RICHARD BOORBERG VERLAG

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20.06.2022

§ 175 SGB IX

Der Beendigungsschutz – ein „Auslaufmodell“?

Gedanken zu § 175 SGB IX*      

Angesichts geringer Fallzahlen bei den Integrationsämtern mag man sich fragen: Ist der erweiterte Beendigungsschutz ein überholtes Institut? Ist er gar ein „Auslaufmodell“? Dem ist beileibe nicht so. 

von Franz Beil, Assessor jur., München

A. Ansätze

Angesichts geringer Fallzahlen bei den Integrationsämtern1 mag man sich fragen: Ist der erweiterte Beendigungsschutz ein überholtes Institut? Ist er gar ein „Auslaufmodell“? Dem ist beileibe nicht so. Verweise auf die „Verschlechterung des gesetzlichen Erwerbsminderungsschutzes“2 und auf ganz konkrete Lücken im Sicherungssystem3 sprechen hier eine deutliche Sprache. Grund genug also, den Sonderbestandsschutz erneut4 zu beleuchten. Der Text fragt nach dem Sinn und der Geschichte des § 175 SGB IX und danach, wen die Vorschrift schützt. Ferner: Was bedeutet der sachliche numerus clausus an Defiziten in der Erwerbsfähigkeit, den § 175 auf- zeigt? Und wie wirkt er sich etwa auf Aufhebungsverträge und bei spezieller Beschäftigungsunfähigkeit aus? Skizzieren will der Artikel auch § 33 TVöD bzw. TV-L5, einen „Klassiker“ und Spiegel der Grundprobleme wie auch der Sonderkonstellationen des Beendigungsschutzes; da sind einerseits der Rentenumfang, die Folgen des Ruhens von Arbeitsverhältnissen und die Schnittstelle zur Prävention, andererseits die Fälle der Rentenkollision. Der Beitrag schließt mit Bemerkungen zum Verfahren vor den Integrationsämtern und vor Gericht, behandelt die behördliche Ermessensentscheidung und die Klagefrist vor dem Arbeitsgericht. So soll § 175 SGB IX „griffiger“ werden – und es soll aufscheinen: Auslaufmodelle sehen anders aus.

 

B.  Warum gibt es den Beendigungsschutz und woher kommt er?

Den Sinn des § 175 SGB IX beschreibt oft das plakative Wort vom „Mitspracherecht des Integrationsamtes“6 bei Beendigungen von Arbeitsverhältnissen ohne Kündigung. Aber greift dieses Etikett nicht in Wirklichkeit zu kurz?

Der heutige § 175 SGB IX7 entspricht textlich genau dem alten § 92 SGB IX, der wiederum auf den Systemwechsel von der Berufs- und der Erwerbsunfähigkeitsrente zur Rente wegen Erwerbsminderung im Jahr 2001 zurückging.8 Der Ursprung der Gesetzesnorm liegt im Jahr 1974.9 Anders als sein Vorgänger, § 18 ATO, sah der damalige § 59 BAT keine Erklärung des Arbeitgebers mehr vor, wenn ein Arbeitsverhältnis ohne Kündigung beendet werden sollte.10 Das machte behördliche Kontrolle und Hilfe schwer, und vor allem der gefährdete Normzweck der Sicherung von (Teil-)Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten11 war zu wahren.

§ 22 Satz 2 SchwbG nannte bis 1986 nur den Begriff „Kündigung“12. Unklar also war, ob für eine sofort wirkende Beendigung die Vorschriften über die außerordentliche Kündigung gelten sollten. Der Gesetzgeber hat dies verneint.

Wenn es § 175 SGB IX demnach auf die Sicherung von Weiterbeschäftigungsoptionen ankommt, ist auch klar: es geht nicht um bloße Mitsprache, es geht um aktive Mitwirkung der Behörde.

 

C.  Wen will § 175 SGB IX schützen?

Die Frage, wen § 175 SGB IX schützt, beurteilt sich grundsätzlich nicht anders als im Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen (§§ 175 Satz 2 und § 173 Abs. 3 SGB IX). Erforderlich sind also nach § 173 Abs. 3 Alt. 1 SGB IX eine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch (§ 2 Abs. 2 SGB IX) oder als gleichgestellte Person (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Es genügen aber auch entsprechende Anträge beim zuständigen Versorgungsamt bzw. bei der Agentur für Arbeit (vgl. § 173 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX), die dort drei Wochen vor Zugang der Arbeitgebermitteilung über den Eintritt der auflösenden Bedingung (§§ 21, 15 Abs. 2 TzBfG)13 eingegangen sein müssen.14 Bei Zugang des Rentenbescheids müssen die Voraussetzungen dagegen noch nicht zwingend vorliegen.15 Überflüssig sind Anerkennung oder Antrag, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehinderung kennt oder sie offen zutage liegt.16

Weiß der Arbeitgeber aber von keiner entsprechenden Anerkennung und keinem Antrag, so muss der Betroffene eine Anerkennung oder Antragstellung grundsätzlich binnen dreier Wochen nach Zugang der Beendigungsmitteilung des Arbeitgebers17 geltend machen.

 

D. Welche Folgen hat der numerus clausus an Erwerbsdefiziten in § 175 SGB IX?

In der Sache fordert § 175 Satz 1 SGB IX die vorherige Zustimmung des Integrationsamts zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses auch dann, wenn sie nicht auf einer Kündigung beruht.

I.   Der numerus clausus an Defiziten in der Erwerbsfähigkeit

Als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt18 bietet § 175 SGB IX aber nur Schutz gegen eine Beendigung im Falle der teilweisen Erwerbsminderung, Erwerbsminderung auf Zeit, der Berufsunfähigkeit und der Erwerbsunfähigkeit auf Zeit. Die Vorschrift kann also nicht auf andere Defizite in der Erwerbsfähigkeit ausgedehnt werden.19 Die im Gesetz benannten Beeinträchtigungen bilden mithin einen numerus clausus, der von seinen Begriffen her zu erläutern ist:

1.  Teilweise Erwerbsminderung

Teilweise Erwerbsminderung liegt nun vor bei Versicherten, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).20 Die volle Erwerbsminderung unterscheidet sich von alledem im Grundsatzfall nur dadurch, dass die Zeitgrenze bei einer Erwerbstätigkeit von mindestens drei Stunden pro Tag liegt (siehe § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

2.  Erwerbsminderung auf Zeit

Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 33 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SGB VI) sind unter anderem die Rente wegen teilweiser und diejenige wegen voller Erwerbsminderung. Sie werden grundsätzlich nur als Zeitrenten gewährt (§ 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) – längstens auf drei Jahre – und sie lassen eine erneute Befristung zu. Ist die Behebung der Erwerbsminderung unwahrscheinlich, kann eine Dauerrente gewährt werden; Letzteres vor allem dann, wenn eine Gesamtdauer von neun Jahren Befristung erreicht ist und die Rente nicht von der Lage am Arbeitsmarkt abhängt (siehe im Detail § 102 Abs. 2 SGB VI).21

3.  Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit auf Zeit

Die Berufsunfähigkeit und die Erwerbsunfähigkeit auf Zeit sind Überbleibsel aus der Zeit vor dem oben beschriebenen Systemwechsel im Rentenrecht im Jahr 2001.22 Fälle der Berufsunfähigkeit richten sich nach § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Dafür muss der Versicherte vor dem 2.1.1961 geboren sein. Entscheidend sind dann näherhin der „erreichte berufliche Status“23 des Betroffenen und ein Vergleich hinsichtlich „der Erwerbsfähigkeit von Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeit“24.

Rechtsgrundlage für die Erwerbsunfähigkeit, die grundsätzlich auf Zeit festgestellt wurde, war § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. Der Versicherte durfte zu keiner Beschäftigung gewisser Regelmäßigkeit und nicht zur Erzielung von höherem Arbeitsentgelt in der Lage sein, als es einem Siebtel der monatlichen Bezugsgröße entsprach.25

II.  Wirkungen

Die vorherige Zustimmung des Integrationsamts ist bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung nur erforderlich, falls eines der soeben erläuterten Defizite in der Erwerbsfähigkeit eintritt, die § 175 SGB IX abschließend auflistet.

 

1.  Vereinbarte auflösende Bedingungen (§ 158 Abs. 2 BGB)

Bestimmen nun ein Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder ein Tarifvertrag26, dass das Arbeitsverhältnis bei Eintritt eines Mangels in der Erwerbsfähigkeit enden soll, so kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis des Betroffenen nur mit vorheriger Zustimmung des Integrationsamts beenden – vorausgesetzt der Mangel gehört zur Liste des § 175 SGB IX:

a)  Volle Erwerbsminderung auf Dauer bzw. auf Zeit

Die volle Erwerbsminderung auf Dauer gehört nicht zu den Fällen des § 175 SGB IX. Die Rechtsprechung27 begründet dies schon mit dem Wortlaut des Gesetzes, die ganz herrschende Meinung zu Recht mit dem geringen Restleistungsvermögen des Betroffenen, Teilzeitarbeit ist daher oft nicht mehr zumutbar.28 Dies hält sich auch an die Grenzen des schwerbehindertenrechtlichen Beschäftigungsanspruchs aus § 164 SGB IX. Ergeht hier bei gestelltem und aufrechterhaltenem Zustimmungsantrag ein Negativattest, so liegt darin keine Benachteiligung wegen der Behinderung.29

Fälle der vereinbarten Beendigung bei voller Erwerbsminderung auf Zeit aber sind von § 175 SGB IX erfasst.30 Das geringe Restleistungsvermögen des Betroffenen wird oft eine Zustimmung des Integrationsamts zur Beendigung nahelegen, wenn ein Freihalten des Arbeitsplatzes oder ein Überbrücken der Fehlzeit unzumutbar ist.31

b) Teilweise Erwerbsminderung auf Dauer bzw. auf Zeit

Auch wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen einer teilweisen Erwerbsminderung auf Dauer bzw. auf Zeit abgesprochen ist, liegt ein Fall des § 175 SGB IX vor. Hier wird das restliche Leistungsvermögen des Betroffenen zwischen drei und sechs Stunden pro Tag in aller Regel grundsätzlich eine Verwertung erlauben.

c)  Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit auf Zeit

Die vereinbarte Beendigung im Fall der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit auf Zeit ist nur noch in Altfällen bedeutsam. Letztere aber wird oft keine Weiterbeschäftigung des Betroffenen erlauben und eine behördliche Zustimmung zur Beendigung fordern.32 Redaktionell haben die Begrifflichkeiten aber nach wie vor Sinn, weil viele Tarifverträge sie verwenden.33

2.  Aufhebungsverträge

Weit überwiegend hält man Aufhebungsverträge wegen umfänglichen Schutzverzichts für zustimmungsfrei.34 Dieser Verzicht sei nach Eintritt der Schutzvoraussetzungen unbedenklich, aber auch schon vorher – wo noch gar kein Fall des § 175 SGB IX vorliege.

Nach zutreffender Ansicht sind Aufhebungsverträge35 eine Beendigung ohne Kündigung. Sie müssen allerdings einen

Erwerbsminderungsfall zum Hintergrund haben.36 Schon wegen des Gleichlaufs mit der Rechtslage bei der Kündigung wird man den Zustimmungsvorbehalt nur auf vom Arbeitgeber veranlasste Aufhebungsverträge anwenden können; erwerbsgeminderten Arbeitnehmern aber sollte man die volle Beendigungsfreiheit lassen.37 Erwogen wird zu Recht auch das Einführen eines Beteiligungsrechts der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 SGB IX.38

3.  Dienstordnungsangestellte

Die Rechtsprechung des BAG fasst Dienstordnungsangestellte – Mitarbeiter der Sozialversicherungsträger mit Sonderverpflichtung – bei der Versetzung in den Ruhestand heute nicht mehr unter § 175 SGB IX.39 Die Literatur hält dies aber zu Recht für bedenklich, weil Anwärtern und Dienstordnungsangestellten auf Probe kein Ruhestand zu- steht, sondern nur Nachversicherung.40 Im Beamtenverhältnis hat § 175 SGB IX keine Geltung, mangels entsprechender auflösender Bedingungen.41

4.  Spezielle Beschäftigungsunfähigkeit

Spezielle Beschäftigungsunfähigkeit bedeutet Untauglichkeit des Betroffenen für die geschuldete Arbeitsleistung. Offen sind hier schon die Existenz eines Sachgrundes (§ 14 TzBfG)42 und die Frage, ob für eine analoge Anwendung des § 175 SGB IX Raum bleibt – habe der Gesetzgeber doch bereits um die Untauglichkeitsfälle gewusst.43 Die Untauglichkeit für den Flugdienst und die sogenannte Postbeschäftigungsunfähigkeit bieten hier gängige Beispiele.44 Die beschriebenen Unsicherheiten legen der Behörde nahe, § 175 SGB IX hier nicht anzuwenden und im Zweifel ein Negativattest zu erteilen.45

III. „Klassiker“ § 33 TVöD

§ 33 TVöD ist ein „Klassiker“ und ein Spiegel der Grundprobleme des Gesetzes:

1.  Vorab: Wirksamkeit

Die Wirksamkeit der Tarifnorm wird zu Recht diskutiert. Mit ihr hat sich das BAG zwar zuletzt nicht mehr vertieft ausei- nandergesetzt.46 Für den erforderlichen Sachgrund der auflösenden Bedingung (§§ 21, 14 TzBfG) hatte das Gericht ursprünglich die Absicherung des Betroffenen durch eine dauerhafte Teilrente genügen lassen.47 Dies war kritisiert48 worden – aus Gleichheitsgründen und weil die knappe Frist des § 33 Abs. 3 TVöD die Weiterbeschäftigung gefährde; der Tarifvertrag wolle aber gerade Raum lassen, den Einkommensverlust zu kompensieren. Daraufhin hat das BAG49 verdeutlicht, dass eine Rente, die zu keiner Dauerabsicherung des Betroffenen führt, als Sachgrund für eine auflösende Bedingung ungeeignet sei. Festgestellt wurde, dass eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer voraussichtlich eine derartige Dauerabsicherung gewähre. Dann schadeten weder ein Wechsel in der Rentenart noch ein Überprüfungsvorbehalt im Bescheid. Die sozialrechtliche Dispositionsbefugnis des Betroffenen sei aber zu wahren.

Gerade bei Letzterem sieht die Kritik wiederum ein Problem im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG und verweist zu Recht darauf, dass § 33 Abs. 4 TVöD, der für die Verzögerung des Rentenantrags gilt, ein Ende des Arbeitsverhältnisses mit dem Monat ermöglicht, in dem ein amtsärztliches Gutachten zugestellt wird; faktisch sehe sich der Betroffene hier also zu einem Rentenantrag gehalten.50 Gegen das Gutachten bestehe auch kein gleich effektiver Rechtsschutz wie gegen einen Rentenbescheid.51

Der Kritik an der Rechtsprechung des BAG ist schon deshalb zuzustimmen, weil § 33 TVöD in puncto Wirksamkeit in mehrfacher Hinsicht Zweifel aufkommen lässt, besonders beim Weiterbeschäftigungsantrag nach Absatz 3. Hier liegt die Schnittstelle zur Prävention.

Auch dort, wo der Tarifvertrag das Ruhen von Arbeitsverhältnissen anordnet, bestehen Bedenken gegen die Wirksamkeit – zumindest bei teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit52: Hier sieht man zu Recht den schwerbehindertenrechtlichen Teilzeitanspruch (§ 164 Abs. 4 und 5 SGB IX) in Gefahr.

Die Wirksamkeit des § 33 TVöD darf also insgesamt bezweifelt werden: Über weite Strecken ist es gerade der zentrale Sinn des § 175 SGB IX, die Beschäftigung Betroffener auch bei verminderter Erwerbsfähigkeit zu sichern. Das gilt beim Blick auf § 33 TVöD umso mehr deshalb, weil öffentliche Arbeitgeber mit besonderer Fürsorgepflicht im Fokus stehen. Gerade den Fürsorgegedanken müsste der Text des Tarifvertrags bei schwerbehinderten Arbeitnehmern und gleichgestellten Personen also deutlicher in Erscheinung treten lassen.

 

2.  Struktur des § 33 TVöD

§ 33 TVöD zeichnet beim Thema Erwerbsminderung ein Abbild der Grundprobleme des § 175 SGB IX. Absatz 2 der Tarifnorm regelt das Ende und das Ruhen des Arbeitsverhältnisses, Absatz 3 eine etwaige Weiterbeschäftigung des Betroffenen.

 

a)  Ende und Ruhen des Arbeitsverhältnisses (§ 33 Abs. 2 TVöD)

§ 33 Abs. 2 Satz 1 TVöD knüpft das Ende des Arbeitsverhältnisses an den Ablauf des Tages der Zustellung des Bescheids über eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer. Denn bei Gewährung einer derartigen Rente auf Zeit ist lediglich ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses für die Rentenlaufzeit normiert (§ 33 Abs. 2 Satz 5 TVöD).53

Wann die Beendigung oder das Ruhen des Arbeitsverhältnisses eintritt, hängt davon ab, ob die Rente – wie es praktisch die Regel ist54 – rückwirkend beginnt. Bei rückwirkendem Rentenbeginn gilt: Das Ende des Arbeitsverhältnisses tritt nach § 33 Abs. 2 Satz 1 TVöD mit Ablauf des Monats ein, in dem der Rentenbescheid zugestellt wird.55 Ein etwaiges Ruhen des Arbeitsverhältnisses greift bei rückwirkender Rente ab dem Ersten des Monats, der dem Zustellmonat des Rentenbescheids folgt.56 Das Arbeitsverhältnis kann weder mit Rückwirkung enden noch rückwirkend ruhen.57

Beginnt die Rente erst nach der Zustellung des Bescheids, so endet bzw. ruht das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf des Vortages des Bescheidszugangs (§ 33 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 2 Satz 6 TVöD).58

Beachte auch die Pflicht zur Unterrichtung des Arbeitgebers aus § 33 Abs. 2 Satz 2 TVöD.

b) Arbeitgebermitteilung

Unberücksichtigt lässt § 33 TVöD, dass auflösende Bedingungen wie die in seinem Absatz 2 unabdingbare Folgen nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz entfalten, dass also eine Mitteilung des Arbeitgebers über den Eintritt der auflösenden Bedingung zwingend erforderlich ist (§ 21 TzBfG i.V.m. § 15 Abs. 2 TzBfG analog).59 Enden kann das Arbeitsverhältnis also frühestens zwei Wochen nach Zugang besagter Mitteilung.60

c)  Fehlende Zustimmung des Integrationsamts

Fehlt zu allen genannten Beendigungszeitpunkten aber noch eine erforderliche Zustimmung des Integrationsamts nach § 175 SGB IX n.F., so endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Tages, an dem der Zustimmungsbescheid zugestellt wird (§ 33 Abs. 2 Satz 4 TVöD).

d) Weiterbeschäftigung (§ 33 Abs. 3 TVöD)

Im Fall einer teilweisen Erwerbsminderung aber kommt es nach § 33 Abs. 3 TVöD zu keinem Ende und keinem Ruhen des Arbeitsverhältnisses, wenn auf dem bisherigen oder einem anderen freien und geeigneten Arbeitsplatz eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht und der Betroffene seine Weiterbeschäftigung binnen Zweiwochenfrist nach Zugang des Rentenbescheids schriftlich beantragt; bei alledem dürfen dringende dienstliche oder betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Die Rechtsprechung hatte eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur erlaubt, wenn keine zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen freien Arbeitsplatz besteht.61 Mehr noch: Der Weiterbeschäftigungsanspruch mache § 33 TVöD überhaupt erst verfassungsgemäß.62

Gesichert also ist: Wenn eine Teilrente grundsätzlich nur auf Zeit geleistet wird (§ 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI), wird es primär um das Ruhen von Arbeitsverhältnissen gehen, das sodann durch einen Weiterbeschäftigungsantrag verhindert werden soll.63

3.  Problempunkte

§ 33 Abs. 2 und 3 TVöD offenbaren einige Grundprobleme des Gesetzes und seiner Begriffe, gerade bei der Rentendifferenzierung und beim Rentenumfang, bei der Frage des Ruhens von Arbeitsverhältnissen und bei der Schnittstelle des § 175 SGB IX zur Prävention.

a)  Rentendifferenzierung und Rentenumfang

In der Literatur wird vorgebracht, § 33 Abs. 2 TVöD führe „in die Irre“64. Fest steht jedenfalls: Der tarifliche Grundsatz der Dauerrenten (§ 33 Abs. 2 Satz 1 TVöD) ist in Wirklichkeit die Ausnahme; tatsächlicher Regelfall sind die Zeitrenten, die das Arbeitsverhältnis gemäß § 33 Abs. 2 Sätze 5 und 6 TVöD nur ruhen lassen (§ 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI i.V.m. § 33 Abs. 3 SGB VI).65 Mit anderen Worten: Oftmals wird ein ruhendes Arbeitsverhältnis vorliegen.

Außerdem: Eine Weiterbeschäftigung hält der TVöD nur bei Teilrenten für denkbar – auf entsprechenden Antrag des Arbeitnehmers hin (§ 33 Abs. 3 TVöD). An einem Hinzuverdienst wird der Betroffene hier auch besonders interessiert sein – beträgt die Teilrente doch meist „deutlich unter 1000 Euro monatlich“66. Keine Weiterbeschäftigungsoption bietet der Tarifvertrag bei voller Erwerbsminderung. Eine Rentenbefristung führt hier zum Ruhen, eine Dauerrente zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Dann ist das Restleistungsvermögen mit unter drei Stunden pro Tag jedenfalls gering (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

b) Wirkungen des Ruhens von Arbeitsverhältnissen

In § 33 Abs. 2 TVöD spielt das Ruhen von Arbeitsverhältnissen die Hauptrolle. Seine Folgen sollten also bekannt sein. Gerade hier besteht Streit – soweit man die Regelung der Ruhensfolgen den Tarifpartnern überhaupt ermöglicht.67

Nach herrschender Meinung ist ein bloßes Ruhen des Arbeitsverhältnisses kein Fall von § 175 SGB IX. Zu erkennen sei dies am „eindeutigen Normwortlaut“68, ohne Beendigung des Arbeitsvertrags könne § 175 SGB IX nicht angewandt werden.69 Das ist zutreffend: Es hätte einer – fehlenden – ausdrücklichen Regelung bedurft, hätte das Ruhen des Arbeitsverhältnisses unter das Beendigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt gefasst werden sollen. Letzteres spricht entscheidend gegen die abweichende Ansicht, die das Ruhen als Form der Beendigung sieht, zumal im Ruhensfall bis dato kein ausreichender tariflicher Schutz bestehe.70

c)  Der Weiterbeschäftigungsantrag als Schnittstelle zur Prävention

§ 33 Abs. 3 TVöD setzt ferner voraus, dass der Arbeitnehmer seine Weiterbeschäftigung binnen zweier Wochen nach Zustellung des Rentenbescheids schriftlich71 beantragt. Nach neuerer Rechtsprechung löst aber erst die Beendigungsmitteilung des Arbeitgebers (§ 21, 15 Abs. 2 TzBfG) die Frist aus.72

Die Bedenken der Literatur gegen die knappe Zweiwochenfrist für das Weiterbeschäftigungsverlangen führen an die Schnittstelle des § 175 SGB IX zur Prävention. Denn verwiesen wird zu Recht darauf, dass eine derart kurze Antragsfrist schwerlich mit dem Präventionsgedanken zu vereinbaren ist.73 Fehlt demnach eine Prävention nach § 167 Abs. 1 SGB IX und wird deshalb keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aufgetan, soll sich der Arbeitgeber nicht darauf berufen können, der Betroffene habe keinen ordnungsgemäßen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt. Die hier beschriebene Ansicht empfiehlt den Tarifparteien die Anpassung oder Streichung des § 33 TVöD, den Arbeitnehmeranwälten das Geltendmachen der Unwirksamkeit.

All dies deckt sich auch mit den oben dargestellten generellen Vorbehalten gegen die Wirksamkeit des § 33 TVöD und ist schon deshalb nicht von der Hand zu weisen, weil auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Entscheidung des Integrationsamts keinen form- und fristgerechten Antrag auf Weiterbeschäftigung fordert: Der nachgeordnete Tarifvertrag könne nicht über die Auslegung des § 175 SGB IX entscheiden.74

d) Gesamtbild des § 33 TVöD

Zusammengefasst zeigen die Fälle verminderter Erwerbsfähigkeit in § 33 TVöD also folgendes Bild:

Bei einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer wird das Arbeitsverhältnis grundsätzlich enden (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 TVöD). Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit bringt es zum Ruhen (§ 33 Abs. 2 Sätze 5 und 6 TVöD). Beide Teilrenten gestatten aber einen Weiterbeschäftigungsantrag nach § 33 Abs. 3 TVöD, der ggf. ein Ende bzw. ein Ruhen ausschließt. Er erfordert eine zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit. Der Weiterbeschäftigung dürfen auch keine dringenden dienstlichen oder betrieblichen Gründe entgegenstehen. Für die teilweise Dauerrente gilt: Wird das Arbeitsverhältnis beendet, liegt eine Konstellation des § 175 SGB IX vor; nur wenn keine automatische Beendigung gegeben ist, kommt auch ein Zustimmungsverfahren zur Kündigung in Betracht. Die teilweise Zeitrente bewirkt nur ein Ruhen, keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sodass § 175 SGB IX nicht erfüllt ist. Auch hier ist ein Zustimmungsverfahren zur Kündigung möglich.

Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit lässt das Arbeitsverhältnis ruhen (§ 33 Abs. 2 Sätze 5 und 6 TVöD). Die Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer führt zum Ende des Arbeitsverhältnisses (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 TVöD). Bei Renten auf Dauer sieht der Tarifvertrag keine Weiterbeschäftigung vor. Bei einer Vollrente auf Zeit ist keine Beendigung gegeben, § 175 SGB IX also nicht erfüllt; ein Zu- stimmungsverfahren zur Kündigung kommt aber in Betracht. Eine volle Rente auf Dauer begründet keinen Fall von § 175 SGB IX. Auf Antrag des Arbeitgebers wird das Integrationsamt ein Negativattest erteilen. Durch die automatische Beendigung wird sich eine etwaige Zustimmung zur Kündigung erübrigen.75

e) Sonderkonstellation Rentenkollision

Obwohl er darüber – wie schon § 59 BAT – keine Aussage enthält, macht § 33 TVöD auch den Sonderfall der Rentenkollision greifbar, also die Konstellation in der eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer und eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zusammen- treffen.

Die Arbeitsgerichtsbarkeit76 kommt hier zu einem Ende des Arbeitsverhältnisses, die Verwaltungsgerichtsbarkeit77 zu einem bloßen Ruhen. Gemeinsam ist den beiden Sachverhalten die rückwirkende Rentengewährung, die Zustellung der Rentenbescheide im selben Monat und das Fehlen eines ordnungsgemäßen Weiterbeschäftigungsantrags.78

Vom Ende des Arbeitsverhältnisses ging das BAG79 deshalb aus, weil der Bescheid über die volle Zeitrente keine Beseitigung des nach wie vor maßgeblichen früheren Bescheids über die teilweise Dauerrente bewirkt habe. Dauerrenten würden nur gewährt, wenn die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit unwahrscheinlich sei (§ 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI). Der Kollisionsfall der beiden Renten lasse daher nicht annehmen, die Betroffene werde ihre volle Leistungsfähigkeit wiedererlangen. Daran ändere auch die Zeitrente nichts, die gleichzeitig mit der Dauerrente bewilligt worden sei.

Im Fall des OVG Rheinland-Pfalz80 war die befristete Vollrente auch am Arbeitsmarkt orientiert. Die Zustellung beider Rentenbescheide im selben Monat nun bewirke im selben Zeitpunkt verschiedene, sich ausschließende Rechtsfolgen (Ende bzw. Ruhen). Mangels tariflicher Kollisionsregel ging man von einem bloßen Ruhen des Arbeitsverhältnisses aus. Die Betroffene könne nicht schlechter gestellt werden, wenn die teilweise Erwerbsminderung auf Dauer, die volle aber nur auf Zeit festgestellt werde. Wie im Kündigungsschutz gelte der Grundsatz der ultima ratio, also seien andere Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen. Der Tarifvertrag unterstelle ein Interesse am Erhalt des Arbeitsverhältnisses.

Die BAG-Lösung, kritisiert Kayser81, lasse außer Acht, dass das Arbeitsverhältnis nicht bereits mit Zustellung des Rentenbescheids ende, sondern erst später. Außerdem: Eine unbefristete Teilrente lasse das Arbeitsverhältnis enden, bei befristeter Vollrente dagegen trete ein Ruhen ein. Letzteres sei hier der Fall, noch bevor die unbefristete Teilrente das Arbeitsverhältnis beenden könne. Ein Ruhen von Arbeitsverhältnissen mit Rückwirkung aber sei nicht vorgesehen. Maßgeblich für das Ruhen seien die beiden tariflichen Zeitpunkte. Zu Recht weise das OVG Rheinland-Pfalz darauf hin, dass hier wegen des identischen Zustellmonats der Bescheide im selben Moment widersprüchliche Rechtsfolgen wirkten. Seien die Zustellmonate der Bescheide verschieden, so ergäben sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Wirkungen (Ende bzw. Ruhen). Das Ende des Arbeitsverhältnisses könne aber nicht von dem – oft zufälligen – Zustellzeitpunkt von Rentenbescheiden abhängen. Dem Interesse der Tarifpartner am Beschäftigungserhalt sei nicht hinreichend genügt. Auch könne nach Ende der Zeitrente Interesse des Betroffenen an der Beschäftigung bestehen.

Schon die erhöhte Fürsorgepflicht öffentlicher Arbeitgeber verlangt der Lösung von Kayser und der Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz zu folgen, die in den beschriebenen Kollisionsfällen zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses führt. Das Integrationsamt wird dort keine Zustimmung zur Beendigung erteilen dürfen – auch deswegen nicht, weil die Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung, die die Behörde sichern soll, erst mit Ablauf der vollen Zeitrente adäquater Prüfung zugänglich sein werden.

 

E.  Auf welchen Wegen greift der Schutz ein?

I.   Verfahren vor dem Integrationsamt

Grundsätzlich ergeben sich im Beendigungsverfahren vor dem Integrationsamt keine Besonderheiten. Nach § 175 Satz 2 SGB IX sind nur die Vorschriften über die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung anwendbar, also gilt die Antragsfrist des § 174 Abs. 2 SGB IX nicht. Auch die Ermessenslenkungen des § 172 SGB IX scheiden aus – mangels betriebsbedingter Hintergründe oder einer Änderungskündigung.

Über die Zustimmung zur Beendigung entscheidet das Integrationsamt nach pflichtgemäßem Ermessen. Maßgeblich ist dafür der Zugangszeitpunkt der Arbeitgebermitteilung über den Eintritt der auflösenden Bedingung82, nicht derjenige des Rentenbescheids. Beurteilungskriterien bestehen in den Arbeitsunfähigkeitszeiten, der Leistungsprognose und einem etwaigen Wiedereinstellungsanspruch, der ggf. das Arbeitgeberinteresse stützt.83

Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten und Teilzeitbeschäftigungen sind vor allem bei Teilrenten wichtig, da es um Hin- zuverdienst geht. Wurden in der Prävention und im BEM (§ 167 SGB IX) keine Umsetzungsmöglichkeiten ausgemacht, spricht dies für eine Zustimmung zur Beendigung. Eine unterlassene Prävention (§ 167 Abs. 1 SGB IX) wird nur dann zulasten des Arbeitgebers berücksichtigt werden können, wenn bei gehöriger Durchführung der Prävention Möglichkeiten bestanden hätten, die Beendigung zu vermeiden.84 Dies erlaubt auch die erforderliche möglichst frühzeitige Prävention adäquat zu berücksichtigen.

Zum Nachholen eines fehlenden Präventivverfahrens kann das Zustimmungsverfahren ausgesetzt werden. Dies ist aber abzulehnen, weil es die behördlichen Prüfungsmöglichkeiten verkürzt.85 Sofort entscheiden kann die Behörde dann, wenn die Weiterbeschäftigung auf einem Alternativarbeitsplatz zumutbar ist – etwa bei Arbeitszeitverringerung oder Möglichkeit begleitender Hilfen im Arbeitsleben.86 Eine weitere Variante liegt in der Zurückweisung des Antrags.87

Gegen die Entscheidung steht dem Betroffenen bzw. der Arbeitgeberseite der Widerspruch88 zu. Vom Grundsatz her kann erst nach Vorliegen des Widerspruchsbescheids Klage zum Verwaltungsgericht erhoben werden.89

 

II.  Gerichtsverfahren

Das Gerichtsverfahren vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit weist keine Besonderheiten auf.

Die Klage gegen die Beendigung an sich geht zum Arbeitsgericht und kann sich richten gegen die Wirksamkeit der auflösenden Bedingung und gegen den Bedingungseintritt.90 Das Problem wird aber oftmals bei der Klagefrist liegen. Für die Klageerhebung gilt eine Dreiwochenfrist, die der Bedingungseintritt (§§ 21, 17 Satz 1 TzBfG) oder der Zugang der Arbeitgebermitteilung über den Eintritt der auflösenden Bedingung (§§ 21, 17 Satz 3 TzBfG) auslösen kann.91

Die Beendigung verlangt aber, dass die erforderliche behördliche Zustimmung in den soeben genannten Momenten vor- liegt (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 4 TVöD).92 Die Frist für die Klage läuft gemäß § 4 Satz 4 KSchG analog erst dann, wenn die Behördenentscheidung dem Betroffenen bekannt gegeben wurde. Raum für eine Analogie ist deshalb, weil die Interessen im Falle einer zustimmungsbedürftigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses denen bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch auflösende Bedingung mit Zustimmungs- bedarf vergleichbar sind; letzterer Fall ist in § 4 Satz 4 KSchG aber ohne Absicht ungeregelt geblieben.93

Weiß der Arbeitgeber um die Schwerbehinderung des Betroffenen, stellt er dennoch keinen Antrag auf Zustimmung zur Beendigung und kommt es daher zu keiner Bekanntgabe der Entscheidung, so kann der Arbeitnehmer die Wirksamkeit der Beendigung bis zur Verwirkungsgrenze (§ 242 BGB) in Zweifel ziehen.94 Bei Unkenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung des Betroffenen im Zeitpunkt des Bedingungseintritts bzw. der Arbeitgebermitteilung über den Bedingungseintritt jedoch kann § 4 Satz 4 KSchG nicht analog herangezogen werden; dann orientiert sich die Frist allein an §§ 17 Satz 1 oder 3 TzBfG i.V.m. § 21 TzBfG.95

 

F.  Fernsicht

Bis dato haben die Fälle des § 175 SGB IX in der Praxis zwar keine große Rolle gespielt. Der erweiterte Beendigungsschutz gewinnt aber an Bedeutung, wie schon die eingangs erwähnten Lücken im sozialen Sicherungssystem zeigen. Deshalb sollte ihm erhöhte Aufmerksamkeit zuteilwerden – gerade auch wegen seiner nicht alltäglichen Probleme. In Erwerbs- minderungsfällen wird oftmals ein Zusammenhang zwischen dem Grund für die Beendigung und der Behinderung vorliegen. Von daher wird das Schutzniveau des Beendigungsschutzes fast immer ein hohes, das Prüfungsprogramm ein intensives sein.96 Dem Integrationsamt kommt mit dem er- weiterten Beendigungsschutz also eine verantwortungsvolle Aufgabe zu, eine Aufgabe, bei der es sich nicht um die Arbeit mit einem Auslaufmodell handelt, sondern mit einem Fortsatz des allgemeinen Bestandsschutzes, den man seinerseits das „,Nervenzentrum des Arbeitsrechts‘“97 genannt hat.

 

Anmerkungen

1   Siehe BIH Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen, Geschäftsstelle, c/o Landschaftsverband Rheinland, 50663 Köln (Hrsg.) „BIH Jahresbericht 2019/2020 – Behinderung & Beruf und soziale Entschädigung“, Stand: November 2020, S. 31.

2   Schmitz in: Feldes/Kothe/Stevens-Bartol (Hrsg.) „SGB IX. Sozialgesetzbuch Neuntes Buch. Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ (FKS), 4. Aufl., Frankfurt am Main 2018, § 175 SGB IX, RdNr. 4.

3   Schrehardt DStR 2017, 501/507 (Ermäßigung des Rentenfaktors beim Übergang von der Rente wegen Berufsunfähigkeit zur Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und mögliche Lücke in der Sicherung zwischen Vorliegen der Gewährungsvoraussetzungen und Erstauszahlung).

4   Siehe den sehr instruktiven Beitrag von Kayser in br 2008, 153 ff.

5   Im Folgenden immer einheitlich vom TVöD die Rede.

6   Vossen, in: Ascheid/Preis/Schmidt „Kündigungsrecht“ (APS), 6. Aufl., München 2021, § 175 SGB IX, RdNr. 5; Kayser br 2008, 153; entsprechend auch Kreitner, in: Kreitner/Luthe (Hrsg.) „juris PK-SGB IX“ (KL), 3. Aufl., Saarbrücken 2018, § 175 RdNr. 9; vgl. a. Seel NZS 2013, 373/374.

7   Nach dem G. zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen v. 29.12.2016 (BGBl I S. 3234, 3287).

8   Zum Systemwechsel siehe ursprünglich: G. zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit v. 20.12.2000 (BGBl. I S. 1827).

9   G. zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts v. 24.4.1974 (BGBl. I S. 981).

10 Neumann, in: Neumann/Pahlen/Winkler/Greiner/Jabben „Sozialgesetzbuch IX. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Kommentar“ (NPWGJ), 14. Aufl., München 2020, § 175 SGB IX, RdNr. 1.

11 Vgl. Schmitz, in: FKS, § 175 SGB IX, RdNr. 3.

12 Vossen, in: APS, § 175 SGB IX, RdNr. 3.

13 Kayser br 2008,153/154: Geltung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) v. 21.12.2000 (BGBl. I S. 1986) für auflösende Bedingungen – auch bei Tarifvereinbarungen.

14 Düwell, in: Dau/Düwell/Joussen/Luik (Hrsg.) „Sozialgesetzbuch IX. Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. SGB IX, BTHG, SchwbVWO, BGG. Lehr- und Praxiskommentar“ (LPK-SGB IX), 6. Aufl., Baden-Baden 2021, § 175 SGB IX, RdNr. 5.

15 Zum Ganzen: Düwell, a.a.O., RdNr. 6 (unter Verweis auf BAG, Urt. v. 16.1.2018, 7 AZR 622/15).

16 Düwell ebd. mit Beispielen.

17 BAG, Urt. v. 16.1.2018 – 7 AZR 622/15 unter Verweis auf BAG, Urt. v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15 – br 2017, 93; a.A. Vossen, in: APS, § 175 SGB IX, RdNr. 14 (Zugang des Rentenbescheids); vgl. BAG, Urt. v. 28.6.1995 – 7 AZR 555/94 (zur früheren Monatsfrist).

18 Wie hier: Kayser br 2008, 153/154.

19 Kayser br 2008, 153/154; Vossen, in: APS, § 175 SGB IX, RdNr. 6 – m.w.N. aus der Rechtsprechung – verneint die Analogiefähigkeit.

20 Dazu Joussen NZS 2002, 294/295 f.

21 Im Übrigen auch Kayser br 2008, 153, 154.

22 Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175 SGB IX, RdNr. 7 (dort Fußnoten 10 und 11) verweist auf die Bedeutung nurmehr für alte Fälle (Vertauensschutz bei Berufsunfähigkeit, weitere Verlängerung bei Erwerbsunfähigkeit).

23 Joussen, NZS 2002, 294.

24 Joussen, ebd.

25 Siehe Jäger-Kuhlmann, in: Ernst/Baur/Jäger-Kuhlmann „Sozialgesetzbuch IX“ (EBJ), Stuttgart, Werksstand: 40. ErgLfrg. Mai 2021, § 175 SGB IX, RdNr. 15: bei Perspektive der Behebbarkeit oder Arbeitsmarktrente.

26 Jäger-Kuhlmann, in: EBJ, § 175 SGB IX, RdNr. 10 (zu den drei Vereinbarungs- wegen).

27 Düwell in: LPK-SGB IX, § 175 SGB IX, RdNr. 7; in die gleiche Richtung: Neumann, in: NPWGJ, § 175 SGB IX, RdNr. 1 (unter Verweis darauf, dass ein erwerbsunfähiger Betroffener gar nicht mehr beschäftigt werden kann); siehe außerdem: Rolfs, in: Müller-Glöge, Preis, Schmidt (Hrsg.) „Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht“ (EzA), 21. Aufl., München, 2021, § 175 SGB IX, RdNr. 1; Kayser br 2008, 153/154 m.w.N.

28 Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175 SGB IX, RdNr. 7.

29  Düwell, a.a.O., RdNr. 18.

30 Jäger-Kuhlmann, in: EBJ, § 175 SGB IX, RdNr. 11.

31 Düwell, a.a.O., RdNr. 16.

32 Jäger-Kuhlmann, a.a.O., RdNr. 20.

33 Vgl. Jäger-Kuhlmann, a.a.O., RdNr. 14 – zur Berufsunfähigkeit.

34 Kreitner, in: KL, § 175 SGB IX, RdNr. 21; ebenso für Zustimmungsfreiheit: Bloeck, in: Fuchs/Ritz/Rosenow (Hrsg.) „SGB IX. Kommentar zum Recht behinderter Menschen“ (FRR), 7. Aufl., München 2021, § 175 SGB IX, RdNr. 7; Knittel, „Sozialgesetzbuch IX. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Kommentar“, 11. Aufl., Köln 2017, § 92 SGB IX, RdNr. 3, zum SGB IX a.F.

35 Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175 SGB IX, RdNr. 8.

36Vgl. a. Kreitner, in: KL, § 175 SGB IX, RdNr. 21 (Erfassung grdsl. aller Formen der Beendigung).

37 Düwell ebd.

38 Schmitz, in: FKS, § 175, RdNr. 7; vgl. etwa den neuen § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX.

39 Siehe BAG, Urt. v. 24.5.2012 – 7 AZR 679/10; anders noch: BAG, Urt. v. 20.10.1977 – 2 AZR 288/76.

40 Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175 SGB IX, RdNr. 11.

41 Düwell, a.a.O., RdNr. 12.

42 BAG, Urt. v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17.

43 Düwell, a.a.O., RdNr. 32 unter Verweis auf BAG, Urt. v. 27.7.2011 – 7 AZR 402/10.

44 Vgl. Kayser br 2008, 153/154.

45 Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175 SGB IX, RdNr. 32.

46 Vgl. nur BAG, Urt. v. 14.1.2015 – 7 AZR 880/13; BAG, Urt. v. 30.8.2017 – 7 AZR 204/16.

47 So noch BAG, Urt. v. 15.3.2006 – 7 AZR 332/05.

48 Zur Kritik siehe näher Düwell, a.a.O., RdNr. 28.

49 BAG, Urt. v. 10.12.2014 – 7 AZR 1002/12 – br 2015, 171.

50 Hierzu und zum Ganzen: Düwell, a.a.O., RdNr. 28.

51 Backhaus, in: APS, § 14 TzBfG, RdNr. 246.

52 Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175, RdNr. 29.

53 Conze öAT 2010, 34.

54 Conze öAT 2010, 34/36.

55 Vgl. Conze ebd.

56 Conze ebd.

57 Vgl. zu Letzterem Kayser br 2008, 153/160.

58 Greiner, in: APS, § 33 TVöD, RdNr. 11.

59 Greiner, a.a.O., RdNr. 12.

60 Conze öAT 2010, 34/36.

61 Kayser br 2008, 153/156 unter Verweis auf BAG, Urt. v. 28.6.1995 – 7 AZR 555/94; beachte aber: Backhaus, in: APS, § 14 TzBfG, RdNr. 238 m.w.N. (Frei- werden eines Arbeitsplatzes in absehbarer Zeit kann heute genügen); vgl. i.Ü. Seels Hinweis in: NZS 2013, 373 (§ 33 Abs. 3 TVöD mit Beendigungsautomatismus bei Fehlen von zumutbarer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit oder verfristetem Weiterbeschäftigungsantrag).

62 Greiner, in: APS, § 33 TVöD, RdNr. 22 verweist auf BAG, Urt. v. 17.3.2016 – 6 AZR 221/15 – br 2016, 169.

63 Vgl. Conze öAT 2010, 34/36.

64 Greiner, a.a.O., RdNr. 11.

65 Greiner, in: APS, § 33 TVöD. RdNr. 17.

66 Conze öAT 2010, 34/35.

67 A.A. hier, wie dargestellt, Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175 RdNr. 29.

68 Kreitner in: KL, § 175 SGB IX, RdNr. 19.

69 Kreitner ebd.; ähnlich für den TVöD/TVL: Kayser br 2008, 153/156; im Übrigen: Vossen, in: APS, § 175 SGB IX, RdNr. 8; Rolfs in: EzA, § 175 SGB IX, RdNr. 1; Gutzeit, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching „BeckOK Sozialrecht“, 61. Edition, München, Stand: 1.6.2021, § 175 SGB IX, RdNr. 6.

70 Schmitz, in: FKS, § 175 SGB IX, RdNr. 6a; Kossens, in: Kossens/von der Heyde/ Maaß „SGB IX“. 4. Aufl., München 2015 – zum SGB IX a.F. –, § 92 SGB IX, RdNr. 2.

71 BAG, Urt. v. 27.7.2016 – 7 AZR 276/14: Textform (§ 126b BGB) genügt – bloße Rechtsgeschäftsähnlichkeit.

72 Greiner, in: APS, § 33 TVöD, RdNr. 22 m.w.N. aus der Rechtsprechung etwa BAG, Urt. v. 15.3.2006 – 7 AZR 332/05; BAG Urt. v. 17.3.2016 – 7 AZR 221/ 15 – br 2016, 169.

73 Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175, RdNr. 26.

74 OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.11.2014 – 6 B 12/14.

75 Siehe zum Ganzen die Übersicht bei Kayser br 2008, 153/161.

76 BAG, Urt. v. 15.3.2006 – 7 AZR 332/05.

77 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 11.12.2004 – 12 A 11602/04.

78 Vgl. BAG, Urt. v. 30.8.2017 – 7 AZR 204/16, auch zur Darlegungslast im BEM.

79 BAG, Urt. v. 15.3.2006 – 2 AZR 332/05.

80 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 11.12.2004 – 12 A 11602/04.

81 Kayser br 2008, 153/159 f.

82 Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175 SGB IX, RdNr. 20.

83 Hierzu und zu alledem Kreitner in: KL, § 175 SGB IX, RdNr. 24.

84 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.8.2007 – 5 B 77.07 – br 2007, 193; strenger: Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175 SGB IX, RdNr. 16

85 Düwell ebd.

86  Düwell ebd.

87 Hierzu und zum Ganzen: Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175 SGB IX, RdNr. 16.

88 Bloeck, in: FRR, § 175 SGB IX, RdNr. 10.

89 Anders nur bei fakultativem Widerspruch (siehe für den Freistaat Bayern Art. 15 AGVwGO).

90 St.Rspr. seit BAG, Urt. v. 6.4.2011 – 7 AZR 704/09.

91 Düwell, in: LPK-SGB IX, § 175 SGB IX, RdNr. 34.

92 Vossen, in: APS, § 175 SGB IX, RdNr. 16.

93 Vossen ebd.

94 Vossen ebd.; vgl. a. Düwell in: LPK-SGB IX, § 175 SGB IX, RdNr. 34 (bei Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung Ausgleich eines Informationsdefizits beim Arbeitnehmer im Hinblick auf die erforderliche Zustimmung).

95 Vossen, in: APS, ebd.

96 Vgl. Kreitner, in: KL, § 175 SGB IX, RdNr. 8.

97 Greiner, in: Kiel/Lunk/Oetker (Hrsg.) „Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 2: Individualarbeitsrecht II“, 4. Aufl., München 2018, § 107, RdNr. 14 m.w.N.

 

* Zur besseren Lesbarkeit verwendet der Text das generische Maskulinum. Angesprochen sind aber immer sämtliche Personen.

Quelle:
Behinderung und Recht (br) Heft 3/2021, S. 69-76