von Dr. Torsten Gühlstorf
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG)1 hat der Gesetzgeber nicht nur den Bereich der Eingliederungshilfe umfassend neugestaltet, sondern zugleich auch das Recht der Sachleistung reformiert. Mit Wirkung zum 1.1.2020 wurde mit § 75 Abs. 6 SGB XII erstmals normiert, dass der Erbringer von Sachleistungen direkt einen öffentlich-rechtlichen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger auf Vergütung der gegenüber dem Leistungsberechtigten erbrachten Leistungen besitzt.
Zwar bestand auch in der Zeit bis zum 31.12.2019 ein Direktanspruch des Leistungserbringers gegenüber dem Sozialhilfeträger, jedoch war dieser rein zivilrechtlicher Natur. Grundlage ist das sogenannte sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis, an dem neben dem Leistungsberechtigten und dem Sozialhilfeträger auch der Leistungserbringer – bspw. die Pflegeeinrichtung – beteiligt ist.
Die Rechtsbeziehungen der Beteiligten dieses Dreiecksverhältnisses waren dabei unterschiedlicher Natur. Zwischen Leistungsberechtigten und Leistungserbringer bestand und besteht auch weiterhin insoweit ein zivilrechtliches Vertragsverhältnis (bspw. Heimvertrag), aufgrund dessen der Leistungserbringer zur Verschaffung der entsprechenden Sachleistung und der Leistungsberechtigte zur Zahlung der geschuldeten Vergütung verpflichtet ist.
Zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Sozialhilfeträger bestand und besteht auch weiterhin das öffentlich-rechtlich ausgestaltete Grundverhältnis. Art und Umfang des Leistungsanspruchs richten sich nach dem SGB XII, das Verfahrensrecht nach dem SGB X.
Die dritte Seite des Dreiecks, durch die der Leistungserbringer einen Vergütungsanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger erlangt, wurde bis zur Einführung des § 75 Abs. 6 SGB XII sowohl nach der sozialgerichtlichen als auch der zivilrechtlichen Rechtsprechung2 im Wege eines Schuldbeitrittes des Sozialhilfeträgers begründet. Die öffentliche-rechtliche Kostenübernahmeerklärung, mit der der Sozialhilfeträger dem Leistungsberechtigten Sachleistungen bewilligt, wurde als Verwaltungsakt mit Drittwirkung gewertet, der einen Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers bewirkte. Dieses hatte zur Folge, dass der Sozialhilfeträger als Gesamtschuldner in Höhe der bewilligten Leistungen an die Seite des Leistungsberechtigten trat und der Leistungserbringer damit in diesem Umfang einen direkten Zahlungsanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger erlangte.
Der Umstand, dass der Sozialhilfeträger der Schuldverpflichtung des Leistungsberechtigten beitrat und das Rechtsverhältnis zwischen Leistungsberechtigten und Leistungserbringer zivilrechtlicher Natur ist, führte jedoch zugleich dazu, dass auch das so zwischen Sozialhilfeträger und Leistungserbringer begründete Rechtsverhältnis rein zivilrechtlicher und gerade nicht öffentlich-rechtlicher Natur war.
Dieses wiederum führte zu Praktikabilitätsproblemen. So war für Streitigkeiten zwischen Leistungserbringer und Sozialhilfeträger über den Umfang der zu entrichtenden Vergütung nicht der Sozialrechtsweg, sondern der Zivilrechtsweg eröffnet3. Auch die Konsequenzen einer etwaigen Leistungsstörung, richteten sich grundsätzlich ebenfalls rein nach dem Zivilrecht.
Bedeutsam wurde dieses speziell in den Fällen, in denen die Leistungsgewährung durch den Sozialhilfeträger endete. Bereits mit Urteil vom 31.3.20164 hatte der BGH festgestellt, dass der Sozialhilfeträger zwar an den im Bewilligungsbescheid im Grundverhältnis gegenüber dem Hilfeempfänger erklärten Schuldbeitritt grundsätzlich gebunden ist, diese Bindungswirkung aber nur besteht, solange und soweit der der Bewilligung zugrunde liegende begünstigende Verwaltungsakt nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.
Dieses wäre unproblematisch gewesen, wenn der Leistungserbringer zugleich in das Leistungsbewilligungsverfahren eingebunden gewesen wäre und speziell die Möglichkeit besessen hätte, selbst Rechtsmittel gegen die Leistung versagende Bescheide einzulegen. Diese Möglichkeit bestand aber nicht. Zwar war der Leistungserbringer in einem sozialgerichtlichen Verfahren zwingend beizuladen, wenn der Leistungsberechtigte selbst gegen die Einstellung der Sozialhilfe Rechtsmittel einlegt hatte, ein eigenes Rechtsmittel wurde dem Leistungserbringer jedoch nicht zugestanden. Da der Leistungserbringer lediglich im Wege des zivilrechtlichen Schuldbeitrittes in das Dreiecksverhältnis einbezogen wurde, verletzte die (rechtswidrige) Ablehnung von Leistungen lediglich subjektive Rechte des Hilfebedürftigen, nicht aber die des Leistungserbringer, so dass es an einer eigenen materiellen Beschwer fehlte5.
Probleme ergaben sich daher, wenn die Einstellung bzw. Versagung der Sozialhilfe rechtswidrig war und sich der Leistungsberechtigte – aus welchem Grund auch immer – hiergegen nicht wehrte. Blieb der Leistungsberechtigte selbst untätig und erwuchs die Leistungseinstellung bzw. -versagung in Bestandskraft, verlagerte sich das wirtschaftliche Risiko voll auf den Leistungserbringer, ohne dass dieser die Einstellung selbst anfechten konnte.
Noch problematischer gestaltete sich die Situation, wenn der Sozialhilfeträger den Bewilligungsbescheid nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit zurücknahm. In seiner Entscheidung vom 31.3.2016 hatte der BGH für diesen Fall festgestellt, dass dann der Schuldbeitritt ebenfalls rückwirkend entfiel und Leistungserbringer unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet war, bereits erhaltene Zahlungen an den Sozialhilfeträger zurückzuerstatten.
Erfolgte die Rücknahme für die Vergangenheit rechtswidrig, musste der Leistungserbringer also zwingend darauf hinwirken, dass der Leistungsberechtigte den Bescheid entsprechend anficht, da andernfalls die Rücknahme trotz der Rechtswidrigkeit in Bestandskraft erwachsen wäre. Dieses hätte dann zur Folge, dass sich der Leistungserbringer einerseits unmittelbar einer Rückforderung seitens des Sozialhilfeträgers ausgesetzt sieht, er andererseits aber seinen eigenen Anspruch gegenüber dem Leistungsberechtigten kaum oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand realisieren kann.
Als letzte Möglichkeit blieb dem Leistungserbringer dann nur noch, sich gegenüber dem Sozialhilfeträger auf den Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB zu berufen. Da aber speziell bei dem Betrieb einer teil- oder vollstationären Einrichtung immer auch nicht unerhebliche Fixkosten entstehen, die auch ohne die Leistungserbringung anfallen, konnte sich mit der Einrede der Entreicherung i. d. R. nur ein Teil der Rückforderung abwehren lassen. Zudem schied die Einrede in den Fällen bereits dem Grunde nach aus, in denen die Leistungsgewährung durch den Sozialhilfeträger nur vorläufig oder aufgrund einstweiliger Anordnung erbracht wurde, da hier die verschärfte Haftung des § 820 Abs. 1 Satz 2 BGB griff6.
Die Rechtsprechung hat zwar im Folgenden anhand von Einzelfällen versucht, den Nachteil des Leistungserbringers zu minimieren, der sich aus dem rein zivilrechtlichen Schuldbeitritt und der fehlenden Möglichkeit ergab, selbst gegen die Leistungseinstellung bzw. Rücknahme des Bewilligungsbescheides Rechtsmittel einzulegen. Eine Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit des sozialhilferechtlich ergangenen Verwaltungsaktes im Rahmen der zivilgerichtlichen Klärung des Rückforderungsanspruch des Sozialhilfeträgers wurde jedoch bis zuletzt abgelehnt. So bestätigte der BGH noch in seiner Entscheidung vom 11.4.20197 für die Rechtslage bis 31.12.2019, dass eine fehlerhafte Ermessensausübung zwar zur Rechtswidrigkeit, nicht aber zur Unwirksamkeit eines Bescheides führt, sodass auch ein ermessensfehlerhafter Aufhebungsbescheid bei entsprechender Bestandskraft zum Wegfall des Schuldbeitritts führt.
Das Problem der divergierenden Rechtsgebiete im Verhältnis Sozialhilfeträger zum Leistungsberechtigten und Sozialhilfeträger zum Leistungserbringer hat der Gesetzgeber nun seit dem 1.1.2020 mit § 75 Abs. 6 SGB XII in einem einzigen Satz beseitigt. Indem der Vergütungsanspruch des Leistungserbringers in das SGB XII aufgenommen wurde, ist dieser nunmehr öffentlich-rechtlicher Natur, sodass auch bei Streitigkeiten zwischen Sozialhilfeträger und Leistungserbringer nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nun der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet ist8.
Ob damit allerdings zugleich die zuvor dargestellten bislang für den Leistungserbringer bestehenden Nachteile beseitigt wurden, ist dagegen nicht ganz klar. Hierfür kommt es darauf an, ob der Leistungserbringer nunmehr auch berechtigt ist, gegen einen die Leistung versagenden Bescheid selbst Rechtsmittel einzulegen.
Stellt man auf die Rechtsprechung9 ab, in der ein eigenes Rechtsmittelrecht des Leistungserbringers bisher verneint wurde, ist hierfür maßgeblich, ob § 75 Abs. 6 SGB XII ein subjektives Recht des Leistungserbringers begründet. Ist dieses der Fall, verletzt die (rechtswidrige) Ablehnung von Leistungen dann nicht nur die Rechte des Hilfebedürftigen, sondern zugleich auch die Rechte des Leistungserbringers, sodass auch bei diesem die für ein eigenes Rechtsmittel erforderliche materielle Beschwer gegeben ist.
Auf den ersten Blick scheint einiges für ein solches subjektives Recht des Leistungserbringers zu sprechen, da nach dem reinen Wortlaut des § 75 Abs. 6 SGB XII dem Leistungserbringer ausdrücklich ein eigener Anspruch eingeräumt wird. Die Gesetzesbegründung legt allerdings nahe, dass mit § 75 Abs. 6 SGB XII eigentlich nur eine Änderung dergestalt verbunden ist, dass nunmehr der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet ist. Im Übrigen sollte lediglich die bisherige Praxis fixiert werden, dass der Sozialhilfeträger die Zahlungen direkt an den Leistungserbringer erbringt10. Der Bundesrat hielt die Neuregelung sogar für gänzlich überflüssig, da der unmittelbare Zahlungsanspruch in der Rechtsprechung über die Rechtsfigur des Schuldbeitritts bereits abschließend bestätigt sei und es einer gesetzlichen Regelung es daher nicht bedürfe11.
Hinzu kommt, dass die Regelung des § 19 Abs. 6 SGB XII, wonach der Anspruch des Leistungsberechtigten nach dessen Tod auf denjenigen übergeht, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat, im Zuge der Reform nicht geändert wurde. Wenn aber bereits § 75 Abs. 6 SGB XII einen originären Leistungsanspruch auch des Leistungserbringers vorsähe, wäre diese Sonderregelung im Bereich der Hilfe zur Pflege gar nicht mehr erforderlich.
Es spricht daher viel dafür, dass § 75 Abs. 6 SGB XII lediglich den reinen Zahlungsweg betrifft und gerade keinen originären Leistungsanspruch des Leistungserbringers begründet. Danach verbleibt es bei der entsprechenden Akzessorietät zu den durch den Sozialhilfeträger bewilligten Leistungen, sodass der Leistungserbringer in Bezug auf den Umfang der bewilligten Leistungen grundsätzlich kein eigenes Rechtsmittel einlegen kann12.
Das bedeutet jedoch nicht, dass der Leistungserbringer zwangsläufig weiterhin etwaigen rechtswidrigen Entscheidungen des Sozialhilfeträges schutzlos ausgeliefert ist. Während sich die zivilgerichtliche Rechtsprechung in der bis zum 31.12.2019 geltenden Rechtslage nicht zu einer Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit des sozialhilferechtlich ergangenen Verwaltungsaktes durchringen konnte, ist nicht ausgeschlossen, dass zumindest die sozialgerichtliche Rechtsprechung nunmehr diesen Weg einschlagen wird.
Interessant ist in diesem Kontext bspw. die bisherige Rechtsprechung zu § 87 a Abs. 3 SGB XI, wonach die dem pflegebedürftigen Heimbewohner zustehenden Leistungsbeträge von der Pflegekasse mit befreiender Wirkung unmittelbar an das Pflegeheim zu zahlen sind. Auch hier hat der Gesetzgeber schon rein nach dem Wortlaut eigentlich nur eine bloße Regelung zum Zahlungsweg getroffen und insoweit klargestellt, dass die Zahlung zwar an den Leistungserbringer erfolgt, es sich gleichwohl um einen ausschließlichen Leistungsanspruch des Pflegebedürftigen handelt. Entsprechend kann die Einrichtung nicht selbst bei der Pflegekasse die Eingruppierung eines Heimbewohners in eine höhere Pflegestufe beantragen da ihm dafür die Antrags- und Klagebefugnis fehlt.
Gleichwohl gesteht das BSG der Einrichtung allerdings im Einzelfall das Recht zu, im Rahmen einer Zahlungsklage gegen die Pflegekasse die für die Vergütung maßgebliche Pflegestufenzuordnung des versorgten Heimbewohners aus eigenem Recht zur Überprüfung zu stellen13. Da eine Pflegeeinrichtung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, die pflegerische Versorgung sicherzustellen, muss sie zugleich vor den finanziellen Konsequenzen geschützt werden, wenn ein Versicherter das Verfahren über die Höherstufung nicht ernsthaft betreibt, einen Bescheid ohne Weiteres bestandskräftig werden lässt oder seinen Antrag sogar zurücknimmt.
Es ist gut möglich, dass die Rechtsprechung diesen Rechtsgedanken auch auf die Sozialhilfe überträgt und dem Leistungserbringer im Rahmen einer Zahlungsklage einen über die durch den Sozialhilfeträger bewilligte Leistungen hinausgehenden Vergütungsanspruch zuspricht, wenn materiell-rechtlich tatsächlich in dieser Höhe Sozialhilfebedarf besteht und der Leistungsberechtigte trotz Aufforderung durch den Leistungserbringer selbst untätig geblieben ist. Umgekehrt ginge dann eine gegen den Leistungserbringer gerichtete Rückforderung ins Leere, wenn der entsprechende Rücknahmebescheid des Sozialhilfeträgers materiell rechtswidrig war und nur deswegen bestandskräftig wurde, weil der Leistungsberechtigte selbst kein Rechtsmittel eingelegt hat.
Die Entwicklung in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bleibt insoweit abzuwarten.
1 BGBl. 2016 I, S. 3234 ff.
2 Bspw. BSG, Urteil vom 28. 10. 2008 – B 8 SO 22/07 R und BGH, Urteil vom 7.5.2015 – II ZR 304/14.
3 Der Zivilrechtsweg gilt dabei nicht nur für Klagen des Leistungserbringers gegenüber dem Sozialhilfeträger auf Zahlung ausstehender Vergütung, sondern umgekehrt auch für Klagen des Sozialhilfeträgers gegenüber dem Leistungserbringer auf Erstattung überzahlter Leistungen; BSG, Urteil vom 18.3.2014 –B 8 SF 2/13 R.
4 BGH, Urteil vom 31. 3. 2016 – III ZR 267/15.
5 BSG, Urteil vom 6. 12. 2018 – B 8 SO 9/18 R.
6 BGH, Urteil vom 31. 3. 2016 – III ZR 267/15.
7 BGH, Urteil vom 11. 4. 2019 – III ZR 4/18.
8 BTDrs. 18/9522, zu § 75, S. 340.
9 BSG, a. a. O.
10 BTDrs. a. a. O.
11 BRDrs. 428/16, zu § 75 Abs. 6 SGB XII, S. 89.
12 Andere Auffassung: Lange in jurisPK-SGB XII, § 77 a, Rdnr. 19, der die Befugnis des Leistungserbringers zur Drittanfechtung aus § 77 a Abs. 1 Satz 2 SGB XII ableitet.
13 BSG, Urteil vom 7. 10. 2010 – B 3 P 4/09 R.