG Sachsen, Beschluss vom 18. 11. 2010 – L 7 AS 593/10 B ER und LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. 4. 2020 –L 2 AS 664/19 B.
21 L 6 AS 1549/16 B ER und L 6 AS 1550/16 B.
22 Das LSG Sachsen lehnte mit Urteil vom 13. 8. 2015 – L 3 AS 708/15 die Bejahung des Aspekts der nachhaltigen Störung des Behördenbetriebs ab, weil ein Alg II-Empfänger beim Betreten des Gebäudes des Jobcenters mit der im Eingangsbereich tätigen Sicherheitsfachkraft eine verbale Auseinandersetzung austrug, die an ihn gerichtete Aufforderung zum Verlassen dieser Liegenschaft befolgte, hierbei aber äußerte, er hätte „zwei Macheten“ und dass „die Köpfe lautlos fallen“ würden. Die Berufungsinstanz hielt das diesem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten hieraufhin mit Gültigkeit für sämtliche Dienststellen des SGB II-Trägers für die Dauer von fast einem Jahr ausgesprochene Hausverbot für rechtswidrig. Trotz des mit in entsprechender Weise sich äußernden Personen häufig verbundenen, erheblichen Gefahrenpotentials für die Bediensteten eines SGB II-Trägers teilte dieses Gericht die Einschätzung nicht, in diesem Fall könnte eine erhebliche Störungsprognose vertreten und dieses Hausverbot als ermessensfehlerfrei aufgefasst werden.
23 Hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. 8. 2016 – L 6 AS 1549/16 B ER und L 6 AS 1550/16 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.7. 2019 – L 11 AS 190/19 B ER und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. 8. 2019 –L 9 AS 1665/19.
24 Zur besonderen Funktion der von einem diakonischen Träger im Auftrag des Sozialhilfeträgers gemäß § 3 DVO zu § 69 SGB XII geleisteten Beratung und persönlichen Unterstützung eines wohnungslosen, sich in den Diensträumen des SGB II-Trägers fortgesetzt auffällig verhaltenden Menschen: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. 11. 2008 –L 34 B 1982/08 AS ER, wohnungslos 4/09, 139 ff. mit Anmerkung von Dr. Hammel.
25 8 E 665/20 We.
26 3 EN 374/20.
27 3 B 140/20.
28 BayMBl. Nr. 737.
29 Wer entgegen § 13 Abs. 3 Satz 2 11. BayIfSMV Speisen oder Getränke „vor Ort“ konsumiert, verhält sich nach § 28 Nr. 12 11. BayIfSMV ordnungswidrig.