RICHARD BOORBERG VERLAG

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11.03.2021

SBV-Wahlen

Einleitung der Wahl bei Nichtvorhandensein einer SBV

Vorschriften für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung

 

Da in den gesetzlichen Wahlrechtvorschriften keine Regelung enthalten ist, wer berechtigt ist, die Wahlen einzuleiten (so genannte Initiierung), ist die nähere Ausgestaltung in der durch das Zusammenspiel von Gesetzgeber und Verordnungsgeber zustande gekommenen SchwbVWO maßgebend. 

 

von Franz Josef Düwell, Honorarprofessor an der Universität Konstanz und Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht a. D.

 

1.   Die gesetzlichen Grundlagen der Wahl

Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung (SBV) ist in § 177 Abs. 1 bis 6 SGB IX geregelt. Die Frage, wer Wahlen einleiten darf, ist dort ungeregelt geblieben. Die Beantwortung dieser Frage hat der Gesetzgeber der näheren Ausgestaltung in der Wahlordnung überlassen. Für die Wahlordnung hat er nur zwei Vorgaben in § 177 Abs. 6 Satz 3 und 4 SGB IX aufgestellt.

a.  In Betrieben und Dienststellen mit weniger als 50 wahlberechtigten schwerbehinderten Menschen wird die Vertrauensperson und das stellvertretende Mitglied im vereinfachten Wahlverfahren gewählt, sofern der Betrieb oder die Dienststelle nicht aus räumlich weit auseinanderliegenden Teilen besteht, und

b.  ist eine Schwerbehindertenvertretung nicht gewählt, so kann das zuständige Integrationsamt zu einer Versammlung schwerbehinderter Menschen zum Zwecke der Wahl eines Wahlvorstandes einladen.

 

2.   Von der SchwbWO zur SchwbVWO

Die zurzeit geltende Wahlordnung führt den Namen »Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen«. Sie ist im Kern fast 50 Jahre unverändert, weil der Verordnungsgeber kein Interesse an einer systematischen Überarbeitung für die möglichst fehlerfreie Durchführung der Wahlen zeigt. Zwar ist in § 183 SGB IX die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nähere Vorschriften über die Vorbereitung und Durchführung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung und ihrer Stufenvertretungen zu erlassen. Davon ist jedoch nicht Gebrauch gemacht worden, obwohl bereits mit § 100 SGB IX in der Fassung des am 1.7.2001 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuchs – Neuntes Buch – vom 19.6.20011 eine gleichlautende Ermächtigung enthalten war und somit Gelegenheit zum Tätigwerden der Bundesregierung bestand. Stattdessen hat seit 1990 nur der Gesetzgeber für Änderungen gesorgt. Deshalb geht die SchwbVWO inhaltlich auf die »Wahlordnung Schwerbehindertengesetz (SchwbWO)« vom 22.7.19752 zurück, die auf der Grundlage der Ermächtigung in § 24 Abs. 7 SchwbG erlassen wurde. Diese musste nach mehreren Änderungen am 23.4.1990 zur besseren Lesbarkeit von der Bundesregierung neu bekannt gemacht werden.3 Danach wurde nur der Gesetzgeber tätig. So wurde die Wahlordnung durch Art. 54 SGB IX vom 19.6.20014 in einer Reihe von kleineren Einzelpunkten geändert bzw. ergänzt und in »Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen (SchwbVWO)« umbenannt. Zur Erleichterung des Verordnungsgebers hat Art. 64 des SGB IX-Einführungsgesetzes vom 19.6.20015 sichergestellt, dass die unmittelbar durch die Einführung des  SGB IX  durch Gesetz geänderten Bestandteile der SchwbVWO zukünftig wieder auf dem Wege der Rechtsverordnung geändert oder ergänzt werden können. Aber es kam zur keiner Initiative. So hat zuletzt der Gesetzgeber mit Art. 19 Abs. 21 des BTHG vom 23.12.20166 eine Änderung vorgenommen. Der Verordnungsgeber ist folglich 30 Jahre untätig geblieben. Das zeigt schon angesichts der punktuellen Eingriffe des Gesetzgebers einen Überarbeitungsbedarf an. Diesen hat das Fachschrifttum seit Langem angemahnt; denn viele in der Praxis auftretende Unklarheiten könnten durch eine sprachlich verständlichere Fassung und bessere Systematik ausgeräumt werden.7

 

3.   Die Ausgestaltung der Wahlinitiierung durch die SchwbVWO

Da in den gesetzlichen Wahlrechtvorschriften keine Regelung enthalten ist, wer berechtigt ist, die Wahlen einzuleiten (so genannte Initiierung), ist die nähere Ausgestaltung in der durch das Zusammenspiel von Gesetzgeber und Verordnungsgeber zustande gekommenen SchwbVWO maßgebend. Dort sind für die Einleitung eines nicht vereinfachten Wahlverfahrens in § 1 SchwbVWO und für die Einleitung eines vereinfachten Wahlverfahren in § 19 SchwbVWO Bestimmungen enthalten.

 

4.   Die Bestellung des Wahlvorstandes in der SchwbVWO

Für das nicht vereinfachte, so genannte förmliche Verfahren, ist die Bestimmung in § 1 Abs. 1 und Abs. 2 SchwbVWO einschlägig und lautet:

(1)  Spätestens acht Wochen vor Ablauf ihrer Amtszeit bestellt die Schwerbehindertenvertretung einen Wahlvorstand aus drei volljährigen in dem Betrieb oder der Dienststelle Beschäftigten und einen oder eine von ihnen als Vorsitzenden oder Vorsitzende.

(2)  Ist in dem Betrieb oder der Dienststelle eine Schwerbehindertenvertretung nicht vorhanden, werden der Wahlvorstand und dessen Vorsitzender oder Vorsitzende in einer Versammlung der schwerbehinderten und diesen gleichgestellten behinderten Menschen (Wahlberechtigte) gewählt. Zu dieser Versammlung können drei Wahlberechtigte oder der Betriebs- oder Personalrat einladen …

Die Bestimmung in Absatz 1 regelt die Bestellung des Wahlvorstands bei Vorhandensein einer SBV. Systematisch ergänzen sich Absatz 1 und Absatz 2 zu einer alle Sachverhalte abschließend erfassenden Regelung. Solange eine SBV im Betrieb vorhanden ist, soll nach Absatz 1 diese mit Blick auf die anstehende Neuwahl einen Wahlvorstand noch vor Ablauf ihrer Amtszeit bestellen. Den konträren Sachverhalt, dass eine SBV nicht vorhanden ist, regelt Absatz 2 Sätze 1 und 2 mit der Initiierung der Wahl durch die Akteure vor Ort im Betrieb oder in der Dienststelle. Unter diese Konstellation fallen zwei alternative Sachverhalte:

–   Alternative A: Erstwahl, weil bisher noch keine SBV gewählt war oder

–   Alternative B: Neuwahl nach Ablauf der Amtszeit, weil eine SBV zwar gewählt war, diese jedoch vor Ablauf ihrer Amtszeit keinen Wahlvorstand bestellt hat.

Diese Regelung ist klar, eindeutig und ohne Probleme handhabbar. Kommt es nicht zu der als primär aufgeführten Initiative durch die Akteure im Betrieb oder in der Dienststelle, so greift Satz 3 mit der Umsetzung der gesetzlichen Vorgabe aus § 177 Abs. 6 Satz 4 SGB IX ein: »Das Recht des Integrationsamtes, zu einer solchen Versammlung einzuladen, bleibt unberührt.«

 

5.   Die Bestellungsbefugnis der GSBV und der Gesetzgeber

Trotz der klaren Regelung in § 1 SchwbVWO wird in den für die SBV-Wahlen 2014 und auch 2018 von der BIH erstellten Broschüren die Rechtslage abweichend dargestellt »Wenn die Stufenvertretung wie eine örtliche Schwerbehindertenvertretung tätig wird (Fallgestaltungen der § 180 Abs. 6 Sätze 1 und 2 SGB IX in Verbindung mit § 1 Abs. 1 SchwbVWO analog), hat sie den Wahlvorstand zu bestellen.«8 Vereinzelt wird diese Bestellungsbefugnis ohne Nachweis der Quelle und ohne nähere Begründung in SGB IX-Kommentaren bejaht.9 Das zur Wahlordnung veröffentlichte Fachschrifttum schließt einhellig eine Lücke in der SchwbVWO und deren Füllung durch die Erfindung einer Befugnis der Gesamtschwerbehindertenvertretung (GSBV) und anderer Stufenvertretungen aus.10 Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen. Weder Wortlaut, noch Systematik oder Sinn und Zweck sprechen für die Bestellungsbefugnis der GSBV.

Richtig ist: Die GSBV erhält nach § 180 Abs. 6 Satz 1 SGB IX im Satzteil, der mit dem Wort »sowie« eingeleitet wird, ein nicht durch Wahl legitimiertes, sondern durch Gesetz erweitertes Mandat für die schwerbehinderten Beschäftigten in einem Betrieb oder einer Dienststelle, »für die eine Schwerbehindertenvertretung nicht gewählt ist«. Diese Befugnis schließt jedoch nicht die Übernahme der Rechte einer SBV nach § 1 SchwbVWO ein. Zunächst erstreckt sich das erweiterte Mandat nur auf die Angelegenheiten der dortigen schwerbehinderten Beschäftigen, die sonst vertretungslos ohne Beistand und Beratung blieben. § 180 Abs. 6 Satz 1  SGB IX überträgt der GSBV weder dem Wortlaut noch der Systematik nach die Rechtsstellung der SBV des Betriebs  oder der Dienststelle. Das hatte auch die Praxis als Problem bei Verhandlungen erkannt. Wegen der überragenden Bedeutung des Instruments der Integrationsvereinbarung nach § 83 SGB IX a. F. (§ 166 SGB IX n. F.), die für jeden Betrieb und jede Dienststelle auf Antrag der SBV abzuschließen ist, sah sich der Gesetzgeber deshalb veranlasst zu Gunsten der GSBV nachzubessern. Das ist auf Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit11 durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.4.200412 geschehen. So wurde 2004 in dem weiteren Satzteil nach dem Semikolon dem damaligen § 97 Abs. 6  Satz 1 SGB IX angefügt: »dies umfasst auch Verhandlungen und den Abschluss entsprechender Integrationsvereinbarungen«.13 Das Wort »Integrationsvereinbarungen« ist in Art. 2 Nr. 8 BTHG durch »Inklusionsvereinbarungen« der neuen Begrifflichkeit angepasst worden, ohne dass der Gesetzgeber sich veranlasst sah, im Gesetz oder in der SchwbVWO eine weitere Befugnis der GSBV aufzunehmen oder einen Anlass für eine erweiternde Auslegung zu geben. Das ist ein deutliches Indiz dafür, dass mit dieser Ergänzung der Gesetzgeber seinen Regelungsplan für die Aufgabenstellung der GSBV als abgeschlossen ansah.

 

6.   Der Grundsatz der Selbstorganisation in § 1 SchwbVWO

Die Erfindung eines Bestellungsrechts der GSBV ist mit der Systematik von § 180 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SchwbVWO nicht vereinbar. Vielmehr hat der Gesetzgeber geregelt, dass die örtlichen Akteure, zunächst die Gruppe der drei Wahlberechtigten und dann der örtliche Betriebs- oder Personalrat, das Recht zur Einladung zur Versammlung haben, damit vor Ort und nicht überörtlich der Wahlvorstand bestimmt wird, wenn keine SBV im Betrieb oder in der Dienststelle vorhanden ist. Das entspricht dem Grundsatz der Selbstorganisation, der allgemein den Wahlen von Beschäftigtenvertretungen zugrunde liegt.14 Dieser Grundsatz hat auch in der SchwbVWO seinen eindeutigen Ausdruck gefunden.

Die Unterstellung, das Vorhandsein einer GSBV sei in § 1 Abs. 1 SchwbVWO mit dem Amtieren einer SBV gleichzusetzen, enthält einen nicht auflösbaren Widerspruch; denn nach § 180 Abs. 6 Satz 1 SGB IX ist die Voraussetzung für die Wahrnehmung des gesetzlichen Mandats der GSBV, dass eine gewählte SBV fehlt, also nicht vorhanden ist. § 1 Abs. 1 SchwbVWO setzt jedoch erstens das Vorhandensein einer amtierenden Vertretung im Betrieb oder in der Dienststelle voraus (vgl. oben unter 4). Selbst wenn in freier Rechtsfortbildung das Merkmal Vorhandensein einer gewählten örtlichen Vertretung durch das überörtliche, nicht durch Wahl legitimierte Mandat ersetzt würde, fehlen weitere  in  § 1  Abs. 1 aufgestellte Voraussetzungen.

Diese bestehen darin, dass zum einen die Amtszeit noch nicht beendet ist und zum anderen, dass deren Ende schon feststeht (»acht Wochen vor Ablauf ihrer Amtszeit«). Diese Voraussetzungen können in allen Fällen des plötzlichen vorzeitigen Endes der Amtszeit nicht erfüllt werden; denn ein in § 1 Abs. 1 SchwbVWO vorausgesetztes baldiges Ende der Amtszeit steht nicht bevor. Das gilt, wenn auf die Amtszeit der SBV abgestellt wird; denn deren Ende ist Voraussetzung für das Mandat der GSBV. Das gilt auch, wenn auf das Amts- ende der GSBV abgestellt wird; denn diese wird regelmäßig noch länger als acht Wochen bestehen.

 

7.   Kein Auftrag zur analogen Rechtsfortbildung

Als Analogie wird bezeichnet, wenn eine Rechtsnorm mit anderen Tatbestandsvoraussetzungen auf einen ähnlichen ungeregelten Sachverhalt angewandt wird.15 Ähnlich ist der Sachverhalt; denn er setzt in beiden Fällen das Nichtvorhandensein einer SBV voraus. Es müssen auch gleichgelagerte Interessenkonstellationen vorliegen, denn die Analogie verfolgt den Grundgedanken der Gleichbehandlung.16 Daran mangelt es für die Annahme eines Bestellungsrechts der GSBV. In § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und dessen näherer Ausformung durch die Wahlordnung in § 1 Abs. 2 Satz 2 bzw. § 19 Abs. 2 SchwbVWO wird verneint, dass gleichgelagerte Interessen von GSBV und Wahlberechtigten an der Durchführung der SBV Wahl bestehen. Vielmehr zeigen diese Normen auf, dass die Entscheidung über die Durchführung der Wahl der SBV den örtlichen Akteuren wie der Gruppe der Wahlberechtigten und dem Betriebs- oder Personalrat vorbehalten sind und nicht in die Hände einer überörtlichen Vertretung gelegt werden sollen. Als einzige Ausnahme für außerbetriebliche Akteure ist in § 177 Abs. 6 Satz 4 SGB IX und § 1 Abs. 2 Satz 3, § 19 Abs. 2 SchwbVWO eine Einladungsberechtigung des Integrationsamts vorgesehen. Folglich fehlt auch für die Begründung eines analogen Noteinladungsrechts der außerbetrieblichen Akteurin GSBV die rechtsmethodologische Grundlage. Unabhängig davon ist den Kritikern der Wahlordnung zwar zuzugestehen, dass die SchwbVWO nicht an allen Stellen als ein fehler- und widerspruchsfreies Regelwerk angesehen werden kann, das per se jede Analogie ausschließt. Aber für eine zugunsten der GSBV auszufüllende Regelungslücke liegen in § 1 und § 18 SchwbVWO keine hinreichenden Anhaltspunkte vor.

 

8.   Auswirkungen auf Fälle des vorzeitigen Amtsendes

Praktische Auswirkungen hat die Streitfrage insbesondere bei dem vorzeitigen Amtsende der örtlichen SBV. Nach § 177 Abs. 7 Satz 3 SGB IX treten diese Fälle auf, wenn

–   die als Vertrauenspersonen und als Stellvertreter gewähl- ten Mitglieder aus dem Arbeitsverhältnis durch Kündigung ausscheiden,

–   die Wählbarkeitsvoraussetzung der gewählten Mitglieder nach § 177 Abs. 3 Satz 2 SGB IX nachträglich durch Aufstieg zu leitenden Angestellten i. S. v. § 5 Abs. 3 SGB IX entfallen ist,

–   die Wählbarkeitsvoraussetzung der gewählten Mitglieder wegen § 177 Abs. 3 Satz 2 SGB IX durch Versetzung in andere Betriebe entfällt,

–   auf Antrag von 25 % der Wahlberechtigten nach § 177 Abs. 7 Satz 5 SGB IX der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt das Erlöschen der Ämter wegen gröblicher Verletzung der Pflichten beschließt und die Entscheidung bestandskräftig wird

–   oder die gerichtliche Anfechtung sowohl der Wahl der Vertrauensperson als auch der stellvertretenden Mitglieder bestandskräftig oder in der Rechtsmittelinstanz rechtskräftig wird.

 

9.   Exemplarische Fallstudie

Sachverhalt: Die Anfechtung der Wahl der Vertrauensperson und der stellvertretenden Mitglieder ist Ende Dezember 2020 rechtskräftig geworden. Vor Rechtskraft der Anfechtung hat die SBV keinen Wahlvorstand bestellt, um der  Belegschaft die Möglichkeit eines Neuanfangs zu eröffnen. Es laden in Wahrnehmung des Einladungsrechts aus § 1 Abs. 2 Satz 2 SchwbVWO drei Wahlberechtigte zur Wahl des Wahlvor- stands ein. Die GSBV will dem zuvorkommen und bestellt, nachdem die Einladung der Gruppe der Wahlberechtigten bekannt gemacht ist, einen Wahlvorstand. Sie stützt im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber ihr Bestellungsrecht auf die Darstellung der BIH in der Wahlbroschüre.

Lösung: Diese Bestellung durch die GSBV ist unwirksam.17 Erstens besteht, wie oben unter 4 bis 7 dargelegt, nach dem Amtsende der SBV keine Befugnis der GSBV. Zweitens soll hier die rechtswidrige Bestellung gezielt die Ausübung des Rechts der Belegschaft behindern. Nach § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX gilt in Betrieben der Wahlschutz  aus  § 119  Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Ein vergleichbarer Schutz gilt in den Dienststellen nach § 24 Abs. 1 BPersVG und den Personalvertretungsgesetzen der Länder. Danach ist die Behinderung der Wahl verboten. In der Betriebsverfassung ist dieses Verbot sogar noch durch das Strafrecht abgesichert. Die Gruppe der drei Wahlberechtigten wäre deshalb befugt, im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG mit einem Unterlassungsantrag im einstweiligen Verfügungsverfahren gegen die GSBV und auch gegen den rechtswidrig eingesetzten Wahlvorstand vorzugehen.18

 

10. Auftrag an den Verordnungsgeber

Zwar ist nach den obigen Erwägungen die Rechtslage eindeutig. Aber die Wahlvorschriften für SBV-Wahlen werden für Laien geschrieben, die sie durchführen sollen. Deshalb zeigt sich auch in dieser Frage ein Bedürfnis an Klarstellung. Es sollte entweder in § 180 Abs. 6 SGB IX  oder in § 1 Abs. 2, § 19 Abs. 2 SchwbVWO klargestellt werden, dass das Prinzip der Selbstorganisation den überörtlichen Schwerbehindertenvertretungen (also für Betriebe: GSBV und KSBV und bei mehrstufigen Behörden Bezirks-SBV und HSBV) nur ein begrenztes Hinwirken auf eine Wahl zulässt. Ein Recht auf Bestellung des Wahlvorstands gehört nicht dazu. Zusätzlich sollte der Inhalt der dem Betriebs- und Personalrat in § 176 Satz 2 Halbs. 2 SGB IX eingeräumten Aufgabe präzisiert werden, auf eine Wahl der SBV hinzuwirken. Entsprechend dem Grundsatz der Selbstorganisation ist klarzustellen, dass die in der SchwbVWO dem Betriebs- und Personalrat eingeräumte Einladungsbefugnis nur nachrangig gegenüber dem Einladungsrecht der Wahlberechtigten ist. So könnten ein unerwünschtes Wettrennen zwischen Wahlberechtigten und Betriebs- oder Personalrat sowie die sich daraus ergebende Pluralität von Einladungen vermieden werden. Das alles sollte noch rechtzeitig vor den nächsten Regelwahlen im Jahr 2022, möglichst im Rahmen einer umfassenden Überarbeitung der Wahlordnung, geschehen. Da für die Betriebsratwahlen ein derartiges Vorhaben ansteht, wäre es ein Anzeichen von Geringschätzung, wenn die Arbeit an der Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen erneut zurückgestellt würde.

 

Anmerkungen
1  BGBl. I S. 1046, 1047.
2  BGBl. I S. 1965.
3  BGBl. I S. 811.
 BGBl. I S. 1046, 1047.
5  BGBl. I S. 1046, 1047.
6 BGBl. I S. 3234.
7  Vgl. Düwell/Sachadae, NZA 2014, 1241 ff.; Edenfeld, PersV 2016, 364/366.
 BIH (Herausgeber), ZB Spezial, Wahl der Schwerbehindertenvertretung 2018 unter 4.2 S. 47; elektronisch unter www.integrationsaemter.de.
9  Krämer in FKS § 180 RdNr. 7; Knittel, 92. Lfg. (Stand 1.8.2017), SGB IX § 97 RdNr. 18; Pahlen in Neumann, 13. Aufl., SGB IX, § 180 RdNr. 12 am Ende.
10  Cramer, SchwbG, 5. Aufl. 1998, SchwbWO, § 1 RdNr. 1; Hohmann in Wie- gand, SGB IX SchwbVWO, § 1 RdNr. 5.
11  BGBl. I S. 606.
12 BGBl. I. S. 606.
13 BT-Drucks. 15/2357 S. 11.
14  Vgl. Sachadae, Wahl der SchwbV, S. 75 f., grundlegend zur Begriffbildung: Jacobs, Die Wahlvorstände für die Wahlen des Betriebsrats, des Sprecherausschusses und des Aufsichtsrats, 1995, S. 47.
15  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie mit juristischer Methodenlehre, 7. Aufl., RdNr. 889, S. 521.
16  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie mit juristischer Methodenlehre, 7. Aufl., RdNr. 889, S. 522.
17  So auch ArbG Stuttgart 26.1.2021 – 7 BVGa 1/21, juris RdNr. 53.
18  Vgl. dazu aus der Betriebsverfassung: Hess. LAG 14.9.2020 – 16 TaBVGa 127/ 20, RdNr. 43.

 

 

Quelle:
Franz Josef Düwell, Einleitung der Wahl bei Nichtvorhandensein einer SBV in: Behinderung und Recht (br) Heft 1/2021, S. 5-8